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Marcel Weber fing – fasziniert von den Drags der 80er und 90er Jahre – als Praktikant im SchwuZ an. Seit 2009 ist der Berliner einer von zwei Geschäftsführern.

© Nadine Seidler/promo

Das SchwuZ wird 40: Die Tunten tanzen lassen

Das SchwuZ in Berlin feiert Geburtstag. Chef Marcel Weber schaut zurück auf seine Zeit mit dem Club, der einst der erste alternative schwule Club in West-Berlin war.

Das Schwuz in der Neuköllner Rollbergstraße 36 feiert den Beginn seines 40. Jubiläumsjahres heute ab 23 Uhr mit einer Party und einer Wette unter dem Motto „48 Tunten Neukölln“. Wird es dem Club gelingen, bis 2 Uhr nachts 480 Drags zu versammeln? Wenn ja, werden 48 Mitarbeiter „Atemlos durch die Nacht“ vor dem Neuköllner Rathaus singen und Geld für ein Seniorenheim sammeln.

Zum Geburtstag der Berliner Institution erinnert sich Club-Chef Marcel Weber an seine Jahre mit dem SchwuZ - anhand von Musik, die er mit dieser Zeit verbindet.

Jennifer Lopez – "Waiting for Tonight"

Silvester 1999, ich war 19, ein Randberliner, seit drei Jahren geoutet. Nach einer Ausbildung habe ich im Café Sundström am Mehringdamm gejobbt. Schnell Geld verdienen, ein großes Haus haben – solche Flausen trug ich im Kopf herum. Vom SchwuZ hatte ich nur gehört, weil alle Gäste durch das Lokal hindurchgehen mussten, wenn sie in den Club wollten. Der Song war das Lied der Silvesternacht, der Soundtrack zum Millenniumwechsel.

Man wartet auf diese Nacht und weiß nicht, was morgen passiert. Werden die Computer abstürzen, wie es manche Forscher vorhergesagt haben? Ich habe an jenem Tag Doppelschicht gearbeitet, die ganze Zeit die feiernden Leute gesehen, die in den Keller des SchwuZ gegangen sind, und gedacht: Wenn morgen nicht alles zusammenbricht, gehe ich bald einmal runter.

Melitta Sundström – "Kassel"

Kurz darauf habe ich mein Vorhaben durchgezogen. Ich ging am Ende des Cafés den schmalen Gang entlang, bis ich vor der Schwingtür stand: dem Eingang des SchwuZ. Ich landete im Keller, habe zuerst die Spiegelkugel an der Decke gesehen, dann die drei Tanzflächen, die Bars entdeckt – ein richtiges Labyrinth, in dem ich mich ständig verlief.

Ich schaute mir die Fotos an den Wänden an: Tunten aus den 80er und 90er Jahren wie Melitta Sundström und Pepsi Boston. Ich wollte wissen, wer diese Menschen waren, habe mir die Geschichte des Ladens angeeignet. Melitta Sundström, die Soul-Tunte, die mit „Kassel“ eine Persiflage auf den Disco-Hit „I Want Muscle“ von Diana Ross geschrieben hatte: „Keiner liebt die Disco so wie sie/ denn dort gibt’s am Wochenende Ecstasy/Bitte zieht nach Kassel!“

Eine tolle Parodie auf die oberflächliche Feierkultur.

Nina Hagen – "Tiere"

Im Jahr 2000 absolvierte ich zuerst ein Praktikum in SchwuZ, kurz darauf erhielt ich einen Vertrag als Mitarbeiter. Ich half an der Bar genauso mit wie bei der Organisation von Partys. Einem Kollegen gelang damals der Coup, dass Nina Hagen ihren 45. Geburtstag im SchwuZ feierte. Mit einer Nummernrevue, auf der viele Gratulanten auftreten sollten. Und darunter war ich. Ich habe „Tiere“ live gesungen und mich das erste Mal in Drag verkleidet.

Die Nacht zuvor habe ich mir meine künstlichen Wimpern mit Teilen aus Pfauenfedern verlängert. Ich trug eine Perücke mit langen dunklen Haaren, ein schlichtes Kleid, denn der Fokus sollte auf diesen unglaublichen Wimpern liegen. Die sahen federleicht aus, waren aber so schwer, dass ich kaum die Lider öffnen konnte. Ein irres Outfit war das. Ich lebte mich im SchwuZ aus, dazu noch vor einer Sängerin, die mit ihrem Lebensweg selbst für Unangepasstheit stand. Es war eine magische Nacht.

