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Quer durch den Park, gemeinsam, aber doch jeder für sich: Im Volkspark Friedrichshain trafen sich am Samstagabend viele Pokemon-Go-Fans.

© DAVIDS/ Florian Boillot

Pokémon-Go-Event in Berlin: Feenstaub im Volkspark

Eine gemeinsame Pokémon-Jagd im Volkspark Friedrichshain: Am Samstagabend trafen sich rund tausend Fans zur gemeinsamen Monsterjagd. Unser Autor war dabei.

Es ist ein lauer Sommerabend im Volkspark Friedrichshain, doch plötzlich schauen die Picknicker von ihren Decken auf und die Griller lassen ihre Würstchen liegen. Irritiert beäugen sie die vorbeiziehende Karawane von Menschen, die starr auf ihre Smartphones blicken und mit Spaziergängern kollidieren. „Wie lange bleiben die denn hier stehen?“, fragt ein Hängematter-Hänger und blickt sich um. „Vielleicht sind wir ja die Pokémon und die suchen uns“, antwortet seine Sitznachbarin.

Aber die Hunderten Handyhalter haben gar kein Auge für das Parkpublikum übrig. Die Spieler sind einem Facebook-Aufruf gefolgt, zu einer Pokémon-Go-Nachtwanderung am Samstagabend in Berlin. Über 2000 Teilnehmer wollten kommen und die kleinen Fantasiewesen jagen, 8000 weitere Sammler bekundeten zumindest Interesse.

Vor Ort zu sehen sind grob geschätzt 1000 Nachtwanderer. Viele der Gekommenen vermitteln den Eindruck, auch häufig bei Comicmessen oder Live-Rollenspielen unterwegs zu sein. Aber die Besucherschaft ist überraschend bunt gemischt: Nerds, Gothic-Rocker, Schulcliquen, Eltern mit und ohne Kinder, Saufausflüge, Hipster, die das hier natürlich nur ironisch meinen, englischsprachige Touristen und vereinzelte Kopftücher sind zu sehen. Verkleidet ist fast niemand, die Uniform ist das leuchtende Handydisplay.

Sie alle verbindet die Begeisterung für das Spiel Pokémon Go, das seit zweieinhalb Wochen in Deutschland erhältlich ist und einen wahren Hype ausgelöst hat. In Berlin gab es bereits eine Nachtwanderung auf dem Tempelhofer Feld, deutschlandweit gibt es sie fast überall. Die bisher wohl größte Aktion sollte vom Alexanderplatz starten, aber zog wegen des großen Andrangs in den Volkspark Friedrichshain um, weshalb wiederum viele Enttäuschte doch fernblieben.

"Oh, ein Ente-Mon!"

Es sind trotzdem zahlreiche Monsterjäger in den Park gekommen, um 20 Uhr an den kleinen Teich, Richtung Platz der Vereinten Nationen. Aber für die Natur haben sie keinen Sinn. Als eine Ente quakt, ruft jemand: „Oh, ein Ente-Mon!“

Sie befinden sich in einer Parallelwelt. Wenn sie auf ihr Handy blicken, ist die Parklandschaft nicht grün, sondern abendblau. Und wenn sie laufen, bewegt sich ihre Spielfigur auf der GPS-Karte in die gleiche Richtung, wie beim Navi im Auto. In dem virtuellen Zauberwald ragen türkise Säulen empor, umwirbelt von violettem Feenstaub, der Pokémons anlockt. Die kleinen Fantasiewesen sehen aus wie orangefarbene Krabben, gelbe Rüsselschweine oder blaue Schildkröten. Wenn die Handykamera angeht, wirkt es, als würden wirklich vor einem Pokémons auf dem Parkweg herumwuseln. Um sie zu fangen, muss man mit einem Fingerwisch Bälle auf sie werfen. Erweiterte Realität, "Augmented Reality", nennt sich die Technik, der letzte Schrei. Ohne Handy wäre das alles gar nicht da.

So spielen hier alle zusammen, aber doch jeder für sich. „Die Leute socializen und connecten sich“, sagt dennoch Alex, der mit seinem Cousin Benny gekommen ist. Der 27-Jährige wollte sehen, wie viele Leute wirklich kommen und auch ein paar seltene Pokémons für seine Sammlung fangen. „Aber bis jetzt ist nichts Besonderes dabei.“ Immer wieder fällt das Netz aus oder das Spiel stürzt ab. „Es hat noch viele Macken“, sagt er. Trotzdem könne man auf der Museumsinsel oder am Potsdamer Platz bereits jetzt jeden Abend gut hundert Spieler antreffen. Dort hetzen dann gelbe, blaue oder rote Teams ihre hochgezüchteten Monster in fiktiven Arenen aufeinander. „Manchmal gibt es da bissige Kommentare“, sagt Alex, „aber oft weiß man gar nicht, gegen wen man spielt, obwohl man vielleicht direkt nebeneinander sitzt.“ Die Nachtwanderer, so wirkt es, kommen zwar immer wieder ins Gespräch, über den neuesten Fang. Aber dann starren sie schnell wieder aufs Display und laufen weiter.

Rund um den Teich stechen Mücken die Spieler. In der Realität machen die kleinen Wesen Jagd auf die großen. Doch die Nachtwanderer merken das kaum. Als es zu tröpfeln beginnt, spannen sie einfach Regenschirme auf. „Echte Profis haben wasserdichte Handys“, sagt einer.

Jagd beim Joggen oder im Aldi

Pärchen gehen Arm in Arm, jeder blickt auf sein Smartphone. „Akku!“, ruft jemand verzweifelt. Jogger kämpfen sich fluchend durch die Karawane, die den Park durchzieht. Die Spieler schweben umher wie auf einer Wolke aus Nostalgie. „Ich habe schon in meiner Schulzeit mit Pokémons auf dem Gameboy gespielt“, schwärmt Matthias. Der 27-Jährige sagt, er zücke nun immer wieder das Handy und jage unterwegs, „beim Joggen oder im Aldi“. Wie alle Interviewpartner hört er auch während des Gesprächs nicht auf, an seinem Handy herumzufingern.

Alois erzählt, er sei schon schon mal suchend mit dem Fahrrad gegen ein Verkehrsschild gefahren. Er sieht aber auch die Vorteile an Pokémon. „Dadurch gehen wir öfter zusammen mit dem Hund spazieren und ich sitze nicht so viel drinnen“, sagt der 20-Jährige, der mit seiner gleichaltrigen Freundin Josi extra aus Teltow zur Wanderung nach Friedrichshain gekommen ist. Die Artenvielfalt ist hier höher. „Wir gehen aber, wenn es dunkel ist, dann wird es mir unheimlich“, sagt sie und zieht an seinem Arm.

Als es auf Mitternacht zugeht, haben die letzten Wanderer kleine Taschenlampen am Arm oder Handy befestigt. Es gibt offenbar keinen Grund, mit der Pokémon-Jagd aufzuhören.

Die Spiele-App „Pokémon Go“ ist mehr als nur ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Sie sagt viel über unsere digitale Zukunft aus. Ein Kommentar.

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