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Erfolgreich - bislang. Die Bürgerinitiative "100 % Tempelhofer Feld" konnte vor allem um das Flughafenareal herum viele Stimmen sammeln.

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Update

Nach Erfolg des Volksbegehrens: Senat warnt vor „100 Prozent Stillstand“ in Tempelhof

Nach dem Erfolg des Volksbegehrens gegen eine Bebauung des einstigen Tempelhofer Flugfeldes wirbt die Berliner Landesregierung für neue Wohnungen. Und verrät, bis wann ein Termin für die Abstimmung stehen soll.

Die Berliner Landesregierung will in den kommenden Monaten verstärkt für ihre Pläne werben, das ehemalige Tempelhofer Flughafenareal an seinen Rändern zu bebauen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit der Berliner für 100 Prozent Stillstand ist“, sagte Senatssprecher Richard Meng am Dienstag bei der Senatspressekonferenz. Kurz zuvor hatte Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach bekanntgegeben, dass die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ 185.328 gültige Unterschriften für ihr Volksbegehren gegen die vom Land Berlin geplante Randbebauung des 380 Hektar großen Innenstadt-Areals gesammelt hat - 11.211 mehr als erforderlich. Rund 237 000 Unterschriften waren insgesamt eingereicht worden. Zahlreiche waren ungültig wegen fehlender Staatsbürgerschaft, fehlendem Wohnsitz in Berlin oder doppelten Eintragungen. Für einen Erfolg des Volksbegehrens waren mindestens 174 117 Unterschriften nötig, das entspricht sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten.

Die Abstimmung muss zwischen April und Juni stattfinden

Nun dürfen die Berliner in einem Volksentscheid darüber abstimmen, ob das Feld bebaut wird oder nicht. Formal muss allerdings vorher das Abgeordnetenhaus noch entscheiden, ob es für den Inhalt des Volksbegehrens stimmt - angesichts der Festlegungen von SPD und CDU auf eine Randbebauung ist dies aber ausgeschlossen. Daher wird als nächster Schritt ein Volksentscheid durchgeführt. Noch haben sich Senat und Abgeordnetenhaus nicht auf einen Termin festgelegt. Anliegen der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ und auch von Oppositionspolitikern von  Linken und Piraten ist es, einen möglichen Volksentscheid am 25. Mai parallel zur Europawahl stattfinden zu lassen. Das würde die Erfolgschancen verbessern. Beim Volksentscheid zur Rekommunalisierung des Stromnetzes hatte der Senat den Wunschtermin parallel zur Bundestagswahl verweigert, was viel Kritik auslöste. Dieser Entscheid scheiterte knapp wegen einer zu geringen Wahlbeteiligung.

Senatssprecher Meng kündigte an, die Landesregierung werde den Termin für den Volksentscheid „bis Mitte Februar“ festlegen. Bislang habe es zu diesem Thema keine Diskussionen im Senat gegeben. Die Entscheidung für einen Termin hängt vom bestimmten Fristen ab und erfolgt Meng zufolge nach praktischen Kriterien. So sei sicherzustellen, dass die Abstimmung nicht auf einen Feiertag fällt und dass vorher genug Zeit für eine öffentliche Debatte ist. Das dem Senat vorgegebene Zeitfenster für den Termin liege zwischen Ende April und Anfang Juni.

Die größte Zustimmung gab es in den Bezirken rund um das Areal

Der Verein „Mehr Demokratie“, der sich für mehr Bürgerbeteiligung in der Politik stark macht, forderte vom Land Berlin ein „klares Bekenntnis zum Europawahltermin“. Oliver Wiedmann, Vorstandssprecher des Landesverbands des Vereins, kritisierte, dass die Terminfrage von der Landesregierung entschieden werden kann, die in der Sache parteilich sei: „Dem Senat ein Instrument an die Hand zu geben, welches sich entscheidend auf Erfolg oder Misserfolg eines Volksbegehrens auswirkt, kann nicht im Sinne einer fairen Ausgestaltung der direkten Demokratie sein – richten sich Volksbegehren doch erfahrungsgemäß gegen Pläne der Regierungsmehrheit“, sagte Wiedmann.

