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Unendliche Landschaft. Die einst zur Trockenlegung des Tiergartens geplanten Wasserläufe mit ihrer abwechslungsreichen Ufergestaltung entsprechen noch heute den Intentionen Lennés.

© Doris Spiekermann-Klaas

Peter Joseph Lenné: Stadt, Park, Fluss

Heute vor 150 Jahren starb Peter Joseph Lenné. Als Hofgärtner für die preußische Krone, aber auch als Stadtplaner prägte er Berlin – mit Grünanlagen, Plätzen und Kanälen. Am Ende kam ihm die Eisenbahn dazwischen.

Von Andreas Austilat

Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass das nicht leicht werden würde. Hier der 26-jährige Schulabbrecher – jedenfalls hatte er mit 16 das Gymnasium in seiner Heimatstadt Bonn verlassen, um erst einmal eine Lehre zu machen. Dort die Riege der altgedienten Hofgärtner, zum Teil haben schon deren Eltern hier gearbeitet. Einer, Georg Steiner vom Schlosspark Charlottenburg, dürfte sogar den König seinen Bruder nennen. Halbbruder wenigstens, er ist der Sohn der Wirtstochter vom Weißen Ross an Potsdams Brandenburger Tor, wo der Vater des jetzigen Königs ganz besonders intensiv eingekehrt war.

Hofgärtner ist ein Topjob, jedenfalls zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wenn man in den Diensten des Königs von Preußen steht. Zwischen 300 und 775 Talern Jahresgehalt sind drin. Nur zum Vergleich: Der Rektor eines Gymnasiums verdient 200, der Bürgermeister von Charlottenburg 613 Taler. Und da geht noch mehr, etwa durch den Verkauf von Schößlingen oder Obst aus den königlichen Anlagen. Machen alle.

In diese Welt tritt Peter Joseph Lenné am 17. Januar 1816 ein, also vor ziemlich genau 200 Jahren. Bald darauf schickt er einen Brief nach Hause. Die Antwort des Vaters, ebenfalls Gärtner, erst in Bonn, dann in Koblenz, kommt prompt: „Dass deine Lage so kritisch unter den vielen Hofgärtnern ist, wie du mir meldest, hätte ich nicht geglaubt“, schreibt er im März und gibt seinem Sohn noch einen Rat mit auf den Weg. Alles werde sicher gut, „wenn du den Herren höflich und vertraut tust und nicht aus dem Gleis als Gärtner heraustrittst“.

Nicht aus den alten Gleisen heraustreten? Da kennt der Vater seinen Sohn schlecht, der eines Tages seinem König sagen wird: „Euer Majestät begreifen immer noch nicht das Geniale meiner Idee!“ Lenné junior wird sich anschicken, die berühmten Schlossgärten von Sanssouci umzugestalten und eine grüne Insel Potsdam schaffen, eine Kulturlandschaft an den Ufern der Havel, die man heute noch Preußisch Arkadien nennt.

Und er wird nicht in Potsdam stehen bleiben. Er wird Berlins Tiergarten zum Volkspark gestalten, wird grüne Oasen in der Stadt anlegen, wie den Mariannenplatz, wird Landwehrkanal und Engelbecken graben lassen, bis sie ihn den Buddel-Peter nennen. Dem König von Bayern gestaltet er die Roseninsel Wörth, den Dresdnern die Bürgerwiese, den Magdeburgern einen Volksgarten, den Kölnern den Garten für die Flora. Harri Günther, bis 1992 mehr als drei Jahrzehnte Gartendirektor von Sanssouci, nennt in seiner Lenné-Biografie über 100 Werke, und das sind nur die wichtigsten Arbeiten. Und er wird ausgezeichnet werden, was er freilich nicht allzu hoch bewertet. Verbürgt ist eine Szene, in der er Gäste im Morgenmantel empfängt, achtlos behängt mit seinen Orden, als wäre es Karnevalskram.

