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Aufatmen und aufblühen. Blick in den Umkleideraum des 1961 gegründeten Turma OK. Der Club liegt in Rio de Janeiros Szeneviertel Lapa.

© Anja Kessler

Der älteste Travestie-Club der Welt: Turma OK in Rio: Hier werden Diven gemacht

Turma OK in Rio de Janeiro gilt als der älteste Travestie-Club der Welt. Der Bildband „Der Klub der Königinnen“ porträtiert eindrucksvoll Geschichte und Gegenwart des Etablissements.

Ein fensterloser Raum. Fliesen auf dem Boden, raue Wände, lange Spiegel mit nackten Glühbirnen darüber. Die Garderobe des Travestie-Clubs Turma OK lässt nichts von dem Glamour und den Transformationen erahnen, die hier am Wochenende stattfinden. Dann wuseln hier junge und alte Männer herum, schminken sich, bringen künstliche Wimpern an, werfen sich in Kleider und ziehen Perücken über.

Schließlich entsteigen dem schmucklosen Raum lauter spektakuläre Diven mit schillernden Namen wie Patricia Saint Laurent, Lorna Washington oder Ilona de Martiny. Sie treten auf der kleinen Bühne des Ladens auf, der für sich in Anspruch nimmt, der älteste Club dieser Art auf der Welt zu sein. Es lässt sich schwer überprüfen, spielt letztlich aber keine Rolle, denn der Legendenstatus des 1961 gegründeten Turma OK ist unbestreitbar.

Einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart des Travestie-Etablissements, das in Rio de Janeiros Szeneviertel Lapa liegt, gibt nun der wunderschöne Bildband „Der Klub der Königinnen“ von Anja Kessler und Wolfgang Kunath. Die seit 1990 in der Stadt lebende Kessler hat den Club über mehrere Jahre immer wieder mit der Kamera besucht. Ihr ist ein eindrucksvolles, intimes Porträt des Turma OK gelungen, das ein wenig wie die züchtigere Schwester des mexikanischen Clubs „Casa Roshell“ wirkt, den Camila José Donoso im gleichnamigen Dokumentarfilm erforscht hat.

Besonders faszinierend sind die hinter den Kulissen aufgenommenen Bilder, auf denen die Männer konzentriert ihre Körper herrichten und gar nicht auf die fotografierende Zuschauerin zu achten scheinen. Die Künstlerinnen strahlen einen Ernst und eine Grandezza aus, die nicht nur aus Tüll, Flitter, Lippenstift und Schmuck besteht, sondern vor allem aus einer lebenslangen Leidenschaft für die Verwandlung. Die Porträtaufnahmen, für die sich die Diven gern mal in Pose werfen, spiegeln ihren Stolz – und die Campness der klassischen Travestiekunst.

In Brasilien gibt es viel Gewalt gegen homo- und transsexuelle Menschen

Natürlich ist dieses Genre mittlerweile ein wenig angestaubt und der von Überalterung und Mitgliederschwund betroffene Club kein Ort, der ein junges queeres Publikum anzieht. Die Szeneinstitution setzt traditionell auf Playback-Shows und diverse Miss-Wahlen, bei denen es auch immer wieder zu Neid, Missgunst und Tratsch kommt. Nicht unumstritten ist auch, dass sich die Zuschauer nicht küssen und innig berühren dürfen, wie Wolfgang Kunath in seinem lesenswerten Begleittext schreibt. „Es ist doch paradox, dass sich heutzutage in einem Gay- Verein zwei Gays nicht küssen dürfen!“ zitiert er Celso Maciel, der als Lorna Washington einer der Stars der Szene ist, geht aber ebenso auch auf die für Homosexuelle harte Zeit der Militärdiktatur 1964-1985 ein.

Einige der Club-Mitglieder können noch davon berichten, wie sie von der Polizei drangsaliert wurden. Das ist heute zwar vorbei, doch in Brasilien gibt es weiterhin viel Gewalt gegen homo- und transsexuelle Menschen. Für deren Emanzipation einzutreten, sehen die Schwulen vom Turma OK nicht als ihre Aufgabe. Sie wollen einfach nur in ihrer Glitternische ein bisschen aufatmen und aufblühen. Doch dass sie das nun schon seit über einem halben Jahrhundert tun, ist ein unbestreitbarer Verdienst um die Stärkung der queeren Community.

Anja Kessler & Wolfgang Kunath: „Der Klub der Königinnen“. Verlag für Ethnologie, Hannover. 170 S., 54 €.

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