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Wasserschaden im Fichtenberg-Gymnasium im Jahr 2011.

© Thilo Rückeis

Marode Schulen in Berlin: Der reiche Südwesten hat die kaputtesten Schulen

Steglitz-Zehlendorf hat von allen Berliner Bezirken den höchsten Sanierungsbedarf bei Schulen. Die Bezirkspolitik sucht nach Antworten. Die Eltern warnen hingegen seit Jahren.

Ulrike Kipf hat schon viel gesehen: Knöterich, der durch marode Mauern ins Klassenzimmer wächst, undichte Dächer, kaputte Heizungen, unsanierte Toiletten. Seit Jahren prangern Kipf und andere Elternvertreter aus Steglitz-Zehlendorf die Zustände an den Schulen im Bezirk an. Und doch sagt Kipf jetzt, nachdem die Zahlen zum Sanierungsbedarf der Schulen auf dem Tisch liegen: „Wir sind schockiert, dass der Bezirk so katastrophal dasteht und haben die Zahlen mit großer Bestürzung zur Kenntnis genommen.“

Am Mittwoch hat der Senat die Ergebnisse des Gebäudescans der Schulen veröffentlicht. Der Akutsanierungsbedarf beträgt berlinweit über 1,6 Milliarden Euro. Mehr als 342 Millionen Euro sind es in Steglitz-Zehlendorf, so viel wie nirgendwo sonst und über 112 Millionen Euro mehr als im zweitplatzierten Tempelhof-Schöneberg. Und allein zehn der 30 Schulen mit Sanierungskosten von über zehn Millionen Euro stehen ausgerechnet in dem so wohlhabenden Steglitz-Zehlendorf. Wie kann das sein?

Liegt es an den vielen Altbauten?

Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski und Schulstadtrat Frank Mückisch (beide CDU) verweisen darauf, dass der Bezirk „sehr viele große alte Schulen hat“. Allerdings hat beispielsweise auch Charlottenburg-Wilmersdorf einen hohen Anteil an denkmalgeschützten Altbauten unter den Schulgebäuden, und der Bezirk gibt nur 38 Millionen Euro als Akutbedarf an. „Ich weiß nicht, wie viele Holzwürmer es in Charlottenburg-Wilmersdorf gibt“, wehrt sich Bürgermeisterin Richter-Kotowski, die zuvor fünf Jahre lang Bildungsstadträtin war, gegen den Vergleich und betont: „Wir haben 100 Millionen Euro in fünf Jahren investiert.“

Bezirk verweist auf Prioritätensetzung

Die hohe Summe des Akutbedarfs (Priorität I) von 342 Millionen Euro begründet sie zudem damit, dass Dinge wie Elektrik und Brandschutz bei ihnen sehr wichtig genommen würden und daher als Priorität I eingestuft worden seien. Andere Bezirke hätten das offenbar anders gehandhabt und diese Maßnahmen nur unter Priorität II oder III gesetzt. Die Senatsbildungsverwaltung wies diese Begründung zurück: „Die Kriterien sind einheitlich festgelegt worden“, betont Sprecherin Beate Stoffers.

Genau um diese Einheitlichkeit sei es doch beim Gebäudescan gegangen und daher monatelang verhandelt worden. Wenn ein Bezirk aber im Nachhinein zu der Ansicht gelange, zu viele Schulen mit der obersten Priorität versehen zu haben, könne er das „gern noch mal neu bewerten“.

Bildungsstadtrat Mückisch sagt, die Hauptmängel glichen sich an vielen Schulen: Dächer, Fenster und Fußböden müssen saniert, Elektrik und Heizungsanlagen repariert werden, beim Brandschutz sei viel zu tun. In diesem Jahr habe der Bezirk rund 20 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Geplant seien unter anderem Maßnahmen an folgenden Schulen: Schadow-Gymnasium, Wilma-Rudolph- Schule, Beethoven-Gymnasium, Gail-S.- Halvorsen-Schule, Zinnowwald-Schule, Bröndby-Schule, Arndt-Gymnasium.

"Die Frage ist, ob wir es schaffen, das ganze Geld auszugeben"

Bereits begonnen haben die Arbeiten am Fichtenberg-Gymnasium, das jahrelang verfiel und nun für rund 20 Millionen Euro saniert wird. Mückisch bremst aber die Hoffnungen: „Die Frage ist, ob wir es schaffen, das ganze Geld auszugeben.“ Zum einen sei das Personal in den bezirklichen Ämtern knapp, zum anderen sei es fraglich, ob die Baufirmen genügend Kapazitäten hätten, weil jetzt so viel in der ganzen Stadt gebaut und saniert werde.

„Wir haben Sorge, dass sich die Situation nicht so schnell verbessert und dass eines Tages ein Kind zu Schaden kommt“, sagt Ulrike Kipf, die Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Steglitz-Zehlendorf. Es habe schon etliche gefährliche Situationen gegeben: zum Beispiel am Lilienthal-Gymnasium in Lichterfelde, wo gerade noch rechtzeitig entdeckt wurde, dass am Haupteingang lose Gebäudeteile herabzustürzen drohten. Kipf erinnerte auch an die Mühlenau-Grundschule, bei der 2015 mehrere Gebäude (es handelte sich um Containerbauten aus den 1980er Jahren) wegen Einsturzgefahr gesperrt werden mussten.

Eltern warnen seit zehn Jahren

Genau zehn Jahre ist es übrigens her, dass die damalige Vorsitzende des Bezirkselternausschusses, Daniela von Treuenfels, Aktionen startete, um auf den schlechten Zustand der Schulgebäude hinzuweisen: 2007 gab es zur Fastenzeit tägliche Berichte über diverse Missstände im Bezirk, darunter auch schon marode Schulen. 2008 startete dann der erste „Adventskalender der maroden Schulen“. „Ich bin damals als wandelndes Hassobjekt durch den Bezirk gelaufen und wurde als hysterische Mutter wahrgenommen“, erinnert sich von Treuenfels.

Sogar „Verachtung“ habe sie gespürt, als sie nicht aufhörte, den Zustand der Schulen anzuprangern. Vertreter der Bezirks-SPD hätten sich sogar an sie gewandt und durchblicken lassen, dass Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sie sinngemäß gefragt hätte, „ob sie ihre Eltern im Bezirk nicht im Griff haben“. In einer Mail an sie habe sich Sarrazin für „nicht zuständig“ erklärt, obwohl er – eine Folge des damaligen Sparkurses – die Gelder für die bauliche Unterhaltung zurückgefahren hatte.

Diese jahrelange Unterfinanzierung beim baulichen Unterhalt wurde erst jetzt korrigiert. „Die Eltern haben beim Thema Sanierung nicht lockergelassen“, sagt eine Schulleiterin. „Es ist auch ihr Verdienst, dass es nun vorangeht.“

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