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Öffentliche Nutzung: Regierungsviertel soll kieziger werden

Zu viel Beton, zu wenig Latte: Bund und Land sagen der Kreisstadt-Tristesse im Zentrum der Macht den Kampf an und wollen urbanes Leben in die Leere bringen.

Für Giuseppe, den Würstchenbrater, ist das Parlaments- und Regierungsviertel ideal. „Grill-Walker“ steht auf seinem roten Sweatshirt. Er selbst steht an Wochenenden mit seinem Bauchladengrill mal unten am Kai vor dem Reichstag, mal am Jakob-Kaiser-Haus. Und den Touristen und Berlinern, die durchs Zentrum der Macht flanieren, kommt Giuseppe wie gerufen. Denn am „Band des Bundes“ im Spreebogen gibt es zwar eindrucksvolle Gebäude und faszinierende Aussichten, aber die Planer haben bei all ihren architektonischen Mühen etliches vernachlässigt oder aus Sicherheitsgründen gestrichen, das zum Verweilen und Wohlfühlen einladen und das Regierungsviertel etwas quirliger, kurz: zu einem lebendigen Stadtquartier machen könnte.

Zuallererst fehlt Gastronomie. Viele Besucher vermissen auch kleine Geschäfte, Galerien, Foren für Straßenkünstler. Nur Giuseppe ist da – mit Schrippen und Thüringern.

„Im Parlaments- und Regierungsviertel sollte man sich eigentlich eingeladen fühlen“, argumentieren Kritiker. Auch Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vermisst dort „eine urbane Atmosphäre“. Bei Gesprächen mit dem Bund will sie nun auf Verbesserungen dringen.

Nachdem Berlins neuer Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) im März in einem Brief an Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) die Ödnis im Regierungsviertel beklagte, ist offenbar einiges in Bewegung gekommen. Müller äußerte den Wunsch, der Bund solle seine fertigen oder noch im Bau befindlichen Gebäude im Parterre mehr als bisher üblich für die Allgemeinheit öffnen. Jetzt wollen Bund und Land gemeinsam beraten, wie mehr Großstadtgefühl erzeugt werden kann. Dazu seien regelmäßige Zusammenkünfte vereinbart worden, sagt Lüscher. Am Montag vertritt sie Müllers Verwaltung erstmals in einer solchen Gesprächsrunde.

Der Austausch ist dringend nötig. Kaum versteckt sich die Sonne hinter Wolken, wird es schnell zugig zwischen den imposanten Bauten. Eine Schülergruppe aus Kiel ruht sich auf Bänken am Paul-Löbe-Haus aus – und fröstelt. „Jeder Architekt hat hier sein persönliches Glanzstück vollbracht“, sagt ihr Lehrer. „Aber offensichtlich nur seinen Solitär im Auge gehabt.“ Die Jugendlichen bringen es so auf den Punkt: „Wieso gibt’s hier nirgendwo ’ne Cola zu kaufen?“

Bildergalerie: Ödnis im Regierungsviertel 2011

Rund um die Bauwerke fehlt es bisher an Fantasie, stattdessen hat sich ungehindert die amtliche Ödnis einer Kreisstadt breitgemacht. Zum Beispiel vor dem Reichstag, wo auf dem grünen „Platz der Republik“ zwar die Frisbees fliegen, aber die Pavillons für die Sicherheitschecks der Kuppelbesucher an Baucontainer erinnern. Auf der nahen Freifläche zwischen Paul-Löbe-Haus und Kanzleramt mickert ein fleckiger Rasen mit ein paar müde plätschernden Springbrunnen. Abends ist die Gegend tot wie der Rathausplatz von Tristenfeld. Vergeblich sucht man hier beim Verlassen der U-Bahnstation „Bundestag“ nach Blumenschmuck. Der einziger Farbtupfer ist die Fahne auf der Schweizer Botschaft. Den bunkerähnlichen Anbau neben der Vertretung der Eidgenossen aus der Gründerzeit kann die Flagge nicht aufhübschen.