Die höchste Unterstützung für das Volksbegehren gab es in Friedrichshain-Kreuzberg. 18,6 Prozent der Stimmberechtigten leisteten hier eine Unterschrift. Am geringsten war die Unterstützung in Marzahn-Hellersdorf mit 1,5 Prozent Zustimmung zum Volksbegehren. Die zweithöchste Beteiligung gab es in Tempelhof-Schöneberg (15,9 Prozent), dicht gefolgt von Neukölln (15,8 Prozent). Deutlich geringer war die Beteiligung in jenen Bezirken, die weiter entfernt vom Tempelhofer Feld liegen. In Steglitz-Zehlendorf unterstützten 6,7 Prozent der Stimmberechtigten das Anliegen, in Mitte 6,6, Prozent, in Charlottenburg-Wilmersdorf 6,2 Prozent, in Pankow 5,8 Prozent, in Treptow-Köpenick 4,2 Prozent, in Lichtenberg, 3 Prozent, in Reinickendorf 2,5 Prozent und in Spandau 2,4 Prozent.

Der wesentliche Inhalt des Volksbegehrens ist, ein Gesetz mit folgendem Inhalt zu verabschieden: „Das Land Berlin verzichtet auf eine Veräußerung, Bebauung und Teilprivatisierung des Tempelhofer Feldes. Das Tempelhofer Feld steht der Öffentlichkeit weiterhin in seiner Gesamtheit und ohne dauerhafte Einschränkungen zur Verfügung. Es dient auch zukünftig der Freizeit und Erholung und wird in seiner Funktion als innerstädtisches Kaltluftentstehungsgebiet und als Lebensraum für  Pflanzen und Tiere geschützt. Dabei wird das Tempelhofer Feld in seiner Bedeutung als historischer Ort  und als Ort des Gedenkens erhalten.“

 

Massenhafte Manipulationen? Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, sagt die Wahlleiterin

In den vergangenen tagen war Kritik an der Stimmenauszählung laut geworden. Sie machte sich unter anderem daran fest, dass die Bezirke nach unterschiedlichen Kriterien die Echtheit der Unterschriften prüfen. Mehrere Bezirksstadträte- und Bürgermeister hatten das Vorgehen als „zu lax“ kritisiert und vor Manipulationen gewarnt. Für den Vorwurf von „massenhaften Manipulationen“ gebe es allerdings „keine Anhaltspunkte“, teilte die Landeswahlleiterin in ihrer Stellungnahme am Dienstag mit.

Einige Bezirke wie Pankow und Spandau hatten wie berichtet Einträge für ungültig erklärt, falls das Geburtsdatum in den Angaben fehlte. Die meisten Bezirke aber gingen weniger streng vor. Sie hielten sich an die Ausführungsbestimmungen des Landeswahlamtes zum Abstimmungsgesetz, das Berlins Volksbegehren regelt. Danach reichen allein Name, Adresse und Unterschrift zur Identifikation und damit für die Gültigkeit aus.

Die Landeswahlleiterin betonte am Dienstag, dass das Prozedere „selbstverständlich im Einklang mit dem Abstimmungsgesetz“ sei. Demnach gehe es ausschließlich darum, ob eine unterzeichnende Person identifizierbar sei, auch wenn die Eintragung unleserlich, unvollständig oder fehlerhaft sei.

Raum für Ideen: 300 Hektar groß ist das einstige Flugfeld in der Berliner Innenstadt.
Raum für Ideen: 300 Hektar groß ist das einstige Flugfeld in der Berliner Innenstadt.

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Die Grünen werben für einen „dritten Weg“

„Das Ergebnis der Unterschriftensammlung zeigt, dass viele Berliner die überdimensionierten Bebauungspläne des Senats ablehnen“, erklärten die beiden Berliner Grünen-Vorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener. „Der Senat sollte sich davor hüten, beim Abstimmungsdatum ein weiteres Mal zu tricksen: Wenn er den Termin nicht auf die Europawahl legt, haben SPD und CDU den letzten Rest an Glaubwürdigkeit bei der direkten Demokratie verspielt.“ Die grünen fordern Senat und Bürgerinitiative auf, ihre bisherigen Forderungen zu überdenken und von ihren „Maximalpositionen“ abzurücken: „Zwischen den überdimensionierten Bauplänen von Senator Müller und der Nulllösung der Initiative gibt es einen dritten Weg.“ Es sei möglich, mehr als zwei Drittel des Feldes als Freifläche zu sichern und trotzdem bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwache Mieter zu schaffen. Eine derartige Lösung wollen die Grünen in den nächsten Wochen vorlegen. „Dafür braucht es jetzt ein Planungsmoratorium und den Konsens, die Berliner an der Gestaltung des Areals zu beteiligen.“