Lenné wird schließlich als Stadtplaner Alleen und Erschließungspläne weit über das damals bestehende Berlin hinaus entwerfen. Und wenn es nach ihm, dem von ihm selbst so benannten Garten-Ingenieur, und seinen Vorstellungen gegangen wäre, dann wäre später vielleicht vom grünen Berlin die Rede gewesen und nicht vom steinernen, wie Werner Hegemann im 20. Jahrhundert über die Mietskasernenstadt schreibt. Oder sogar vom schönen Berlin, denn schön ist eine Vokabel, die Peter Joseph Lenné oft gebrauchen wird bis zu seinem Tod vor exakt 150 Jahren, am 23. Januar 1866. Aber das ist 1816 noch Zukunftsmusik.

Mann fürs Grüne. Peter Joseph Lenné um 1850. Porträt von Carl Joseph Begas.
Mann fürs Grüne. Peter Joseph Lenné um 1850. Porträt von Carl Joseph Begas.

© Wikipedia

Zurück an den Anfang, zum Dienstantritt als Gärtnergehilfe zur Probe.

Zur Probe! Eigentlich eine Frechheit. Lenné hat in Paris gelernt, bei André Thouin, dem Chefgärtner des Jardin des Plantes. Wahrscheinlich kannte er auch dessen Bruder Gabriel Thouin, der in Frankreich für die „Jardins romantiques“ steht, die französische Variante des Landschaftsgartens. Aus England kommend, ist der zu dieser Zeit der letzte Schrei in Europa.

Der Landschaftsgarten ist etwas vollkommen anderes als das symmetrische Schmuckgrün, das die Franzosen und nach ihnen praktisch alle barocken Fürsten Europas seit Jahrhunderten vor und hinter ihre Schlösser pflanzten. In diesen barocken Hofanlagen regieren Lineal und Zirkel, dort flaniert man auf knirschendem Kies, sind Bäume und Büsche beschnitten wie Kunstwerke. Und der Schlossherr sieht schon von Weitem, wer sich da auf den schnurgeraden Alleen nähert.

Dem Landschaftspark, wie er zuerst in England entsteht, sind im Geist der Aufklärung die künstlichen Fesseln genommen, dort lässt man der Natur freien Lauf. Jedenfalls sieht es so aus wie Natur, denn selbstverständlich ist auch diese Landschaft von Menschen gemacht. Doch die Vision von fernen Weiten und verschlungenen Pfaden muss man erst einmal hinkriegen.

Wer aber kann so einen Park anlegen? In Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht viele. In Wörlitz ist es dem Fürsten von Anhalt-Dessau 1775 als erstem gelungen, sich ein heute noch bewundertes Gartenreich zu schaffen. In München hat Friedrich Ludwig von Sckell den Englischen Garten angelegt, begonnen im Revolutionsjahr 1789. Der junge Lenné studiert ihn genau und reist nach Wien, wo er den Schlosspark Laxenburg entwirft und den pompösen Titel Kaiserlicher Garten-Ingenieur verliehen bekommt. Leider ist das Gehalt nicht besonders kaiserlich.

Am preußischen Hof ist man auf den jungen Mann aufmerksam geworden, lockt ihn schließlich nach Potsdam. Der große Friedrich ist seit 30 Jahren tot, sein königlicher Park in keinem guten Zustand mehr und der junge Mann, der schon Paris gesehen hat und Wien, könnte doch mal einen Plan machen, ganz unverbindlich zunächst, weshalb von Festanstellung nicht die Rede ist.

Lenné entwirft ein neues Konzept für den Neuen Garten, ohne die schnurgerade Hauptallee und wie zur Parade angetretene Hecken. Stattdessen sieht er Baumgruppen vor und eine kleine Seenlandschaft mit vielen Buchten. Ein Aquarell zeigt das Landschaftsbild in der Kavaliersperspektive, also von schräg oben, die Bäume werfen sogar Schatten. Lenné wird seine Pläne immer so zeichnen und oft die geplanten Sichtachsen, die ihm so wichtig sind, extra hineinstricheln.

Realisiert wird sein Vorschlag erst einmal nicht. Vielleicht doch zu radikal? Oder einfach nur zu teuer? Lenné zeichnet neu – und noch mal neu. Da trifft es sich, dass ein anderer sich auch für ihn interessiert: Staatskanzler Hardenberg, der nach dem König mächtigste Mann im Königreich Preußen, hat das Schloss Glienicke an Berlins Grenze zu Potsdam bezogen und engagiert Lenné.