Am Ostrand des Parlamentsviertels gerät man in die Straßenschlucht der Dorotheenstraße, eingezwängt zwischen den Fassaden des Jakob-Kaiser-Hauses. An den Uferkais des Reichstages und Paul-Löbe-Hauses macht es zwar Spaß, die Beine über der Spree baumeln zu lassen oder auf den Treppenplateaus und Bänken auszuruhen: vor einer spektakulären maritimen Hauptstadtkulisse mit Schiffsverkehr und Parlament. Doch warum gibt es auf dieser Bühne nicht mal ein kleines Café, eine Bar. Auch Leere und Weite haben ihren Reiz, doch nach Sonnenuntergang herrscht Trostlosigkeit. Warum spielt an Wochenenden meist nur ein einsamer Saxofonist unterhalb der Bundestags-Kita? Und weshalb kommt niemand auf die Idee, den hässlichen Holzzaun vor der Baustelle des Bildungsministeriums am Kapelleufer bemalen zu lassen?

Als die Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank 1992 das „Band des Bundes“ planten, sahen sie zwischen Paul- Löbe-Haus und Kanzleramt ein „Bürgerforum“ vor, mit Cafés, Galerien, Geschäften. Aus Kostengründen wurde das Vorhaben damals verworfen, heute fehlt es. Erst 2003 nahm der Bundespressestrand diese Idee neben dem Haus der Bundespressekonferenz wieder auf. 2010 wurde bekannt, dass die Bar dem Bau des neuen Bildungsministeriums weichen sollte.

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Mit der Aussicht auf Regierungsbeton anstelle des Bürgerstrands meldeten sich die Kritiker zu Wort. Allen voran Ephraim Gothe (SPD), damals Baustadtrat von Mitte, inzwischen Staatssekretär in der Stadtplanungsverwaltung. Gothe wollte die Bundestagsbibliothek im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus für Studenten öffnen, Bäume an die Uferpromenaden pflanzen und Shops ins Parterre des Bildungsministeriums bringen. Ende 2011 besetzte die Protestbewegung „Occupy“ das Areal des Pressestrands, für den bis heute noch kein Ersatzort gefunden ist. Und im März trieben die Grünen im Bundestag das Thema voran. Sie forderten ein „Konzept für mehr öffentliche Nutzungen im Regierungsviertel“. Die meisten Ministerien und Gebäude hätten kein derart hohes Sicherheitsrisiko wie das Innenministerium oder Kanzleramt. Zumindest dort könne man Kompromisse finden. Doch ihr Antrag wurde abgelehnt.

Der Widerspruch zwischen Öffnung und Sicherheit ist aus Sicht der CDU im Bundestag kaum mehr zu überwinden. Gleichwohl glaubt CDU-Bauexperte Peter Goetz, beim neuen Bildungsministerium habe man den gordischen Knoten ein wenig gelöst. Immerhin entstehe dort auch das öffentliche „Haus der Zukunft“. Das reicht der grünen Bau-Fachfrau Daniela Wagner nicht. Sie verweist aufs Auswärtige Amt. In dessen Lichthof am Werderschen Markt, also außerhalb des Regierungsviertels, gibt es ein Café mit jährlich 40 000 Besuchern. Die passieren vorher Sicherheitskontrollen. Wagner: „Ähnlich könnte man auch den ,Lampenladen‘ öffnen“, die Kantine im Paul-Löbe-Haus mit den Fenstern zur Spree.

Für Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sind all diese Ziele „Verhandlungssache“. Bezirk und Land erstellen zwar die Bebauungspläne fürs Regierungsviertel, der Bund hat aber ein Sondernutzungsrecht. Der Senat kann ihm eine Ladenzeile im Ministeriumsparterre nicht vorschreiben. Bei ihren Gesprächen mit Minister Ramsauer will Senatsbaudirektorin Lüscher aber künftig auch für solche Nutzungen „kämpfen“. Besonders wichtig sind ihr die Reserveflächen des Bundes, die brach liegen oder gerade bebaut werden – wie das Areal nordöstlich von Bundespressekonferenz und Luisenstraße. Dort entsteht der „Luisenblock“. Oder der Humboldthafen und der Moabiter Werder, wo sich die Kräne fürs neue Innenministerium drehen. „Dort kann man noch gestalten“, sagt Lüscher. Auf dem Werder sei auch Platz für Wohnungen. Die seien unerlässlich für ein lebendiges Quartier.

Ein rettendes Ufer gibt es aber schon für alle, die durstig durchs Regierungsviertel irren. Es ist der „Capitol Beach“ am Ende der Fußgängerbrücke zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt. In Dreierreihen stehen die Liegestühle am Kai. Jacqueline Bergmann, die blonde Beachchefin, nippt am Espresso. „Unser Laden läuft gut .“

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