Der Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, sieht sich durch das Ergebnis in seiner bisherigen Position bestätigt: „Für diese Pläne gibt es keine Akzeptanz in breiten Teilen der Berliner Bevölkerung“, erklärte er. Er fordert den Senat auf, ein Planungsmoratorium zu verkünden. Er fordert die Regierungsparteien SPD und CDU auf, „diese Zeit zu nutzen und auf die das Volksbegehren tragenden Initiativen zu zugehen“. Voraussetzung dafür müsse die Bereitschaft sein, die bisherigen Bebauungspläne deutlich zu reduzieren.

SPD und Wohnungswirtschaft wollen kämpfen, die CDU setzt auf Überzeugungsarbeit

Mit kämpferischen Worten reagierte die Regierungspartei SPD. „Berlin braucht bezahlbare Wohnungen, keine Blockade“, erklärte deren Landesvorsitzender Jan Stöß in einer ersten Reaktion auf den Ausgang des Volksbegehrens. „Wir werden die Auseinandersetzung mit dem Volksbegehren "100 % Tempelhof" offensiv führen.“ Er sei überzeugt davon, dass die Berliner „mit großer Mehrheit davon überzeugt sein werden, dass wir auch in der Innenstadt neuen, bezahlbaren Wohnraum brauchen“. Er erinnerte daran, dass der Senat an den Rändern des Feldes insgesamt 5000 neue Wohnungen „für kleine und mittlere Einkommen“ plant. Zugleich bleibe „die riesige freie Fläche in der Mitte des Feldes ein 230 Hektar großer Park für Freizeit, Sport und Erholung - größer als der Große Tiergarten oder der New Yorker Central Park“. Die Ablehnung jeder Bebauung schade der Entwicklung Berlins. Stöß: „Wir haben die besseren Argumente, wenn es darum geht, das Tempelhofer Feld behutsam und im Sinne aller Berlinerinnen und Berliner weiterzuentwickeln. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion!“

Die kleinere Regierungspartei CDU äußerte sich hingegen weniger kämpferisch und setzt mehr auf versöhnliche Töne. „Das Ergebnis der Auszählung ist eindeutig und ich gratuliere den Initiatoren und beteiligten Bürgern zum erfolgreichen Volksbegehren“, erklärte der Stadtentwicklungspolitiker Stefan Evers. Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus lege großen Wert darauf, dass vor dem Volksentscheid keine vollendeten Tatsachen durch den Senat geschaffen werden. „Grundsätzlich gilt für die CDU-Fraktion, dass die Ränder des Feldes ein geeigneter Ort für die Stadt von morgen sein können.“ In diesem Zusammenhang schieße das Volksbegehren über das Ziel hinaus, „wenn es das gesamte Tempelhofer Feld dauerhaft von jeder Entwicklungschance abschneidet“. Die große Freifläche in der Mitte des Tempelhofer Feldes müsse aber dauerhaft geschützt werden. Die Tempelhofer Freiheit sei kein beliebiger Ort, hier zu bauen eine gewaltige Herausforderung. „Den Anforderungen der besonderen Lage zu entsprechen bedeutet, dass alle Planungen für dieses Areal mit größter Sorgfalt erfolgen müssen.“ Die weiteren Planungen seien deshalb nur dann erfolgreich und stießen auf Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn der Bürgerbeteiligung breiter Raum gegeben wird. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Planungen weiter mit intensiver Bürgerbeteiligung erfolgen. Es gilt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) will jetzt offensiv für eine Bebauung des Areals werben. „Das Ergebnis ist eine bittere Pille für alle, die bezahlbares Wohnen für Berlin wollen“, erklärte BBU-Vorstand Maren Kern. „Die wachsende Stadt braucht dringend mehr Neubau.“ Dabei könne „nicht nach dem Sankt-Florian-Prinzip verfahren werden: Neubau ja, aber nicht vor meiner Haustür“. Das sei unsozial und werde der bürgerschaftlichen Verantwortung für die Stadt nicht gerecht. „Wir bauen jetzt darauf, dass sich die Vernunft durchsetzt und die Berlinerinnen und Berliner für eine Bebauung stimmen werden.“

 

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