Auch der Anfang in Glienicke kann nicht leicht gewesen sein. 1816 wird als Jahr ohne Sommer in die Geschichte eingehen. Ein Vulkanausbruch in Indonesien hat die Atmosphäre verfinstert, in Europa und Nordamerika kommt es zu Missernten und Hungersnot, im Juni schneit es in Teilen Südwestdeutschlands sogar im Flachland. In Berlin klagt der Autor Karl Varnhagen von Ense seinem Freund Friedrich Cotta, dass der Mai ungewöhnlich trüb sei. Für einen Gärtner muss das Wetter ein Albtraum sein. Doch Lenné legt los.

Es wird eine Lebensaufgabe, denn bis zu seinem Tod hat Lenné ein Auge auf Glienicke, erst für Hardenberg, dann für den Prinzen Carl, dritter Sohn des Königs. Glienicke wird sein Meisterstück, ist seit 1990 Teil des Unesco-Welterbes „Potsdamer Schlösser und Gärten“. Dabei war der Park lange vernachlässigt, kaum mehr als solcher zu erkennen, bis zu seiner Restaurierung in den 80er Jahren. Und auch heute, im Lenné-Jahr, sind große Teile nicht ungefährdet (siehe oberen Kasten).

Nach zwei Jahren dann die Überraschung: Ein neues Angebot aus Potsdam. Und es gibt da ein paar Zusatzvereinbarungen, in denen der königliche Hofmarschall seiner gärtnernden Belegschaft, auch dem bis dahin beinahe allein regierenden Gartendirektor Johann Gottlieb Schulze, klar macht, dass Lenné fortan ihnen im Rang gleichgestellt ist. Ganz genau schreibt der Marschall: „Ich mache den Herren Hofgärtnern hierdurch bekannt, dass sie den Anordnungen des Herrn Lenné ebenso Folge zu leisten haben, als wären sie von mir oder dem Gartendirektor ergangen.“

Wie denn, ein 28-jähriger Zugereister? Jawohl, es handelt sich nämlich um jemanden, der „die Gartenkunst erlernt hat und ein Mann ist, der gründliche Kenntnisse und Geschmack hat“. Das saß, zumal Schulze es doch schon einmal schriftlich bekommen hatte, zwar ein braver Mann zu sein und sich Verdienste um die königliche Baumschule erworben zu haben, aber „nicht die geringste Kenntnis von der Gärtnerei“ zu haben. Und Schulze? Wird vergeblich hoffen, dass der Neue seine Tochter heiratet, wird schimpfen – dieser Lenné, der hat ja nicht mal gedient in des Königs Armee! – und endlich in Pension gehen.

Lenné hat seinerseits dazugelernt. Er wird seine Vorschläge vorsichtiger dosieren, das Alte integrieren. Es kommt der Auftrag zur Umgestaltung und zum Ausbau Sanssoucis. Auch diese Aufgabe wird ihn sein Leben lang beschäftigen. Denn dazu gehören die Umgestaltung von Pfingst- und Ruinenberg, die Errichtung der russischen Kolonie Alexandrowka, die Anlage des Parks Charlottenhof für den Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm IV., die Neugestaltung der Pfaueninsel, den Marlygarten in Sanssouci, den viele für seine schönste Arbeit halten, den Sizilianischen und den Nordischen Garten. Wäre es dabei geblieben, Lenné wäre ohne Frage als großer Gärtner in die Geschichte eingegangen, und irgendwann wäre sein Name nur noch Experten bekannt gewesen. Aber das tat es nicht.

Der Tiergarten wird zum Volksgarten

Verschönerungsplan. So nennt Lenné seinen Entwurf für den Tiergarten von 1832, auf dem er Knobelsdorffs schnurgerade Große Siegesallee mit mäandernden Wegen umlagert.
Verschönerungsplan. So nennt Lenné seinen Entwurf für den Tiergarten von 1832, auf dem er Knobelsdorffs schnurgerade Große Siegesallee mit mäandernden Wegen umlagert. Auf dem Gelände links unten befand sich einst die königliche Fasanerie. 1844 wird hier der Zoologische Garten angelegt.

