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Flügelspieler. Albrecht Gündel-vom Hofe unterrichtet eigentlich Mathe an der TU. Für ihn ist das kein Widerspruch: Musik, Gott, Mathematik – all das gehört für ihn zusammen.

© Mike Wolff

Musik ist Mathematik: Im Rhythmus Gottes

Albrecht Gündel-vom Hofe ist Mathematiker, Musiker und Christ. Seine Spezialität: Er verjazzt Kirchenchoräle.

Albrecht Gündel-vom Hofe – toller Name, klingt wie ein Minnesänger. Dabei ist der zierliche Mann, der so zart spricht, dass man in der Eiermann-Kapelle der Gedächtniskirche meint, die Schneeflocken draußen fallen zu hören, bar jeder schwärmerisch-höfischen Attitüde. Und seine Chorknabenzeit im Staats- und Domchor liegt lange zurück. Trotzdem, auf seine eigene Weise ist er genau das – ein Minnesänger – auch wenn seine Musik nicht hehre weibliche, sondern göttliche Liebe besingt. Mit modernen und ziemlich abstrakten musikalischen Mitteln. Albrecht Gündel, verheirateter vom Hofe, ist Jazzer. Und wenn man ihm ein Gesangbuch mit Kirchenchorälen reicht, nimmt er eine Melodie wie „Allein Gott in der Höh sei Ehr“, deren kraftvolle Worte fast 500 Jahre durch unzählige Christenkehlen geflossen sind. Die Worte lässt er weg, zerlegt die Melodie, ändert den Rhythmus, baut Changes und Bridges ein, kurz – arrangiert sie für sein Sextett aus Schlagzeug, Saxofon, Trompete, Bass, Piano. So geschehen auf seinem jüngsten Album „Confessiones/Bekenntnisse – Hymns and Songs from the Protestant Tradition“. Oder er setzt sich in der Glasbausteinkapelle auf dem Breitscheidplatz mal eben an den schwarzen Flügel und improvisiert über die Melodielinie. So sorgfältig nach klarer Struktur suchend, wie es dieser transparente und zugleich intime Raum verlangt.

Die Ordnung, die Struktur im Chaos zu suchen, ist ein Bedürfnis des Menschen, ist Albrecht Gündel-vom Hofe überzeugt. Seins jedenfalls ist es. Deswegen ist der 1957 geborene Steglitzer, der seit mehr als 30 Jahren ehrenamtlich mal hier in der Gedächtniskirche, mal in der Kreuz-Kirche in Lankwitz bei Gottesdiensten orgelt und auch in der Jüdischen Gemeinde musiziert, im Brotberuf nicht Konzertpianist geworden, sondern Mathematiker. Von montags bis donnerstags lehrt er im Mathegebäude der TU. Manchmal spricht er auch in der Urania über „Pythagoras, Mathematik und Musik“.

Dass beide Disziplinen verwandt sind, ist bereits seit 640 vor Christus bekannt, sagt Gündel-vom Hofe. Da wirkte Pythagoras nicht nur als Mathematiker, sondern auch als erster Musiktheoretiker. Und wie Gündel-vom Hofe darüber spricht, klingt Pythagoras’ Mantra „Alles ist Zahl“ so faszinierend wie damals im Matheunterricht nie. „Für mich beruht die Ästhetik der Musik auf der Logik der Mathematik“, spricht der freundliche Herr am Flügel und Begriffe wie Johannes Kepler, die Fibonacci-Zahlen, die sich im Jazzstandard „Take Five“ finden, der Goldene Schnitt ziehen am Fenster vor den leise fallenden Schneeflocken vorbei.

Er habe erst beim zweiten Hinsehen erkannt, wie stark Mathematik Philosophie ist, sagt Gündel-vom Hofe. „Wenn alles Zahl ist, ist die Frage, was Zahl ist“? Und inwiefern steckt darin ein göttliches Prinzip? Für den langjährigen Schüler der Jazzpianistin Aki Takase, der außer Mathe auch Astronomie und Musiktheorie studiert hat, gehören all diese Disziplinen zusammen und beim Komponieren macht er ein Zahlen- und Klangspiel daraus. „Wenn ich Melodielinien schreibe, habe ich ein starkes geometrisches Empfinden.“

Und dann wäre da noch sein spirituelles Empfinden. Albrecht Gündel-vom Hofe ist Christ. Und Musik die akustische Schwingung, die Menschen zu Gott trägt. Doch als Musiksprache ausgerechnet ein – verglichen mit Sakropop oder christlichen Liedermachern – sprödes Genre wie Jazz zu bemühen, ist schon eine ungewöhnliche Idee. Anders als im Soul ist es unter Jazzprofis nicht gerade üblich, sich zum Werkzeug Gottes zu machen. Gündel-vom Hofe zuckt die Schultern. Für ihn gibt es da nichts zu wählen. Er trägt den Jazz genauso wie den Glauben schon sein ganzen Leben in den Genen herum. „Für mich ist Improvisation der volle kreative Moment, der Schöpfungsfunken.“ Und die Kirchenlieder der Reformationszeit und der Bekennenden Kirche, die er auf dem Album bearbeitet, sind keineswegs nur Spielmaterial, sondern Teil seiner religiösen Sozialisation und spirituelle Botschaft.

Ob die ohne die altvertrauten Texte funktioniert, darüber kann man durchaus streiten. Beim ersten Anhören spürt man etwa bei Paul Gerhardts Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ schmerzlich den Verlust der Worte, erschrickt sogar, wenn das Agnus Dei „Christe, du Lamm Gottes“, ein Zentralmotiv der Abendmahlsliturgie, als Jazzversion erklingt. Doch schon beim zweiten Anhören ist die Hörgewohnheit oder sogar das Tabu gebrochen und man versöhnt sich gerade mit dieser coolen, elegant arrangierten Nummer. Albrecht Gündel-vom Hofe lächelt, diese Kommentare ist er gewohnt. Er sei halt einer, der versuche, Brücken zu schlagen. „In der Mathematik, der Musik, einfach um sich dem ganzheitlichen Denken nicht zu verschließen.“ Das Album hat er seinen zwei anderen Lieben gewidmet: seiner Frau Brigitte und Gott, dem Schöpfer aller Musik.

Nächste Termine des Albrecht Gündel-vom Hofe Ensembles: Psalmton-Gottesdienst, So 10.2., 18 Uhr, Gedächtniskirche, Breitscheidplatz, Charlottenburg; Jazz Impressionen, So 17.2., 16 Uhr, Meerbaum-Haus, Kaiser-Friedrich-Gedächtnisgemeinde, Siegmunds Hof 20, Tiergarten

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