Madonna – "Music"

Und dann trat eine andere Frau in mein Leben: Madonna. Vorher hat mich ihre Musik nicht groß berührt, ich bin ein Kind der 90er Jahre, aufgewachsen mit Scooter und Whigfield, erst als 2000 das Album „Music“ erschien, machte es bei mir Klick. Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass ihre Musik unterschiedliche Menschen zusammenbringt.

Einmal feierte Camelia Light, eine Dragqueen, ihren Geburtstag im SchwuZ, das Motto lautete Madonna. Das war ein solcher Erfolg, dass wir beschlossen, daraus eine Party zu machen: „Madonnamania“. Ich übernahm die Planung, begann aufzulegen und begriff, wie frei wir in diesem Keller tanzten. Die Party existiert nach 17 Jahren noch, ungewöhnlich für Berlin. Mindestens zwei Partygenerationen habe ich begleitet, Gäste zwischen 18 und 65 Jahren erfreuen sich nach wie vor an der Kunstfigur Madonna.

Mozart – "Die Arie der Königin der Nacht"

Im Kreuzberger Hinterhof gab es in der zweiten Etage eine Töpferei mit großen alten Industriefenstern. An einigen hing eine Seilwinde. Ideal für eine Inszenierung, also organisierten wir 2003 ein Hoffest. Nur wie geht es los? Als der Abend langsam heraufdämmerte, stieg Camelia Light oben aus dem Fenster auf eine Plattform, die wir gebaut hatten, langsam ließen wir das Seil an der Winde herunter, Spot an, und dazu die Arie der Königin der Nacht.

Wir waren stolz: Scheiß auf die Mailänder Scala, wir machen die bessere Nummer draus. Camelia sah schäbig aus wie immer, Perücke mit zerzausten roten Haaren, ein enger Fummel, ein Aufzug wie für den Bordstein an der Potsdamer Straße. Das war noch mal ein Aufbäumen der Tuntenbewegung: Ja, wir machen Trash, aber einen beeindruckenden!

Vicky Leandros – "Lauf und hol Wasser"

Zu besonderen Anlässen trat die Comedygruppe um Ades Zabel bei uns auf. Dieses Lied läutete das Ende der Show ein. Ades verkleidete sich als seine Kunstfigur Edith Schröder: blonde Lockenperücke, Jogginghose, feine Bluse, insgesamt eine Kittelmentalität, wie sie lange Neuköllner Hausfrauen kultivierten. Er stand mit dieser Blume in der Hand auf der Bühne, sang „Kennst du die Blume der Liebe, weißt du, wie schnell sie verblüht?“, und alle anderen Darsteller rannten los, um Wasser zu holen.

Einmal haben wir es übertrieben. Wir stellten im Backstage Zehn-Liter-Eimer mit Wasser bereit, es wurde eine unglaubliche Wasserschlacht, bei der jeder im Publikum und auf der Bühne bis auf den Schlüpfer nass wurde. Niemand hat nur einen Moment darüber nachgedacht, wie schädlich das Wasser für den Holzboden sei. Am nächsten Tag war der so aufgequollen, als hätte das Elbe-Hochwasser Kreuzberg erreicht. Die Sau rauslassen, auf den Putz hauen, das ging im SchwuZ gut.

Für alle. Zur Mischung gehören Traditionspartys und neue Events.
Für alle. Zur Mischung gehören Traditionspartys und neue Events.

© G. Woller/promo

Afro Medusa – "Pasilda"

Da ich einen Schlüssel besaß, konnte ich jederzeit ins SchwuZ hinein und mich als DJ ausprobieren. Ich übte stundenlang, bis ich die Technik beherrschte. Zuerst spielte ich nur Schlager und Pop, ab 2001 auch House. Dafür steht dieser Track, ein rhythmisches Stück Musik mit Percussions und treibenden Beats. Jede Woche fuhr ich zu „WOM“ am Ku’damm, spielte Trüffelschwein und hörte mich stundenlang durch Schallplatten mit geringer Auflage, um die guten Titel zu finden.

