zum Hauptinhalt
Wohin des Wegs? Im Tiergarten fühlen sich viele nicht mehr sicher.

© Kitty Kleist-Heinrich

Prostitution, Obdachlosigkeit, tote Schwäne: Ein Spaziergang durch Berlins verwahrlosten Tiergarten

Dealer, Stricher, Obdachlose – die Probleme in Berlins großem Park nehmen zu. Die Menschen hier sind genervt und frustriert. Ein Ortstermin.

Ein weinroter Schlafsack liegt an der Wand, neben leeren Joghurtbechern und einer zerknüllten Apfelsaft-Tüte. Aber ansonsten: Ruhe. Nichts los an der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche am Rand des Tiergartens. Niemand zu sehen, niemand zu hören.

Vielleicht liegt es ja an der Tageszeit: Sonntagmittag. Vielleicht liegt es am Wetter: kühl. Auf jeden Fall ist die Situation an der Kirche in diesem Moment anders, als Rolf Stengel sie sonst erlebt.

Stengel kennt das Gebiet um die Kirche gut, er ist oft im Tiergarten. „Aber mit meinen Kindern“, sagt der 52-Jährige, „komme ich nicht in die Nähe der Kirche. Den Anblick will ich ihnen ersparen.“

Junge Stricher verstecken sich im Gebüsch

Reicht ja, wenn er alles sieht. Die jungen Männer, die im oder beim Gebüsch warten, bis Kunden auftauchen. Kunden, die männliche Prostituierte suchen. Und einige der Stricher, davon ist Stengel überzeugt, sind jünger als 18 Jahre. „Die Leute, die ich aus dem Gebüsch springen sehe, die sehen sehr minderjährig aus.“ Viele der Stricher hier, schätzt er, kämen aus Afghanistan oder Pakistan.

Der Tiergarten liegt im Bezirk Mitte, und Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel, ein Grüner, hat jetzt öffentlich Alarm geschlagen. „Der Tiergarten wird mehr und mehr zur rechtsfreien Zone. Wir können das nicht mehr hinnehmen.“ Drogensüchtige, Dealer, Obdachlose, Trinker, Stricher, das ist alles zu viel.

Bemerkenswert ist nicht von Dassels Alarm. Der Tiergarten ist schon lange Zeit ein Problempunkt. Bemerkenswert ist, dass der Alarmruf so spät kommt.

Das Gefühl von Kontrollverlust

Die Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche ist einer der Problem-Hotspots. Schon 2016 hatte sich eine Stricher-Szene um das Gotteshaus entwickelt, vor allem Flüchtlinge prostituieren sich hier. Rolf Stengel, 52 Jahre alt, hoch gewachsen, steht in seiner braunen Regenjacke beim Neuen See, am anderen Ende des Tiergartens. „Ich sehe doch die Männer, die vorfahren, aussteigen und mustern, wer von den jungen Männern in ihr Beuteschema passt.“ Er hat mal in der Nähe des Straßenstrichs in der Kurfürstenstraße gewohnt, er kann einiges vertragen, „aber das hier ist zu viel“.

Es hat ihn jetzt auch erreicht, dieses klassische Gefühl von Kontrollverlust. Dieses Gefühl, das immer mehr Leute empfinden. „Es nervt mich, dass hier ein rechtsfreier Raum entsteht“, sagt Stengel. „Und ich sehe die Ohnmacht der Behörden.“ Steckt hinter den minderjährigen männlichen Prostituierten vielleicht jemand Drittes? Der daran verdient? Noch so ein Gefühl, das ihn umtreibt.

Obdachlose und Flusskrebse

Aber am Neuen See hört das Problem ja nicht auf. Hier campieren üblicherweise Obdachlose, oft sind es Arbeitsmigranten aus Osteuropa, mitunter aus EU-Ländern wie Polen. Viele von ihnen melden sich nicht bei den Behörden, weil sie schwarz arbeiten. Und diese Osteuropäer reagierten oft sehr aggressiv, wenn Behördenmitarbeiter auftauchen, heißt es. Aus der Obdachlosenszene kommen wohl auch die Leute, die junge Schwäne im Tiergarten erst getötet, dann gegrillt und anschließend wohl verspeist haben sollen.

Michael Tasler spaziert mit seiner Hündin Sally im Tiergarten, er registriert auch das wilde Campen, auch er hat den Eindruck, dass die Problem-Szene größer geworden ist. „Ich sehe das Ganze ungern“, sagt er. Tasler traf auf Obdachlose verschiedener Nationalitäten, „abstoßend fand ich die Osteuropäer“. Weil ihm deren Alkoholgelage zuwider waren.

Einmal sah er auf einer Parkbank einen Exhibitionisten, der sich vor Kindern entblößte. Szenen, die im Tiergarten Teil des Gesamtproblems sind. „Die polnische Regierung kann ihr soziales Problem nicht in den Berliner Grünflächen lösen“, hat von Dassel gesagt.

Tasler machte im Tiergarten zudem noch unangenehme Erfahrungen mit Existenzen, mit denen Bürgermeister von Dassel ebenfalls so seine Probleme hat. Ein amerikanischer Flusskrebs zwickte seine Hündin in die Nase.

Zur Startseite