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Berlin: Lichtenberg legt eine neue Platte auf

Im Hochhausbezirk sammeln sich kreative Branchen und alternative Baugruppen – viele fliehen vor den steigenden Mieten in Friedrichshain.

Es wird. Langsam, aber es wird. So langsam bekommt Lichtenberg schon fast trendige Züge. Der bezirkliche Inbegriff von Plattenbauödnis und hartherzigem Stasirentnertum entwickelt Anziehungkräfte und arbeitet sich aus seinem betonierten Ostimage heraus. Das hat zwei Gründe: die Brachen in Lichtenberg und die Mieten in den angrenzenden Citybezirken.

Nach Lichtenberg sind Leute gekommen, die auf ehemaligen Industrieflächen oder in leer stehenden Großgebäuden etwas unternehmen wollen. An der Herzbergstraße im Norden des Bezirks ist das Dong-Xuan-Center entstanden. Frauen und Männer asiatischer Herkunft verkaufen in kargen Hallen alles Mögliche, was die Globalisierung des Handels in großen Containern nach Berlin bringt, von der Hot-Chili-Soße in der Literflasche über Textilien bis zum Nails Supply. Auf der Brache war zur Hochzeit der Industriestadt Berlin Siemens-Plania. Dort wurden mit gigantischen Öfen zum Beispiel Elektrokohlen hergestellt, wie man sie für Elektromotoren braucht. Der Ort erlebte auch eine kulturelle Aufladung: Zu DDR-Zeiten wirkte hier Hans Garbe, einer der Ersten, der mit dem Titel „Held der Arbeit“ dekoriert wurde und Bertold Brecht und Heiner Müller zu Theaterstücken inspirierte. Bald hieß die riesige Anlage VEB Elektrokohle Lichtenberg.

Hinter den Hallen haben ein Bagger und ein Radlader einem Betonbau den Rest gegeben und Schuttberge zusammengeschoben. Eine Krähe inspiziert die Halde. Auf dem alten Industriegelände soll ein „Asiatown“ entstehen, einschließlich Gesundheits- und Sportzentrum – wann, das ist allerdings noch ein wenig unklar. Drum herum stehen die zehngeschossigen Plattenbauten.

Für die hat Steffen Schuhmann etwas übrig. Vielleicht liegt es daran, dass Schuhmann im Ostteil Berlins aufgewachsen ist. Schuhmann personifiziert die Kreativwirtschaft, auf die sich die ganze Stadt so viel zugutehält – und die, in kleineren Teilen zumindest, Lichtenberg vor Jahren schon entdeckt hat. Schuhmann ist ein freundlich-cooler junger Mann, ein junges Gesicht mit dem Terminplan eines Unternehmers.

Er stellt mit anderen, die Fantasie, Ideen und Kenntnisse vom Aufbau eines Internetauftritts haben, Images her, „Corporate Designs“ für Museen, Theater, Modefirmen, Stiftungen. Das passiert in einem alten DDR-Kindergarten. Er trägt den Namen „Heikonaut“ und liegt an der Sewanstraße. Die ist lang und mit Häusern so zugestellt, dass Hinweisschilder helfen, gerade und ungerade Hausnummern zu finden. 90 Quadratmeter sind hier in der Nähe für 740,44 Euro zu mieten.

Der Plattenbaukindergarten im Stil der DDR-Moderne, in dem Schuhmann und seine Kollegen von „anschlaege.de“ arbeiten, liegt nicht gerade in einer In-Gegend. Das hat ihn für das Kreativkollektiv interessant gemacht. 2002 hatte Schuhmann mit 50 Leuten einen Sommer lang in einem leer stehenden Hellersdorfer Plattenbau gewohnt, um „das Potenzial“ solcher Gebäude zu erkunden, wie er sagt. Als er dann mit anderen ein Gebäude suchte, „um was aufzubauen“, passte der leere Kindergarten optimal: Ein intaktes Gebäude mit großen Räumen für Arbeitstische, einem Keller für ein paar größere Geräte zum Siebdrucken und für Reprofotografie – „kollektives Eigentum“, wie Schuhmann sagt.

Die Grundidee des Heikonauten besteht darin, dass Menschen mit verschiedenen Berufen vom Kommunikationsdesigner bis zur Modemacherin am Mittagstisch über das reden, was sie in Arbeit haben und sich projektweise zusammentun. Dass sie gerade in Lichtenberg das passende Gebäude fanden, hatte mit der Herkunft der Heikonaut-Gründer zu tun: „Klar sind wir aus dem Osten“, sagt Schuhmann. Klar – „weil wir hiervor keine Angst haben“. Für viele Westberliner ende die Stadt noch immer am Ostkreuz. Die Heikonauten aber hatten kein Interesse daran, wie viele andere kreative Einzel- oder Kleingruppenkämpfer in einem ehemaligen Ladenlokal im Erdgeschoss eines Gründerzeithauses Räume zu beziehen. Mit solchen Projekten beginnt dann oft die Aufwertung eines Kiezes. Grinsend sagt Schuhmann: „Durch unsere Anwesenheit haben wir dieses Viertel nicht ein bisschen gentrifiziert“ – und das sei doch „ganz beruhigend“.

Lichtenberg dürfte von Hipness-Höhenflügen à la Kreuzkölln noch ein paar Jahre entfernt sein. Aber Altbaugegenden wie der Viktoriakiez oder das Viertel um den Nöldnerplatz haben Überraschungspotenzial: Nette Häuser, nette Cafés wie das „Frau Buschwitz“, freundlich lächelnde Mütter mit Kinderwagen – das soll das krude Lichtenberg sein? Nicht weit entfernt vom Nöldnerplatz will Lars Göhring ein „Fahrradloft“ bauen. Hier sollen zwei Häuser entstehen und dazwischen ein großer Garten. „Fahrradloft“ bedeutet, dass Stellplätze für Autos nicht vorgesehen sind, dafür aber Balkone mit viel Platz für Räder.

Göhring ist Architekt, und allenfalls 30 Prozent der Baugruppe seien „Fahrrad-Aficionados“. Leute zwischen 30 und 40, mit Kindern, „Friedrichshain-Fliehende“, wie Göhring sagt, haben sich zu einer Baugruppe zusammengetan. Die Idee, nach Lichtenberg zu ziehen, habe einige Interessenten erst abgeschreckt, erzählt Göhring. Der Bezirk sei sicher ein bisschen „rauer“ als Friedrichshain. Andererseits kann man in Göhrings jetziger Wohngegend um die Boxhagener Straße auch den Eindruck haben, dass der Altersdurchschnitt der Bewohner bei 25 liegt und je nach Touristenanzahl noch deutlich darunter. Da können Eltern kleiner Kinder schon das Gefühl haben, eine eigene Wohnung, ein bisschen mehr Ruhe und ein 2000 Quadratmeter großer Garten seien eine gute Perspektive.

Die Anzahl der Lichtenberger steigt jedenfalls seit Jahren, sagt Christian Petermann, Fraktionschef der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung. 258 000 Menschen leben in Lichtenberg, 2012 dürften mehr als 3000 zugezogen sein. Damit das so bleibt, versuchen die Bezirkspolitiker, gerade denen zu helfen, die alte Brachen für neue Projekte nutzen. Wirtschaftsstadtrat Andreas Prüfer, auch er von der Linken, will vor allem eins vermitteln: „Hier kann man was machen.“ Lichtenberger Politik sei für ihn, mal die Lücke in der Vorschrift zu finden.

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