zum Hauptinhalt
Seit 20 Jahren verkauft Sabine Landsberger alles, was mit Tee zu tun hat. Jetzt wurde ihre Miete verdoppelt – unbezahlbar für sie.

© Thilo Rückeis

Prenzlauer Berg: Das "Teeater" muss umziehen - wegen Mieterhöhung

Sabine Landsbergers "Teeater" ist einer der Läden, die Prenzlauer Berg liebenswert machen. Jetzt muss er umziehen.

Wenn etwas für die Ecke Prenzlauer Allee/ Raumerstraße typisch ist, dann ist es dieser süße Geruch nach Sommer, Blumenwiese, Kindheit. 150 Schritte weiter leuchtet eine Markise aus dem Baustellendschungel hervor, so gelb wie die vier Meter hohen Sonnenblumen, die jedes Jahr davor blühen: „Teeater“.

"Hier können Sie etwas finden, auch wenn Sie gar nichts suchen", steht auf der dunkelgrünen Tafel am Eingang geschrieben. Regale voller roter und grüner Teedosen ziehen sich an den Wänden hoch. Hinter der Theke steht eine zierliche Frau, früher Straßenbahnfahrerin, Berliner Original ohne Schnauze: Sabine Landsberger, 65, füllt lose Teeblätter der Kaiserknospe in eine kleine Tüte und stellt diese auf die rote Bizerba-Waage, die noch mechanisch wiegt. „Wenn mir ein Tee nicht selber schmeckt, dann verkaufe ich den nicht, da kann der mit Heinrich Heines Worten beschrieben sein.“

Mieterhöhung um 100 Prozent

Das Teeater ist bunt wie ein Wimmelbild. Ein Paradies für Teegenießer, Postkartenschreiber und Geschenkesucher, sagen Kunden. Zwei Jahrzehnte im Kiez haben das Teeater zu einem Treffpunkt gemacht. 400 Stammkunden, einzelne kommen aus Petershagen, Schöneiche, Lübeck, Hannover. Manche seit 20 Jahren. Doch am 18. Februar lässt Sabine Landsberger ihre Kunden via Facebook wissen: "Kündigung des Mietvertrages durch den Eigentümer zum 30.06.17.“

Die Alternative: Eine Mieterhöhung von 100 Prozent. „Mir war klar, dass ich irgendwann dran bin, aber nicht so“, sagt Landsberger. An einem Wochenende rechnet Sabine jeden Tee durch, überlegt, wie viel teurer jede Sorte werden müsste, um die Mieterhöhung zu stemmen – wenn auch mit großen Bauchschmerzen.

Teeater unerwünscht

Sie bittet um eine kurze Laufzeit im neuen Vertrag, zwei, drei Jahre vielleicht. Der dänische Immobilien-Investmentfonds, dem das Haus gehört, sagt nach vielen Nachfragen: Nein, kurze Laufzeiten, das geht nicht. Da steht die Anzeige für den Laden schon längst im Internet – noch viel teurer und mit dem Satz versehen: Kurze Laufzeiten möglich. Heißt: Teeater unerwünscht. Kunden und Anwohner sind bestürzt. Das Teeater habe doch Bestandsschutz, als Original im Kiez.

Irgendwann ist das Viertel blank geputzt, über das die nächste Gentrifizierungswelle schwappt. Nach der Wende hatte die alternative Szene den Kiez nahe dem Helmholtzplatz – zu DDR-Zeiten vor allem eine Arbeitergegend – für sich entdeckt, weil es viel Leerstand gab. Reihum öffneten Kneipen, Cafés und Läden. Doch je angesagter die Gegend wurde, desto größer wurde der Druck auf die Alteingesessenen.

Häuser wurden saniert, die Mieten erhöht, nach und und zogen Betuchtere her. Bis heute hält der Austausch der Bevölkerung an; die Fluktuation bei Läden ist groß.

An einem Morgen im Februar betritt Jutta Overmann den Teeladen. Vor drei Jahren sind sich die beiden Frauen das erste und einzige Mal begegnet, zufällig im Zug nach Erfurt. Jutta Overmann, Unternehmensberaterin, fragt: Wie geht's? Sabine Landsberger antwortet: Das ist gerade die falsche Frage. Und erzählt. Aufhorchen. Overmann sucht einen Untermieter für ihre Bürogemeinschaft in der Dunckerstraße 78. Drei Räume, der vordere geht zur Straße raus, der könnte sich als Laden eignen.

Und Sabine Landsberger macht etwas, was sie eigentlich nie mitten am Tag macht: Sie nimmt ihren Schlüssel und schließt das Teeater zu. Läuft die Raumerstraße runter, biegt rechts in die Duncker und bleibt aufgeregt vor dem Schaufenster der Nummer 78 stehen. Hoffnung. So ein Glück. Und so nah. Ja, das könne sie sich vorstellen.

Es geht weiter

Die neue Hausverwaltung stimmt zu. Eine Anwältin hilft beim Untermietvertrag. Nach einigen Wochen ist klar: Es geht weiter! Ab 1. Juli.

400 Meter trennen die Raumer 29 von der Duncker 78. Das sind 400 Meter, die ein Laden der 1000 Dinge, wie das Teeater, ohne eigenes Auto erst einmal überbrücken muss. Am Freitag organisiert Sabine Landsberger eine Umzugskette. Etwa 100 Kunden und Anwohner haben schon zugesagt. Und dann werden Teetassen, Kannen und Postkartenkartons weitergegeben, bis diese in der Duncker ankommen.

Manche Anwohner wollen Plakate mitbringen, Ladenbesitzer aus dem Kiez machen mit. 400 Meter Solidarität. Und ein Zeichen der Wut gegen Gewerbe-Gentrifizierung: Schaut mal, was vor eurer Nase mit den kleinen Geschäften passiert.

Ein letztes Mal stellt Sabine Landsberger in der Raumerstraße den bunten Postkartenständer vor die Tür und den kleinen runden Tisch mit den zwei Stühlen. Ihre Stimme ist an diesem Morgen etwas heiser, die Augen blinzeln vielleicht ein wenig öfter als sonst.

Noch am Abend werden die ersten Kisten gepackt. Die Duncker 78 kann kommen, die Raumer 29 ist zu. Und auf der dunkelgrünen Tafel, rechts an der Wand neben der Eingangstür, steht mit roter und weißer Kreide geschrieben: „Hier kein Teeater mehr.“ In jedem Sinne.

Der Berlin-Monitor zeigt Ihre Meinung zu den großen Themen der Hauptstadt. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite