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In der Nähe dieses Weges durch das sumpfige Gelände bei Storkow wurde 2012 vom sogenannten Maskenmann ein Berliner Immobilienbanker festgehalten. An dem bisher dargestellten Ablauf der Tat gibt es aber nun Zweifel.

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Update

Neue Enthüllungen zum Maskenmann: Selbst die Justiz rügte die Anklage als zu dünn

Nicht nur innerhalb der Polizei gab es Kritik an den Ermittlungen, auch in der Justiz wurde die Anklage bemängelt. Die Tagesspiegel-Enthüllungen zum Prozess um zwei Überfälle und eine Entführung bei Berlin bergen politische Brisanz. Die Staatsanwaltschaft bekräftigt derweil ihre Darstellung.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hätte wissen können, dass ihre Anklageschrift gegen den Berliner Mario K. im Maskenmann-Fall im Prozess auf Probleme stoßen wird. Selbst intern wurde sie nach Tagesspiegel-Recherchen darauf hingewiesen.

In solch schwerwiegenden Fällen wie diesem um die Überfälle auf die Berliner Unternehmerfamilie P. 2011 und die Entführung des Berliner Bankers Stefan T. 2012 gilt Berichtspflicht gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg/Havel und dem Justizministerium in Potsdam. Als die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) die fertige Anklage vorlegte, äußerte die Generalstaatsanwalt bei der Weiterleitung an das Justizministerium Bedenken. Der Grund: Die Beweislage erschien der obersten Anklagebehörde zu dünn und insgesamt nicht gut.

Genützt hat es nichts. Denn das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte zu entscheiden, ob der Prozess gegen den jetzt angeklagten Mario K. eröffnet wird. Weil es genug Anhaltspunkte für eine mögliche Verurteilung des Angeklagten sah, ließ es die Anklage zu. Zwar blieben die geäußerten Bedenken der Generalstaatsanwaltschaft ohne Folgen, doch für die Zukunft hat sich die Behörde damit abgesichert – sollte der Prozess doch noch platzen oder der Angeklagte freigesprochen werden. Die Staatsanwaltschaft teilte am Montag mit, sie bleibe bei ihrer Darstellung.

Beweislage ist dünn

Tatsächlich ist die Beweislage dünn, die Staatsanwaltschaft, die kürzlich lebenslange Haft für Mario K. gefordert hat, beruft sich auf eine Indizienkette und das Ausschlussprinzip, wonach es kein anderer gewesen sein kann. Schlagende Beweise aber gibt es nicht, ebenso kein Motiv – außer dass K. Reiche hasse und bei der Entführung des Berliner Bankers Stefan T. aus seinem Haus am Storkower See Geld habe erpressen wollen.

Zudem soll er die Unternehmergattin P. im August 2011 attackiert und schließlich im Oktober einen Sicherheitsmann der Familie P. angeschossen haben, der seither im Rollstuhl sitzt. K. wird versuchter Mord, versuchte Tötung, gefährliche Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen.

Generalstaatsanwaltschaft hält sich auffällig zurück

Auch jetzt, nachdem der Tagesspiegel enthüllt hat, dass das Alibi eines damaligen Polizisten nur oberflächlich geprüft und andere Indizien damit gar nicht erst erkannt worden sind, hält sich die Generalstaatsanwaltschaft auffällig zurück. Stattdessen muss die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) selbst auf die publik gemachten Vorwürfe reagieren. Und sie bleibt dabei: Das Alibi des Polizeibeamten, der bis 2013 Pilot der Huschrauberstaffel war, bevor er den Dienst infolge von Korruptionsermittlungen quittierte, sei bei den Ermittlungen zur Entführung des Bankers T. und noch einmal in Vorbereitung auf das Plädoyer geprüft worden.

Der Beamte war ins Visier der Ermittler geraten, weil sein Handy bei allen drei Taten in der jeweilen Funkzelle am Tatort zur Tatzeit erfasst worden war.

Immerhin will sich die Staatsanwaltschaft das Dossier des Tagesspiegels am heutigen Montag genau durchlesen und auswerten. Konkret geht es um die Frage: War der Entführer in den Stunden, nachdem er Stefan T. am Abend des 5. Oktober 2012 auf eine Schilfinsel entführt hatte, die ganze Zeit bei ihm – also auch am Morgen nach der Entführung zwischen 4 und 10 Uhr, an dem der Beamte, so das Alibi, wegen der Polizeisuche nach dem Entführungsopfer im Dienst war?

Die Staatsanwaltschaft regierte am Montag und sieht trotz der Berichte keinen Anlass, "den Wiedereintritt in die  Beweisaufnahme zu beantragen". So sei der Entführte "insbesondere in den Stunden des Morgens" von dem Entführer gezwungen, Erpresserbriefe zu schreiben. Deshalb "kam der nunmehr genannte Verdächtige als Täter nicht mehr in Frage, was auch in die abgeschlossene Beweisaufnahme eingeführt wurde", teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit. "Gegenteilige Bekundungen eventueller Zeugen sind hier nicht bekannt."

Frau des Ex-Polizisten wurde bisher nicht befragt

Die Staatsanwaltschaft geht wie berichtet davon aus, dass der Entführer zur fraglichen Zeit beim Opfer war, weil T., gefesselt, geknebelt und in Folie eingewickelt, in der fraglichen Zeit den Entführer in seiner Nähe wahrgenommen haben will. Verteidiger Axel Weimann entgegnet, für die Anwesenheit des Entführers gebe es keine hinreichenden Beweise.

Vielmehr hätten die Recherchen des Tagesspiegels neue Erkenntnisse geliefert, die über die bisherigen Informationen hinausgingen. Fraglich ist zudem, was der Beamte nach Dienstschluss um 10 Uhr bis zum Abend gemacht hat. Zu Hause war er nach Angaben der von ihm getrennt lebenden Frau gegenüber dieser Zeitung nicht. Im selben Zeitraum aber war der Entführer bei T. Im Zuge der Ermittlungen war auch die Rede davon gewesen, dass T. den Entführer um 11 Uhr am Morgen nach der Entführung wieder bemerkt habe. Die Polizei hat die Frau des Ex-Polizisten bisher nicht befragt.

Fall wird weiter hohe Wellen schlagen

Aber es geht auch um andere Hinweise zu den Überfällen auf die Familie P., die nie geprüft worden waren – weil ihm für die Entführungsnacht ein „plausibles Alibi“ bescheinigt und aus diesem Grund auch für die Überfälle im Jahr zuvor ausgestellt worden war – obwohl er da gar nicht im Dienst war. Im Gegensatz zum Angeklagten Mario K. könnte es bei dem Ex-Beamten ein Motiv geben, das aber nie geprüft wurde: Schulden im sechsstelligen Bereich. Der Mann soll die beiden Opferfamilien gekannt haben und kennt die Gegend um die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegenden Tatorte gut.

Verteidiger Weimann hofft nun, über Hilfsanträge in seinem Plädoyer, das für Freitag angesetzt ist, wieder in die Beweisaufnahme einsteigen zu können. Ob das Gericht dem folgt, ist fraglich. Schon jetzt aktiv eingreifen kann – trotz neuer Hinweise sogar zu einem möglichen anderen Täter – nur das Gericht. Es sei Herr des Verfahrens, sagte eine Sprecherin des Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder).

Absehbar ist schon jetzt, dass der Fall weiter hohe Wellen schlagen wird – auch politisch. Die Oppositionsfraktionen von CDU und Grünen im Landtag Brandenburg erwägen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Die neuen Vorwürfe haben die Pläne dazu zusätzlich befeuert. Allerdings sei es geboten, dass „eine politische Bewertung des Maskenmann-Falls erst nach Abschluss des laufenden Verfahrens erfolgen kann“, sagte CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher.

In der Kritik stand auch Innenstaatssekretär Arne Feuring

Dann dürften auch die Querelen in der Mordkommission, die bereits das Gericht an zahlreichen Verhandlungstagen beschäftigt hatten, noch einmal im Parlament zur Sprache kommen. Mehrere Beamte hatten kritisiert, dass sie nur einseitig ermitteln und Zweifeln an der Darstellung des Entführungsopfers auf Anweisung nicht nachgehen durften – es etwa keine rechtsmedizinische Untersuchung gab.

Und sie sprachen von massivem politischen Druck, schnell einen Tatverdächtigen zu präsentieren. In der Kritik stand auch der frühere Polizeipräsident und aktuelle Innenstaatssekretär Arne Feuring, weil er sich in die Ermittlungen eingemischt haben soll, was dieser bestreitet. Feuring, wegen einer geschönten Kriminalstatistik ohnehin unter Druck, hat im April den Rückzug von seinem Amt angekündigt. Wann es so weit ist, ist nicht klar.

Da der gesamte Maskenmann-Fall wie bei der Anklageschrift eine Berichtssache – auch im Innenministerium – war, also die politisch Verantwortlichen informiert waren, könnte der Untersuchungsausschuss noch viel Brisanz bergen.

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