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© Kitty Kleist-Heinrich

Orte der Stille: Die Stube des Schauspielers

Im "Finovo" auf dem St.-Matthäus-Kirchhof findet man Ruhe zwischen Nippes und Omas Möbeln. Bernd Boßmann betreibt Deutschlands einziges Friedhofscafé. Für ihn ist es sein zweites Zuhause.

Manchmal, wenn ich zur Arbeit in unser Café gehe, komme ich mir vor wie vom Schicksal verwöhnt. Wer hat schon zwei Zuhause, in denen er sich richtig wohlfühlt? Bei mir ist das so. Das Café Finovo wirkt doch wie eine Wohnstube, und meine Wohnung gleich um die Ecke an der Großgörschenstraße ist ähnlich anheimelnd.

Oft realisiere ich gar nicht, dass ich zum Dienst unterwegs bin. Es gibt ja Eindrücke, über die man sich immer wieder freuen kann. So ergeht es mir auf dem Weg zum Finovo. Ich laufe durch das von Efeu umrankte Steintor des Alten St.-Matthäus-Kirchhofs in Schöneberg, die Gittertür quietscht in den Angeln. Dann öffnet sich vor mir die Allee zu dieser romantischen Gräberstätte, und ich sehe gleich links hinterm Tor unser Caféhäuschen mit dem Ziegeldach, der Rundbogentür und der lebensgroßen, in Stein gehauenen Frauenskulptur, die am Eingang hockt, davor die Café-Terrasse, auf der man sich im Sommer, geborgen zwischen Geranien und Rosen, entspannen kann. Blumen gehören zum Café wie der Cappuccino. Schließlich betreiben wir hier auch das Blumenlädchen „Roter Mohn“.

2006 habe ich das Finovo eröffnet – Deutschlands erstes Friedhofscafé. Seither werden meine Mitarbeiterinnen Nicole, Natascha und ich häufig gefragt: Was bedeutet eigentlich der Name? Er enthält die lateinischen Wörter „Fin“ und „Novo“ für Anfang und Ende. Nichts endet, bevor nicht auch etwas Neues beginnt. In diesem Sinne soll der Name Trost sein und Mut machen.

Von der Ausbildung her bin ich eigentlich alles andere als Caféhausbesitzer. Am Niederrhein aufgewachsen, habe ich erst Krankenpflege gelernt. Ab 1984 ging ich in Berlin auf eine Akrobatik- und Schauspielschule. Danach trat ich im Chamäleon-Varieté in Mitte auf, spielte im Kölner Kaiserhof-Theater und auf anderen Bühnen. Außerdem bekam ich Filmrollen. Die für mich wichtigste gab mir Regisseur Rosa von Praunheim 1992 im Streifen „Ich bin meine eigene Frau“ über das Leben von Charlotte von Mahlsdorf. Darin spielte ich Berlins bekannteste Transsexuelle. Sie hat ja im Gutshaus Mahlsdorf Deutschlands größtes Gründerzeitmuseum aufgebaut. Deshalb denke ich heute manchmal: Mensch, Lottchen, wenn du nicht 2002 gestorben wärst, kämst du bestimmt total gerne ins Finovo, wegen all dem Nippes und Firlefanz und den behaglichen Omamöbeln.

Wieso ein Café auf dem Friedhof? Ich weiß aus Erfahrung, wie sehr man sich nach einem mal traurigen, mal schönen Kirchhofbesuch danach sehnt, einen Pott Kaffee zu trinken und dabei in sich gekehrt alleine zu sein. Oder aber mit anderen Friedhofsbesuchern bei Gebäck oder einer wärmenden Suppe noch ein Weilchen zusammenzusitzen. Das geht nicht in irgendeinem Café in der Stadt, sondern nur innerhalb der Aura dieser Begräbnisstätte. Ich liebe den Alten St.-Matthäus-Kirchhof mit seiner teils verwilderten Pflanzenwelt, den eigenwilligen Bäumen und Grabskulpturen. Seit vielen Jahren finde ich hier bei Spaziergängen innere Ruhe. Da fiel mir 2005 das leer stehende Häuschen des früheren Friedhofsverwalters auf. Ich hatte sofort die Idee: Wäre doch toll, hier ein Café aufzumachen!

Freunde haben mir geholfen, alles selbst zu renovieren – als wär’s mein Zuhause. Ganz ohne Perfektionismus und nagelneue Dinge. Die Gaststube sollte aussehen, als sei sie bewohnt und schon immer da. Das nimmt den Menschen die Furcht einzutreten. Sieht es hier nicht schnuckelig aus? Das warme Gelb der mit Blumenmalereien verzierten Wände, das liebevoll zusammengewürfelte SecondHand-Mobiliar, Buchregal, Teewagen und die Zuckerdosen auf den Stickdecken.

Von Beginn an war das Café gut besucht. Friedhofsführungen enden hier, Selbsthilfegruppen kommen zusammen, etwa die Eltern von Kindern, die, kaum geboren, sterben mussten und jetzt im „Garten der Sternenkinder“ ruhen. Andere machen sich nach der Grabpflege bei uns wieder fit. Hier wird geheult und gelacht. Viel von der Selbstdisziplin, die man draußen braucht, wird abgelegt. Man muss sich nicht erklären, kann einfach da sein. Ich sehe oft Gäste, die allein sitzen und plötzlich miteinander ins Gespräch kommen.

Mir selbst gibt das Finovo auch Kraft für weitere Engagements. Ich gehöre etwa zum Ensemble der Berliner „O-Ton-Piraten“. Für unsere Playbackshows, für Kinder- und Seniorentheater eröffnen wir im Januar sogar ein eigenes Theater an der Kulmer Straße in Schöneberg. An Heiligabend bin ich aber ganz sicher hier im Finovo, auch wenn nur ein Gast kommt. Mein zweites Zuhause soll für alle da sein, die es brauchen. Aufgezeichnet von

Christoph Stollowsky

Café Finovo, Großgörschenstraße 12–14, täglich 10–16 Uhr (im Sommer bis 20 Uhr), Tel. 20 61 55 20, www.cafe-finovo.de

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