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Der Chor "Sing Along".

© Simon Pauly

Open-Air-Event der Berliner Philharmoniker: Viele Stimmen, tolle Stimmung

Noch gemischter kann ein Chor nicht sein: „Sing along“ bringt Laien und Profis musikalisch zusammen. Am Sonnabend treten sie beim Open-Air-Event der Berliner Philharmoniker auf dem Kulturforum auf.

Dumpfe Trommelschläge hallen durchs Foyer der Philharmonie, erst leise und dann immer vernehmlicher setzen dazu Stimmen ein, die lockend zwei Worte wiederholen: „Sing along, sing along“. So lautet das Motto des Chorprojekts, das hier probt: Etwa 160 Sängerinnen und Sänger aller Altersgruppen füllen das Foyer. Optisch verlieren sich die rund 15 Prozent männlicher Teilnehmer etwas, akustisch aber sind sie klar vernehmbar.

Der musikalische Leiter des Projekts, Michael Betzner-Brandt, der mit zum Zopf gebundenen grauen Locken vor der Gruppe steht, ist jedenfalls zufrieden: „Gut, gut, sehr geil“ ermuntert er seinen Chor – und steigert gleich den Schwierigkeitsgrad. Die Treppen hoch bis in den hintersten Winkel des weiten Raumes müssen sich die in Gruppen aufgeteilten Sänger nun zurückziehen. Ein harmonisches Summen beginnt die Pausenhalle zu füllen, während die Mitwirkenden, einander begrüßend, winkend und sich umarmend langsam wieder zum Zentrum zurückkehren.

Doch auch dieses Ritual ist nur eine Vorübung: Ziel ist es nämlich, den geschützten Rahmen des Konzertsaals zu verlassen und den öffentlichen Raum flashmobartig in einem klanglichen Begrüßungs- und Begegnungsritual zu erobern. Den Auftakt macht heute das Kulturforum, wo die Berliner Philharmoniker zum Opern-Air-Event einladen, bei freiem Eintritt. Um 16 Uhr wird zunächst das Syrian Expat Orchestra spielen, ein Ensemble von Exilmusikern. Vor dem Konzert der Philharmoniker mit Simon Rattle hat der „Sing along!“-Chor dann seinen großen Auftritt.

Aktionen im Hauptbahnhof

Am Sonntag und Montag folgen jeweils nachmittags Aktionen im Hauptbahnhof, dazwischen sind die Sängerinnen und Sänger auch noch um 17 Uhr beim Tag der offenen Tür im Finanzministerium dabei (siehe Kasten). Das Besondere an diesen Auftritten: Sie werden von einem Ensemble gestaltet, das fast genauso bunt gemischt ist wie das Publikum. Und zwar nicht nur hinsichtlich des Alters, sondern auch, was die musikalische Vorbildung betrifft: Vom Laien ohne Vorkenntnisse bis in zum erfahrenen Chorsängern reicht die Bandbreite, wobei sich im Ensemble auch noch so genannte „Stimmpaten“ aus den Reihen des Rundfunkchors Berlin verteilen.

Den Anstoß zu dem innovativen, von Klassik bis Improvisation reichenden Projekt hat vor einem Jahr Ingrid Allwardt von der Agentur „Iqult“ für Musik und Kultur gegeben. Schon damals stand das Thema „Begrüßung und Begegnung“ fest – lange bevor die Bedeutung dieser Begriffe für die Flüchtlingsintegration absehbar war. Für das Projekt, das mit den Sicherheiten und Ritualen herkömmlicher Chorkonzerte bricht, konnten Allwardt und ihr Team schnell eine Reihe von Institutionen als Kooperationspartner interessieren: Neben dem Rundfunkchor Berlin und dem Rias-Kammerchor, der ebenfalls mit eigenen Sängern mitwirkt, engagierten sich auch das Education-Programm der Berliner Philharmoniker, die Zeitgenössische Oper Berlin sowie als Sponsor die PwC-Stiftung.

Kommunikation von Laien und Profis

Ein ungewöhnliches Projekt an ungewohnten Orten bedarf ungewöhnlicher Probenmethoden. Die Sänger wurden nicht nur über die Netzwerke der beteiligten Institutionen, sondern auch über Kontakte zu sozialen Einrichtungen und zum Teil auch zu Flüchtlingsheimen gefunden. Um sie zur Gruppe zusammenzuschweißen, begannen die Proben des Chor-Camps mit Workshops, die von Schauspielerinnen, Pantomimen und Bewegungscoachs angeleitet wurden. Ob es gelingt, die bei den Begegnungen im Chor gewonnene Energie auch auf dem Kulturforum oder am Hauptbahnhof auf die Passanten zu übertragen und diese gar zum Mitsingen zu animieren, wird sich zeigen müssen.

Für die beteiligten Profis hat sich das Experiment jedenfalls schon jetzt gelohnt. Angeregt berichten sie von der Dynamik, die sich in dem Ensemble entfaltet. Stimmpate Axel Scheidig etwa ist der Meinung, dass Offenheit für Experimente und Ehrlichkeit des Ausdrucks Qualitäten seien, die eine gemeinsame Kommunikation von Laien und Profis ermöglichen: „Da wird Energie freigesetzt. Man kann das schlecht beschreiben, aber man spürt es.“ Auch Chorleiter Betzner- Brandt berichtet: „Gestern probten wir mit einer Stimme und im Hintergrund tanzte derweil eine Gruppe Teenager – das ist cool. In normalen Proben passiert das nicht.“

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