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Berlin: Musik für die Massen

In der Brunnenstraße 154 wurde einst Unterhaltungsmusik für die DDR produziert. Nun soll das Plattenstudio als „Pax“-Club eine erste Adresse fürs Ausgehen werden

Im Studio B des VEB Deutsche Schallplatten in Mitte standen alle Größen der DDR-Musikszene vor dem Mikrofon. Manfred Krug und Nina Hagen nahmen hier ebenso ihre Platten auf wie die Bands Puhdys, Karat, City, Renft oder Silly. Hier in der Brunnenstraße 154 wurde die Unterhaltungsmusik für das ganze Land produziert. Das ist lange vorbei. Heute wird nicht mehr gesungen, sondern getanzt, aus Studio B (wie Brunnenstraße) ist ein Club geworden.

Geht es nach Betreiber Bob Young, entsteht hier eine der ersten Adressen fürs Berliner Nachtleben. Der gebürtige Amerikaner, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, hat das „90 Grad“ in Schöneberg mitgegründet, war später Chef der 808-Bar in der Oranienburger Straße und erfand die gmf-Party, die bis heute jeden Sonntag das Café Moskau füllt. Mit Partyreihen und anderen Veranstaltungen will Bob Young das Studio füllen, das er „Pax“ (lateinisch: Frieden) genannt hat. Zur Berlinale steigt hier bereits eine Premierenparty. Die Voraussetzungen sind auch bestens: Es gibt beispielsweise einen etwa 70 Meter langen Vorraum, in dem sich ganz glamourös ein roter Teppich ausrollen lässt, der zudem auf historischem Bode liegt. Denn bevor die DDR-Plattenfirma einzog, war das Haus ein Kino.

Das „Casino“ war zwar eines von rund 30 in der näheren Umgebung (siehe Text unten), aber trotzdem etwas besonderes: Es hatte kuschlige Logen. Diese sind aber mit dem Umbau zum Plattenstudio verschwunden. Der Saal wurde zum 200 Quadratmeter großen Aufnahmeraum, in dem heute die Clubbesucher durch den Disconebel tanzen können. Noch immer sind die Wände dick gepolstert, hier und dort stehen ein paar Elektroschränke. Durch eine doppelte Scheibe fällt der Blick in den einstigen Regieraum, der nun als Lounge dient, in dem sich die Besucher fast so privat fühlen können wie früher in den Kino-Logen.

Der Regieraum war einst der Arbeitsplatz von Volkmar Andrä. 1972 fing er im Studio B als Musikredakteur an und weiß noch genau, wie es losging mit den flotten Tönen aus der Brunnenstraße. Mitte der 60er Jahre erlebte die DDR-Musik einen enormen Aufschwung. Beat-Musik, mit deutschen Texten, das war modern, „lange bevor Udo Lindenberg und Co. kamen“, wie Andrä sagt. Ein Plattenstudio für diesen Pop und Rock gab es aber nicht. Die Bands wie die Puhdys produzierten ihre Songs meist beim DDR-Rundfunk. Doch: „Die Leute wollten die Musik auch auf Schallplatte haben“, sagt Andrä. Der Siegeszug von Stereotechnik und LP tat ein Übriges. „Also legte sich der VEB Deutsche Schallplatten ein neues Studio zu.“ Die Wahl fiel auf das leer stehende Kino „Casino“ in der Brunnenstraße. Kurios dabei: Ein Teil der Aufnahmetechnik stammte aus dem Westen, weil die DDR-Industrie nichts Vergleichbares zu bieten hatte. Die Musikproduktion war profitabel, und das sicherte dem Staatsbetrieb eine relative Unabhängigkeit. Die SED mischte sich weniger in die Angelegenheiten ein als bei Radio und TV, wie sich Volkmar Andrä erinnert, der zuvor beim DDR-Fernsehen gearbeitet hatte.

Die Platten, die im Studio B aufgenommen wurden, kamen unter dem Namen Amiga in die Läden, der damals schon viele Jahre existierte. Ernst Busch, der Schauspieler und Brecht-Interpret, hatte kurz nach dem Krieg von den Sowjets die Lizenz für einen Amiga-Plattenverlag erhalten. Bis heute ist das Label ein Markenzeichen für ostdeutsche Musik – wenngleich nach der Wende die Mikros in der Brunnenstraße ausgeschaltet wurden. Die Technik war veraltet, der VEB Deutsche Schallplatten wurde zerschlagen, Amiga an den BMG-Konzern verkauft. Ins Studio in der Brunnenstraße zogen vorübergehend TV-Produktionsfirmen ein.

Volkmar Andrä arbeitet heute bei BT-Music, einer Plattenfirma, die 1994 von ehemaligen Beschäftigten der DDR-Plattenfirma gegründet wurde. Das Unternehmen mit Sitz in der Neuköllner Sonnenallee (West) hat sich auf Volksmusik (Ost) spezialisiert. Zum Repertoire gehören auch die Lieder Herbert Roths, der zu Lebzeiten so etwas wie der ostdeutsche Volksmusikkönig war. Gern erinnert sich Andrä an die Zeit in der Brunnenstraße – und an seinen größten Erfolg als Produzent. Immerhin anderthalb Millionen Mal wurde die Platte „Weihnachten in Familie“ mit Frank Schöbel verkauft, und jedes Jahr zum Fest kommen Tausende Exemplare – inzwischen auf CD gepresst – hinzu. Was Andrä davon hat? Nichts. Pardon: fast nichts. „100 DDR-Mark Prämie haben sie mir damals gezahlt“, sagt der 59-Jährige. Da muss er selber lachen.

Pax-Studio, Brunnenstraße 154, Mitte, nächste Party: „F.U.N.“, Freitag, 30. Januar, 23 Uhr; Bob Young Events, Karl- Marx-Allee 34, Mitte, Telefonnummer 280 953 96, Internet: www.gmf-berlin.de; BT-Music, Sonnenallee 255, Neukölln, Telefonnummer 63979206, Internet: www.bt-music.de

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