© Roland Handrick/SPSG

Szenenwechsel, Lennéstraße in Berlin-Tiergarten. Haus Nummer 1 an der Ecke Ebertstraße ist heute ein Büro- und Wohngebäude, einst stand hier die Dienstvilla von Peter Joseph Lenné, errichtet vom Architekten Persius. Als Lenné 1838 mit seiner Frau Friederike, Tochter des Hofgärtners Voss, zwei Papageien und zwei Neufundländern einzieht – das Paar hat keine Kinder –, heißt die Straße noch Thiergartenstraße. Ein Jahr später trägt sie Lennés Namen. Nun hat der Mann auch noch eine eigene Straße! Zu Lebzeiten!

Anfang Januar 2016 steht hier noch der Gitterzaun, der um die Jahreswende den gesamten Tiergarten umfasste – um den Zugang zur Silvester-Festmeile kontrollieren zu können, und um Schaden für den Park abzuwenden, wenn die erwarteten Massen hineinströmten. Jetzt aber wird der Park nur von wenigen Spaziergängern und Joggern genutzt. Klaus von Krosigk führt zur Luiseninsel im südlichen Teil unweit der Lennéstraße, weist auf eine der Informationstafeln, die überall im Park angebracht sind. Die Tafeln gibt es seit den 80er Jahren, damals war von Krosigk Chef der Berliner Gartendenkmalpflege, ein Amt, das erst mit seinem Dienstantritt 1978 geschaffen wurde. Ein Jahr, bevor Gärten in West-Berlin laut Gesetz Denkmäler werden konnten, zu jener Zeit ein Novum in der Bundesrepublik. Allerdings blieb von Krosigks Amt ein Intermezzo, seit seiner Pensionierung 2012 hat das Referat Gartendenkmalpflege keine eigene Spitze mehr.

Das Schild an der Luiseninsel zeigt ein Foto aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, das Luisen-Denkmal steht ziemlich verloren in einer ruinierten Einöde – von dem waldähnlichen Park, der jetzt hier aufragt, ist keine Spur. Nur 700 der 200.000 Bäume des Tiergartens hatten Krieg und Brennholzhunger der unmittelbaren Nachkriegszeit überstanden. Einer der raren Baumveteranen wächst heute südlich der Rousseauinsel, eine an die 250 Jahre alte Eiche. Noch 50 Jahre älter ist eine Eiche drüben auf der Nordseite am Carillon, an der fuhr noch der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I mit der Kutsche vorbei.

Der Tiergarten hat eine 500-jährige Geschichte, diente jedoch einst allein dem Vergnügen der Landesherren. Auch damals war er von einem Zaun eingefasst, allerdings nicht, um die feiernden Massen draußen zu halten, sondern um das Wild darin einzusperren. Er war das Jagdrevier der Hohenzollern: weit, aber nicht zu weit vor der Stadt, vom Schloss an der Spree noch bequem zu erreichen.

Erst als der letzte Kurfürst, der 1701 als Friedrich I erster König in Preußen wurde, seiner Frau Sophie Charlotte das Dorf Lietzow schenkte und zur kleinen Residenz Charlottenburg ausbauen ließ, fing man an, sich Gedanken um den Weg dorthin zu machen. Der war nämlich bei Hochwasser der Spree oft unpassierbar. Eine Straße musste her, quer durch den Tiergarten – die heutige Straße des 17. Juni, die freilich erst sehr viel später so breit wurde, als sich Hitlers Baumeister Albert Speer ihrer annahm.

Unter Friedrichs Sohn Friedrich Wilhelm I erreichte die Stadt den Pariser Platz, der 1732 angelegt wurde – ohne Brandenburger Tor, das kam erst 56 Jahre später. Obwohl selbst begeisterter Jäger, ließ Friedrich Wilhelm I den Zaun niederlegen und verfügte in der ihm eigenen Diktion: „Sol nichts gemacht werden, sol kein tirgarten mehr sein.“ Sein Sohn wiederum, der berühmte Friedrich der Große, ging noch einen Schritt weiter, er ließ den Tiergarten durch seinen Leibarchitekten Knobelsdorff zu einem Park für alle ausbauen. Inzwischen gab es an der heutigen John-Foster-Dulles-Allee auf Höhe der Kongresshalle eine Reihe von Festzelten, nach ihnen hieß die Straße Zeltenallee. Sie war die erste Feiermeile Berlins, der Partybezirk, auch wenn der noch vor der Stadt lag. Aber es machte den benachbarten Tiergarten noch beliebter.

