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Seit einem Jahr Berliner: Ai Weiwei, hier bei der Berlinale im Februar.

© Jörg Carstensen/dpa

Oranienburger Straße in Berlin-Mitte: Ai Weiwei interessiert sich fürs Kunsthaus Tacheles

In der prominenten Tacheles-Ruine soll es nach dem Umbau wieder Kultur geben. Jetzt bestätigt der Investor: Der chinesische Kunst-Star hat sich das Projekt schon einmal angesehen.

Es war alles höchst geheim. Am vergangenen Mittwochnachmittag trafen sich drei Männer vor dem Eingang der seit 2012 verrammelten Tacheles-Ruine an der Oranienburger Straße in Mitte. Händeschütteln, Grußworte – dann verschwanden sie rasch im Inneren des einstigen Kunsttempels der Berliner Avantgarde.

Die drei vorm Tacheles blieben aber nicht gänzlich unentdeckt. Vor allem der Vorderste der Gruppe: Kräftiger Typ, blaues T-Shirt, schwarz- weißer Bart, asiatisches Aussehen. Es war Chinas berühmtester Gegenwartskünstler und Regimekritiker Ai Weiwei, begleitet vom einstigen Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz und dem Chef des US-Investmentunternehmens „pwr development“, Sebastian Klatt.

Die Firma bebaut seit März das „Tacheles-Quartier“ zwischen Oranienburger und Friedrichstraße mit Wohn- und Geschäftshäusern. Im Rahmen dieses Großprojektes wird auch die Ruine des früheren Kaufhauses der Kaiserzeit und späteren Künstlerhauses wieder für Kulturzwecke hergerichtet. Eine perfekte Chance also für Ai Weiwei, die er bei seiner Stippvisite am Mittwoch schon mal ausloten wollte? Im künftigen Tacheles fände er Atelier- und Ausstellungsräume in konkurrenzlos exponierter Lage – und wäre ein Magnet mit internationaler Ausstrahlung für das neue Kunsthaus.

Ai Weiwei wohnt seit letztem Jahr in Prenzlauer Berg

Bei pwr development hält man sich bedeckt. Der Künstler habe den Wunsch geäußert, das Tacheles vor der Sanierung zu sehen, sagt Firmensprecher Oliver Boergen. Und ergänzt: „Ai Weiwei hat Interesse an dem Projekt.“ Schließlich hat er inzwischen auch eine enge Beziehung zu Berlin. Als die chinesische Polizei 2011 den heute 59-Jährigen wegen seiner Menschenrechtsaktivitäten in Peking festnahm, waren die Proteste an der Spree besonders laut. Kurz zuvor hatte er noch geplant, ins Berliner Exil zu gehen. Er wollte vier Fabrikhallen auf dem einstigen AEG-Gelände in Oberschöneweide kaufen und dort seine Studios einrichten. Das musste er aufgeben.

Doch kaum bekam Ai Weiwei im Juli 2015 die Ausreiseerlaubnis, flog er einen Monat später mit Frau und seinem heute achtjährigen Sohn nach Berlin. Er wohnt seither in Prenzlauer Berg, schätzt Berlin als „eine international junge, aufregende Stadt“, ist Mitglied der Akademie der Künste, Gastprofessor an der Universität der Künste (UdK), wird von der Galerie Neugerriemschneider in einer historischen Fabrikremise an der Linienstraße in Mitte vertreten – und besitzt zudem ein rund 2800 Quadratmeter großes Atelier mit Arbeits,- Lager- und Schauräumen im Berliner Untergrund: Es sind die 160 Jahre alten einstigen Gärkeller der Bierbrauerei von Joseph Pfeffer auf dem heutigen Pfefferberggelände am Senefelder Platz in Prenzlauer Berg. Über eine Hongkonger Investmentgruppe hatte Ai Weiwei diese Kunstkatakomben schon während seiner Zeit des Hausarrestes in China erworben und sanieren lassen.

Kulturort muss erhalten bleiben

Bereits 2014 machte der umtriebige Künstler auch Schlagzeilen mit seiner weltweit größte Einzelausstellung „Evidence“ im Martin-Gropius-Bau. Und im Februar dieses Jahres richtete er die Blicke auf seine temporäre politische Aktionskunst am Gendarmenmarkt. Dort verhüllte er sechs Säulen am Portal des Konzerthauses mit orangenen Rettungswesten von Flüchtlingen, die in überfüllten Booten übers Mittelmeer kamen.

Und nun folgt der nächste populäre Coup, der Schritt zum Tacheles? Das 1990 von alternativen Künstlern besetzte und bis zur endgültigen Räumung als anarchisch-experimenteller Freiraum und quirliger Kieztreff genutzte Gebäude steht unter Denkmalschutz. Es muss nach dem Bebauungsplan für das gesamte Quartier als Kulturort erhalten bleiben.

Bisher ist aber noch unklar, wer nach der Sanierung in die zur Zeit streng bewachte Ruine einziehen wird. Auf den Etagen sollen Galerien, Studios und Ateliers Platz finden, auch ein Theater, ein Club oder ein Nachfolger des Kinos „High End 54“ aus der Anarchozeit mit Antiblockbuster-Filmen wären denkbar.

Experten entwerfen Nutzungskonzept

Im 25.000 Quadratmeter großen Umfeld des Tacheles entstehen Büro- und Geschäftsräume sowie 450 Wohnungen, außerdem soll die 1909 eröffnete Friedrichstadtpassage als Verbindung zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße wieder neu geschaffen werden.

Der Kontakt von pwr development zu Ai Weiwei kommt über die Schweizer Stararchitekten vom Büro Herzog & de Meuron zustande. Diese planen das Tacheles-Quartier und leiten auch die künstlerisch anspruchsvolle Sanierung der Tacheles-Ruine. Gemeinsam mit Ai Weiwei haben die Schweizer bereits das Nationalstadion in Peking für die Olympischen Sommerspiele 2008 entworfen, das wegen seiner spektakulären Architektur „Vogelnest“ genannt wird. Ob Ai Weiwei auch beim Tachelesumbau mitarbeitet, beantwortet pwr development nicht. Derzeit entwerfen Experten gemeinsam mit potenziellen Mietern das Nutzungskonzept. Als Berater ist dabei auch Ex-Kulturstaatssekretär André Schmitz tätig.

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