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Ohne Widerstand ließ sich der mutmaßliche Täter abführen.

© Thomas Schröder

Update

Gewalttat vor Zwangsräumung: Mieter sticht Vermieter-Ehepaar nieder

Außer Lebensgefahr sind mittlerweile ein Mann und eine Frau, die am Montagmorgen von ihrem Mieter niedergestochen wurden. Eine geplante Zwangsräumung in Friedrichshain war eskaliert. Der mutmaßliche Täter ließ sich anschließend widerstandslos festnehmen.

Eine geplante Zwangsräumung in Friedrichshain ist Montagmorgen eskaliert: Offenbar aus Verzweiflung über die bevorstehende Räumung seiner Wohnung hat ein 51-Jähriger in der Simon-Dach- Straße das Vermieterehepaar mit einem Messer niedergestochen und dabei lebensgefährlich verletzt. Die Opfer erlitten schwere Verletzungen an Oberkörpern und Kopf. Die Frau und der Mann, beide 66 Jahre alt, wurden in ein Krankenhaus gebracht und dort operiert; sie sind mittlerweile außer Lebensgefahr. Die Mordkommission der Polizei ermittelt.

Nach bisherigen Erkenntnissen hat Mieter Roland W. gegen 9.40 Uhr das Ehepaar, dem auch der Altbau gehört, im Flur abgepasst. „Dort kam es zum Streit“, sagte ein Polizeisprecher. Ein Nachbar hatte den Lärm gehört, das verletzte Ehepaar im Hinterhof liegend entdeckt und Polizei und Rettungsdienst verständigt. Die Zwangsräumung mit der Gerichtsvollzieherin war für zehn Uhr vereinbart worden. Die genauen Gründe dafür seien der Polizei nicht bekannt.

Der mutmaßliche Täter blieb laut Polizei auf einem Treppenabsatz hocken und ließ sich widerstandslos festnehmen. Nach der Tat hatte er jedoch mehrere Feuer in seiner Wohnung entfacht und die Wasserhähne aufgedreht. „Er wollte die Wohnung offenbar total verwüsten“, sagte ein Ermittler. Doch das Feuer konnte rechtzeitig gelöscht werden. Der 51-Jährige wies selbst eine Kopfverletzung auf. Unklar ist, ob er sich diese selbst beigefügt hat oder ob sie im Handgemenge mit dem Eigentümerehepaar entstanden ist.

Der Tatort – vor dem am Morgen etliche Polizei- und Feuerwehrautos parkten – befindet sich in der belebten Simon-Dach-Straße nahe dem S-Bahnhof Warschauer Straße. Die meisten Häuser sind in den vergangenen Jahren saniert worden. „Im Vorjahr erhielten wir eine Mieterhöhung um 20 Prozent“, sagte eine Mieterin aus dem Haus mit der Nummer 27, in dem sich die Tragödie ereignete. Wie eine andere Mieterin erzählte, hat es „schon oft“ Auseinandersetzungen zwischen dem womöglich zahlungsunwilligen Mieter und den Eigentümern gegeben. „Es gab wohl einen ziemlich langen Rechtsstreit“, meinte sie. Wie Polizisten berichteten, machte die Wohnung einen „zugemüllten Eindruck“. Sie hätten Mühe gehabt, sich überhaupt einen Weg durch die Zimmer zu bahnen. Durch die Zerstörungen ist die Wohnung unbewohnbar. Die Gerichtsvollzieherin erlitt bei ihrem Eintreffen einen Schock.

Immer wieder kommt es bei Zwangsräumungen zu gewalttätigen Übergriffen. Erst im Juli erschoss in Karlsruhe ein Geiselnehmer Gerichtsvollzieher, Wohnungsbesitzer, einen Schlüsseldienstmitarbeiter, seine Lebensgefährtin und sich selbst. Einen Monat zuvor hatte in Wedding ein psychisch labiler 60-Jähriger vor der Wohnungsräumung mehrere Feuer im Flur gelegt und auf der Flucht seinen Schäferhund erschossen.
Vor sechs Jahren passte ein 76-Jähriger in Moabit den Gerichtsvollzieher im Treppenhaus ab und stach dem Mann mit einem Messer in den Rücken. In Schöneberg wurde 2001 ein Schlosser mit einem Messer attackiert, nachdem er die Tür für den Vollzieher geöffnet hatte. In Wedding wurde ein Gehilfe des Vollziehers 1993 mit einer Axt attackiert.

Gewalt bei Zwangsräumungen sei immer wieder ein Thema, berichtet ein Gerichtsvollzieher, der seinen Namen nicht nennen möchte. Wie häufig die Vollstrecker attackiert werden und in welchem Maße, ist unklar. Die Zahl der Räumungen und Angriffe auf Beamte würde nicht gezählt, heißt es. Sprechen möchte darüber niemand.

Für die Polizei sind gewaltsame Übergriffe offenbar eine Ausnahme. „Das ist bei der Polizei kein Thema“, sagt Klaus Eisenreich von der Berliner Gewerkschaft der Polizei. Eine Polizeisprecherin bestätigte dies. Normalerweise gingen Räumungen problemlos vonstatten, sagt Eisenreich. Allerdings ist die Polizei auch nur in Ausnahmefällen dabei. Die Beamten würden nur eingeschaltet, wenn es sich um ganze Häuser handele oder wenn eine konkrete Gefahr wie beispielsweise Waffenbesitz vorliege. Die Gerichtsvollzieher bäten nur selten um polizeilichen Beistand. Spezielle Tipps zum Umgang in solchen Situationen gebe es nicht. Ein Großeinsatz für die Polizei war beispielsweise die Räumung des Wohnprojekts „Liebig 14“ im Januar vergangenen Jahres. Dabei wurden 61 Polizisten verletzt – in der ersten Reihe stand auch da ein Gerichtsvollzieher mit dem Räumungstitel in der Hand.

Vermieter sollten die Räumung dem Gerichtsvollzieher überlassen, rät Dieter Blümmel vom Unternehmen „Haus und Grund“, das in Berlin die Interessen von 10 000 Vermietern vertritt. „Vermieter sollten sich heraushalten, so spart man sich Konfrontationen. Vor allem, wenn es im Vorfeld Auseinandersetzungen gab“, sagt Blümmel. Gewalt bei Zwangsräumen käme dennoch „so gut wie nie“ vor. Im Falle der Attacke in Friedrichshain sollte der Angreifer noch am Abend von der Mordkommission vernommen werden. Am Dienstag soll er einem Haftrichter vorgeführt werden.

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