Vielleicht erstmals in Europa versammelte sich hier keine höfische Gesellschaft zu einer „Fête galante“, wie von Krosigk in einem Buch über den Tiergarten ausführt, sondern „eine bürgerliche Gesellschaft, die sich selbstbewusst in ihrer freien Zeit durchaus handfesten Vergnügungen im Tiergarten hingab“. Gegrillt wurde nicht, Fußball spielte keiner, das Picknick war dagegen schon bekannt, ebenso Federball. Und nicht nur gutbürgerliche Kreise drängte es in die Natur, auch die Armen kamen. Was nicht verwundert, bezog doch ein Drittel der Berliner Bevölkerung zu Friedrichs Zeiten Armenunterstützung.

Nur konsequent, dass sich Lenné auch des Tiergartens annimmt, um ihn in einen Volksgarten umzugestalten, wie er das nennt. Er ist, wie Heinz Ohff, früher Kulturchef des Tagesspiegels, 1989 in seiner Lenné-Biografie schrieb, der letzte Romantiker unter den Gartengestaltern. Aber anders als seine Vorgänger, die für die oberen Zehntausend gärtnern, anders als der nur fünf Jahre ältere Fürst Pückler, sein großer Konkurrent, erkennt Lenné, dass sich mit wachsenden Großstädten ganz neue Aufgaben für die Landschaftsgestaltung stellen würden.

Aktiv im Tiergarten. Ab 1833 gestaltet Lenné das Gelände in einen "Volksgarten" um.
Aktiv im Tiergarten. Ab 1833 gestaltet Lenné das Gelände in einen "Volksgarten" um. Er schreibt: "Es ist gewiß, daß geschirmte Plätze, welche zur Bewegung im Freien ermuntern und dieselbe begünstigen, zu den erheblichen Sanitäts-Anstalten einer Stadt gehören."

© Paul Zinken/dpa

Bereits 1822 besucht er das längst viel weiter industrialisierte England. Von dort bringt er nicht nur die Idee für neue Blumenbuketts mit. Er ist auch mehr denn je überzeugt, dass der Mensch Licht, Luft und etwas Grün braucht. Er schreibt: „Es ist gewiß, daß geschirmte Plätze, welche zur Bewegung im Freien ermuntern und dieselbe begünstigen, zu den erheblichen Sanitäts-Anstalten einer Stadt gehören, deren Bevölkerung in engerem Raum zusammengedrängt ist.“

Mit der Idee, den Tiergarten umzugestalten, kann er beim König zunächst nicht landen. Generell begegnete der zu dieser Zeit herrschende Friedrich Wilhelm III. den Dynamiken der Zeit eher bedächtig. Die napoleonischen Kriege hatten das Land ruiniert, das alte Regime an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Den einzigen Ausweg verhießen vom König nur widerwillig genehmigte Reformen. Doch die Aufhebung von Leibeigenschaft und Frondienst, die Gewerbefreiheit, die Bildungsreformen, die Handelbarkeit von Grund und Boden setzten eine ungeheure Dynamik frei. Preußens industrielle Revolution kam spät, aber sie kam. Zwischen 1820 und 1848 verdreifacht sich die Bevölkerung Berlins auf 400.000, noch einmal 25 Jahre später wird die Millionengrenze erreicht sein – und die Zeit auch über Lenné hinweggehen.

