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Auf diesem Grundstück in der Krautstraße unweit vom Strausberger Platz will die landeseigene WBM einen Wohnturm errichten, auf dem Nachbargrundstück soll ein weiteres Hochhaus entstehen.

© Stephan Wiehler

Neue Wohntürme in Friedrichshain: Bürger sollen beim Wohnungsbau mehr mitreden

Wende beim Großbauprojekt der WBM in Friedrichshain: Die designierte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher macht sich für mehr Bürgerbeteiligung stark.

Es ist eines der größten kommunalen Wohnungsbauprojekte im Zentrum Berlins, und es könnte zum ersten Testfall werden für die rot-rot-grüne Koalition und ihr erklärtes Ziel, die Mitspracherechte von Bürgern bei der Stadtentwicklung zu stärken. In Friedrichshain West will die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) ihren Bestand von DDR-Wohnblöcken in den kommenden Jahren mit Neubauten verdichten. Aktuell ist der Bau von 15 Wohntürmen mit jeweils zehn Stockwerken vorgesehen, das Planungsgebiet erstreckt sich vom westlichen Rand des Volkspark Friedrichshains bis in das Gebiet südöstlich des Strausberger Platzes.

Genau dort, in der Krautstraße 5a und 9a, sollen demnächst die ersten Wohntürme errichtet werden. Die Bauanträge liegen beim Bezirksamt, vor wenigen Tagen wurden die Mieter der Nachbarhäuser per Rundschreiben über vorbereitende „Baumaßnahmen“ informiert: Anfang Dezember soll demnach mit dem Abriss von Parkplatzflächen und Baumfällungen begonnen werden.

Doch ob das umstrittene Bauvorhaben genehmigt wird, ist mehr als ungewiss. In der vergangenen Woche hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg die WBM in einer Resolution dazu aufgefordert, „die Bauanträge zurückzuziehen und keine Fakten vor Beginn des Bebauungsplanverfahrens zu schaffen“. Seit Juli 2015 hat die BVV mehrere Beschlüsse für ein Bebauungsplanverfahren mit umfassender Bürgerbeteiligung für Friedrichshain West gefasst.

WBM ignoriert Beschluss der BVV für Bebauungsplan

Dessen ungeachtet hält die WBM daran fest, die Neubauten mit einfachem Bauantrag nach §34 des Baugesetzbuchs (orientiert an der Bestandsbebauung in der Umgebung) zu realisieren. Unterstützt wurde sie dabei bisher vom scheidenden Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der kurz vor Ende seiner Amtszeit noch ein umstrittenes Wohnturm-Projekt der WBM auf der Fischerinsel grundsätzlich genehmigt hat. Dessen designierte Nachfolgerin Katrin Lompscher (Linke) hat das irritiert zur Kenntnis genommen. Bei den geplanten WBM-Wohntürmen in Friedrichshain stellt sie sich jetzt klar auf die Seite des Bezirks. „Wir brauchen die Unterstützung der Nachbarschaft und die Kooperation des Bezirksamtes“, sagte die Linken-Politikerin dem Tagesspiegel. „Und es gibt noch keine Baugenehmigung.“ Sie hoffe deshalb, „die WBM jetzt nicht damit anfängt, in der Krautstraße Bäume zu fällen oder andere irreversible Maßnahmen zu treffen“.

Lompscher geht es um Grundsätzliches: „Wir haben vereinbart, bei umstrittenen Bauvorhaben die Planungen gemeinsam mit den Bürgern und den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zu überdenken, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.“   

Die WBM reagiert überrascht. „Wir haben noch nicht mit Frau Lompscher gesprochen“, sagt Steffi Pianka, Sprecherin der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft. Aber: „Wir stehen zu unseren Plänen.“ Sie verweist auf hohe Qualitätsansprüche: Zahlreiche Gutachten seien eingeholt worden, unter anderem zu Lärm- und Schadstoffbelastung, zur Verkehrsbelastung, zum Klima, zum Stadtgrün und zur Fauna. Auch die Mieter seien umfassend einbezogen worden. „Vieles, was eingebracht wurde, haben wir berücksichtigt, einschließlich der Verschiebung von Baukörpern.“ Drei Jahre lang habe man geplant: „Wir sind im Endspurt. Wenn jetzt eine Vollbremsung vollzogen wird, dann wird es schwierig.“ Man sei schließlich auch der Neubau-Offensive des Senats verpflichtet.

Stadtteilinitiative hofft mit Rot-Rot-Grün auf mehr Mitsprache

Außerdem bezweifelt die WBM-Sprecherin, dass Bebauungspläne mehr Vorteile für die Beteiligung der Bürger hätten. Am Runden Tisch der WBM, an dem Vertreter von Senat und Bezirk, Stadtplaner und Anwohner vierteljährlich über die Pläne reden, „gehen wir objektbezogen vor“, sagt Pianka. „Das ist viel mehr im Interesse der Mieter, weil wir auf die Situation vor Ort eingehen“.

Hans-Joachim Trappen vom „Aktionsbündnis für lebenswertes Wohnen in Friedrichshain West“ widerspricht. „Am Runden Tisch wurde bisher nichts von dem berücksichtigt, was wir vorgeschlagen haben. Da wurden nur in Gutherrenmanier Statements abgegeben.“ Die Stadtteilinitiative setzt ebenfalls für ein Bebauungsplanverfahren ein, um Nachbesserungen an den Plänen zu erreichen. Es geht ihr nicht nur um die Erhaltung einzelner Grünflächen und Spielplätze, sondern um eine ganzheitliche Entwicklung des gesamten Planungsgebiets, bei der die Nahversorgung ebenso wie das Stadtklima berücksichtigt wird. Das Aktionsbündnis hat eigene Veranstaltungen mit Experten organisiert, Stadtplaner und Architekten kamen zu Vorträgen, aber auch der TU-Klimaforscher Dieter Scherer, der dazu riet, bei der geplanten Verdichtung  auf „Gründlichkeit statt Schnelligkeit“ zu setzen.

Zwischenzeitlich hatte das Aktionsbündnis den runden Tisch verlassen, inzwischen nimmt es wieder an den vierteljährlichen Sitzungen teil. „Wir haben großes Vertrauen in den Koalitionsvertrag“, sagt Trappen, „und wir hoffen, dass sich der neue Senat stärker daran orientiert, was machbar ist“.

„Die Koalition steht für eine Stadtentwicklung, die gemeinsam mit den Bürger*innen konzipiert wird“, heißt es im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Und: „Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften praktizieren in Vorbildfunktion eine umfassende Beteiligung von Anwohner*innen bei Bauprojekten“.

Es wird spannend sein zu sehen, wie das funktioniert, zumal im Zusammenspiel mit der von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) gerade vorgestellten Gesetzesnovelle, die in urbanen Gebieten eine noch dichtere Bebauung möglich machen soll. Mehr Bürgerbeteiligung trifft auf größere Baumassen – das birgt noch Konfliktpotenzial für die wachsende Stadt.

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