Mir gefiel dieses Haptische, dass ich die Nadel mit meinen Händen auf die Rille legen konnte. Ich nannte mich Kenny Dee, das klang für mich nach einem ernsthaften DJ, begann woanders aufzulegen, mich aus dem SchwuZ zurückzuziehen und meinen Lebensunterhalt mit Plattenauflegen zu verdienen. Nur der Wettbewerb in Berlin war hart. Und ich habe langsam bemerkt, dass ich lieber eine Lerche als eine Eule bin, also kein Nacht-, sondern ein Tagmensch.

Black Eyed Peas – "Let's Get It Started"

Nach einer Pause kam ich 2009 zurück, als man mich fragte, ob ich in den Vorstand gehen würde. Meine Aufgabe wurde es, eine neue Location zu finden. Das SchwuZ platzte aus allen Nähten, und es gab Ärger um die Nutzung des Café Sundström als Durchgangsort. Wir konnten uns in den Räumen einfach nicht entwickeln, wir hatten jeden Platz bis zur letzten Mauerritze ausgenutzt. Bricht uns irgendwann die Decke über dem Kopf zusammen?

Wir brauchten einen Neuanfang. Dafür stehen die Black Eyed Peas. „Get started, get stupid“, heißt es in einer Textzeile. Lauf los, mach was Verrücktes. Und es war damals verrückt, nach Neukölln zu gehen, wo es keinen einzigen Schwulenclub gab. Als ich zum ersten Mal in die alte Kindl-Brauerei kam, in diesen Riesenraum, war ich erschlagen von der Größe. Ich habe lange gezweifelt, ob wir das schaffen können, und mich am Ende dafür entschieden: Wir machen dieses verrückte Ding!

Gloria Gaynor – "I Will Survive"

Im November 2013 haben wir das neue SchwuZ eröffnet. Wir investierten in den Brandschutz, bauten die Räume um, meine Devise war: Keine Gefahr für Leib und Leben, kühles Bier und guter Sound. Wir legten einen Eröffnungstermin fest – und ich wurde erst mal aufs Ordnungsamt zitiert. Was uns einfiele, einen Termin ohne offizielle Freigabe zu kommunizieren!

Einen Tag vor der großen Party haben wir mit Ach und Krach eine vorübergehende Genehmigung bekommen. Mir sind Bergketten von den Schultern gefallen! Größere Tanzflächen, drei große Bars, wie würden die Gäste das annehmen? „Ich hätte das und das anders gemacht.“

Ich musste lernen, Kritik zu ertragen. „I Will Survive“, sagte ich mir. Das Lied habe ich am ersten Abend aufgelegt, es steht für die gesamte Schwulenbewegung, aber auch für das SchwuZ, das nun seit 40 Jahren in Berlin überlebt. Und für mich persönlich, dass ich den ganz großen Stress hinter mir habe.

Mando Diao – "Dance With Somebody"

Den Wunsch, Konzerte im SchwuZ stattfinden zu lassen, gab es schon länger. Mit dem neuen Ort konnten wir das nun realisieren. Der Sender Arte produziert seit fast drei Jahren bei uns Konzerte, die er für das Fernsehen aufzeichnet. Blondie, Bob Geldof, diesen Februar kamen Mando Diao zu uns. Ich fand es gut, dass die schwedische Indieband ihren Hit, den sie sonst vor Zehntausenden spielt, bei uns vor 500 Leuten präsentierte.

Die Künstler äußern oft ihre Dankbarkeit darüber, wie nah sie am Publikum sein dürfen. Und dann hat dieses Lied noch eine andere Bedeutung. Seit zwei Jahren tanzen mit uns zusammen Flüchtlinge im SchwuZ. Queere Menschen, die einen unglaublichen Weg hinter sich haben und nun mit einer Lebensweise in Berührung kommen, die sie sich vielleicht nicht vorstellen konnten.

Wir haben Dolmetscher an der Tür, Geflüchtete an der Garderobe, am Einlass – wir wollen, dass sie bald in allen Arbeitsbereichen tätig werden. Auf allen Hierarchieebenen. Wer weiß, vielleicht wird einmal eine Person mit Fluchtgeschichte meinen Job als Geschäftsführer übernehmen.

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