Jetzt aber ist er der Modernisierer. In Magdeburg realisiert Lenné seinen ersten Volksgarten. Auftraggeber ist 1824 kein König und kein Fürst, sondern die Kommune. 1833 darf er endlich auch im Tiergarten ran, der, wo er nicht Schmuckanlage ist, mehr einem sumpfigen Wald ähnelt. An seinen Visionen von einem romantischen Landschaftsbild hält Lenné fest. Beim Spaziergang im Januar 2016 zeigt Klaus von Krosigk die Passage links und rechts der Stufenbrücke im südlichen Teil. Es sind vor allem die Wasserflächen im Tiergarten, die heute noch den Intentionen Lennés entsprechen. Wie von ihm gewollt und umgesetzt, vermag der Betrachter kaum zu entscheiden, ob er nun eine Insel vor sich hat oder das Ende des Wasserlaufs. Auf dem begrenzten Platz eines Parks ist das der Versuch, unendliche Landschaften zu suggerieren, unterstützt durch eine variantenreiche Uferbepflanzung, die nicht Spalier steht, sondern vor- und zurückspringt.

Die Gartendenkmalpfleger, die in den 1980er Jahren den Park restaurierten, standen vor der Aufgabe zu entscheiden, welchen Park man eigentlich wiederhaben wollte. „Das ist wie eine Schwarzwälder Kirschtorte mit acht Schichten“, sagt von Krosigk. Auch Lenné achtet bereits das Werk seiner Vorgänger, lässt etwa Knobelsdorffs schnurgerade Große Siegesallee wie sie war.

Vorbildlich integriert. Das von Schinkel erbaute Casino in Lennés Grünanlage im Park Glienicke.
Vorbildlich integriert. Das von Schinkel erbaute Casino in Lennés Grünanlage im Park Glienicke.

© imago/Jürgen Ritter

Dieser Pragmatismus hat gute Gründe. Die Menschenmassen, die sich schon im 19. Jahrhundert an schönen Tagen im Tiergarten einfinden, kann man nicht nur über brezelartig verschlungene Pfade flanieren lassen. Lenné wird im Alter ohnehin kompromissbereiter, als er es in seinen ersten Entwürfen noch ist, verschmäht auch barocke Blumenbuketts nicht, sondern schätzt sie „als Schmuckelement auf der Wiese wie eine Brosche auf der Seidenbluse“, wie von Krosigk heute sagt. Überhaupt die Wiesen. Unmittelbar vor einem Schloss wie in Glienicke, als sogenannter Pleasureground, dürfen sie grün sein wie ein Teppich. Ansonsten haben sie bunt zu sein, durchsetzt mit Wiesenblumen. Und beschattet von kleinen Baumgruppen. Die Wiesen im heutigen Tiergarten, sie dürften Lenné viel zu groß gewesen sein, laufen sie doch Gefahr, in der Sonne zu schnell zu verdorren.

Berlins erste richtige Volksparks, ausschließlich geplant und angelegt zum Nutzen der Bürger, wird dann allerdings nicht Lenné verwirklichen. Im Fall des Tiergartens zermürbt ihn das ständige Hickhack um Kosten und Einsprüche der Verwaltung – er droht sogar mit Kündigung. Auch wenn er an den ersten Entwürfen beteiligt ist, es wird sein Meisterschüler und wichtigster Mitarbeiter Gustav Meyer sein, auf den Berlins älteste echte Volksparks zurückgehen: der Park am Friedrichshain mit dem ersten Spielplatz, der Park am Humboldthain und der Treptower Park mit der ersten Rasenfläche, die ganz offiziell betreten werden darf. Auch den Viktoriapark, mit dem sich Lenné bereits beschäftigt hat, werden andere anlegen.

Lenné selbst wendet sich einem neuen Feld zu: der Stadtplanung. Dazu gehören infrastrukturelle Maßnahmen wie die Anlage des Landwehrkanals zur Entwässerung des Sumpflands und zur Entlastung der Spree. Er schlägt vor, den Verlauf dem vorhandenen Schafgraben folgen zu lassen, weshalb der Kanal zwischen Klingelhöferstraße und Kottbusser Damm eher einem mäandernden Fluss als einer künstlichen Wasserstraße gleicht. Und natürlich wird die Uferbepflanzung ebenso sorgfältig geplant wie beim ebenfalls von Lenné entworfenen Luisenstädtischen Kanal zwischen Urbanhafen und Spree. Der Kanal wurde in den 1920er Jahren wieder zugeschüttet, nur das Engelbecken ist inzwischen wiederhergestellt. Lenné entwirft auch ein Ringstraßensystem aus begrünten Alleen, die der Stadterweiterung eine Form geben sollen, damit sich nicht nur ein endloses Häusermeer ausbreitet. Dazwischen plant er begrünte Plätze, eine Idee, die er ebenfalls aus London mitgebracht hat. Ausdrücklich lobt er die Squares dort als wohnortnahes Grün für Menschen, die nicht die Mittel haben, ins echte Grün zu fahren.

Doch 1861, mit dem Tod seines letzten königlichen Gönners Friedrich Wilhelm IV., dem er einst Charlottenhof entworfen hat, verliert er zunehmend den Kontakt zum Hof. Auf dem Thron sitzt nun Wilhelm I., der sich seinen Babelsberger Park eben nicht von Lenné, sondern – große Potsdamer Ausnahme – von Fürst Pückler hat gestalten lassen. Die einzige Allee, die in Berlin nach Lennés Vorstellungen realisiert wird, ist der sogenannte Generalszug mit der Gneisenaustraße vom Südstern, über Yorck-, Blücher- und Kleiststraße bis zum Wittenbergplatz. Aber auch da kann er sich nicht mehr richtig durchsetzen, wie man am Knick der Yorckstraße bis heute sehen kann.

Luftbild nach Lenné. Er gestaltete auch den gewundenen Lauf des Landwehrkanals (oben im Bild).
Luftbild nach Lenné. Er gestaltete auch den gewundenen Lauf des Landwehrkanals (oben im Bild).

© Tsp/Bartel

Wahrscheinlich liegt es nicht nur daran, dass Lenné den Zugang zum königlichen Hof verloren hat. Vielmehr sieht er zwar voraus, welch neue Bedeutung Grünflächen in der Stadt zukommt. Dabei unterschätzt er jedoch die rasante Dynamik, die die liberalisierte Wirtschaft entfesselt, und den ungeheuren Verwertungsdruck, der nun auf Grund und Boden lastet. Nicht der ehemalige Hofgärtner Lenné, sondern der Abwasserexperte James Hobrecht plant dann die Stadterweiterung mit ihren Mietskasernen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert die Stadt zu prägen beginnen.

Der Gartenbau, in Lennés jungen Jahren noch eine höfische Kunst, gerät darüber zur Dekoration, der man je nach Kassenlage mal mehr, mal weniger Platz einräumt – bis heute. Zu beobachten am rasanten Personalabbau der letzten 20 Jahre in den Gartenbauämtern Berlins, die inzwischen Straßen- und Grünflächenämter heißen.

Diese Entwicklung kann Lenné nun wirklich nicht voraussehen. Ihm wird nach seinem Tod am 23. Januar 1866 noch eine Art Staatsbegräbnis zuteil. Vorneweg wird ein Kranz mit 50 Silberblättern getragen, ein jedes trägt den Namen eines seiner Werke. Eine hübsche Geste. Aber 50 waren eigentlich ein bisschen wenig.

Im Zuge des Lenné-Jahres gibt es zahlreiche Veranstaltungen in und um Berlin. So findet etwa gleich am heutigen Sonnabend um 11 Uhr ein Festakt zum 200. Jubiläum des Parks Glienicke ebenda statt (Eintritt frei). Am 23. Februar liest der Schauspieler Reinhard Scheunemann im Gutshaus Steglitz aus dem Buch „Peter Joseph Lenné“ von Heinz Ohff (10 €, erm. 8 €, Anmeldung unter 707 600 84). Hier finden im Jahresverlauf noch zahlreiche Veranstaltungen statt, etwa über den Bildungsbürger Lenné (5.10., Eintritt frei). Das Jahr beschließt am 25. November die Verleihung des Peter-Joseph-Lenné-Preises, einem Nachwuchs-Ideenwettbewerb zur Garten- und Landschaftsarchitektur, in der Akademie der Künste. Mehr Informationen auf der offiziellen Homepage des Lenné-Jahres unter www.peter-joseph-lenne.de

Dieser Text erschien zunächst in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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