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Werbung ohne Wohnung. Jahrelang verdeckte eine Reklameplane die letzte Baulücke am Leipziger Platz. Nun entsteht hier entgegen der Pläne ein reiner Bürobau.

© Kai-Uwe Heinrich

Leipziger Platz in Berlin: Wie ein Investor sich vom Wohnungsbau befreien ließ

Ein Investor muss am Leipziger Platz keine Wohnungen bauen - entgegen dem Bebauungsplan und gegen den Widerstand des Bezirks. Beraten wird er vom früheren Bausenator Peter Strieder.

Insiderwissen über Berlins Verwaltungen ist Geld wert. Es kann zum Beispiel die Befreiung von Bebauungsplänen möglich machen, ganz so, wie Investoren sich das wünschen. Der Neubau am Leipziger Platz 18, den eine Firma mit Sitz im Steuervermeidungsparadies Luxemburg errichtet, zeigt jedenfalls, was geht. Die in Berlin dringend benötigten Wohnungen müssen dort nicht gebaut werden, obwohl der Bebauungsplan es vorschreibt.

Schon wird in der Stadt wild über „Berliner Filz und Vetternwirtschaft“ spekuliert – ein Sprecher der Bauverwaltung weist das zurück. Es sei „rechtlich möglich, eine Befreiung vom geltenden Bebauungsplan zu beantragen“. Reiner Zufall, dass ausgerechnet der frühere Bausenator Peter Strieder, der sich heute in den Dienst von Baufirmen stellt, den Weg zur Befreiung von der lästigen Pflicht wies?

Auffällig ist jedenfalls, dass sich die ansonsten oft steife Berliner Verwaltung zuweilen erstaunlich beweglich zeigt, wenn der Ex- Bausenator das Spielfeld betritt: Ob in Oberschöneweide, in Schöneberg am Gasometer oder am Tacheles.

Die Bauherren der „F100“ am Leipziger Platz haben heute gleich mehrere Gründe zum Feiern. Die Vermietung von Büroflächen am Leipziger Platz bringt etwa doppelt so viel Geld ein wie die von Wohnungen. Auch das Ergebnis des Architekturwettbewerbes wird heute vorgestellt. Eingeladen hat Strieders Unternehmen „Ketchumpleon“, mit dabei: Bausenator Andreas Geisel und seine Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Vertreter des zuständigen Bezirksamtes Mitte sind nicht angekündigt. Denen dürfte auch nicht nach Feiern zumute sein: Mittes Baustadtrat Carsten Spallek hatte die Befreiung vom Bebauungsplan strikt abgelehnt und Strieder eine Abfuhr erteilt.

Laut Mittes Baustadtrat gibt es keine Grundlage zur Befreiung

Und so hatte alles begonnen: Strieder sprach bei einem persönlichen Termin für seinen Kunden F100 bei Spallek vor und forderte die Befreiung von der lästigen Pflicht zum Bau der weniger rentablen Wohnungen. „Dafür gibt es keine Grundlage und das habe ich Strieder auch gesagt“, sagt Spallek. Es gebe einen gültigen Bebauungsplan, der Senat habe ihn selbst aufgestellt. Dieser schreibe für alle Neubauten am Leipziger Platz einen Anteil von Wohnungen in den Obergeschossen vor. „Alle anderen Nachbarn haben sich daran auch gehalten.“

Doch Strieder ließ nicht locker. Kurz nach der Abfuhr kam das Thema zu Spallek zurück: „Senatsbaudirektorin Lüscher fragte bei einem unserer regelmäßigen Jour Fixes, ob sich der Bezirk eine Befreiung vom Bebauungsplan vorstellen kann.“ Erneut habe er klargestellt, dass schon wegen des Gebots der „Gleichbehandlung“ von Investoren am Leipziger Platz eine Befreiung nicht möglich sei.

Peter Strieder, früher Senator für Stadtentwicklung, jetzt Senior Berater bei Ketchum Pleon.
Peter Strieder, früher Senator für Stadtentwicklung, jetzt Senior Berater bei Ketchum Pleon.

© promo

Aber kurze Zeit später drückte die von Geisel geführte Senatsverwaltung die Befreiung durch – gegen die politische Maxime, jede Lücke in der Stadt mit Wohnungen zu füllen und gegen den Bezirkswillen. Formal ging das so: Die F100 reichte eine „Bauvoranfrage“ in Mitte ein für den Neubau, ohne Wohnungen, trotz Spalleks klarer Ansage. Der Bezirk lehnte ab, der Bauträger legte Widerspruch ein und über den entschied der Senat – zugunsten von Strieders Auftraggeber. „Wenn der Bauträger jetzt einen Bauantrag ohne Wohnungen stellt, müssen wir den genehmigen“, sagt Spallek.

Wohnungen sollen der Geisterstadt vorbeugen

„Nicht nachvollziehbar“ nennt Rechtsanwalt Karlheinz Knauthe die Befreiung von der Pflicht zum Bau von Wohnungen am Leipziger Platz. Knauthe ist Chef der gleichnamigen Großkanzlei mit Sitz am Leipziger Platz 10. Das Gebäude ist im Eigentum seiner Familie, die es selbst errichtet hatte. Strieder war zu dieser Zeit Bausenator – „und der wachte streng darüber, dass in allen Gewerbe-Neubauten der vorgeschriebene Anteil von Wohnungen entsteht“. Das kostet Grundeigentümer wie Knauthe viel Geld, weil die Wohnungen weniger einbringen als Büros. Diese Vorschrift soll Londoner Verhältnissen vorbeugen, wo sich die Innenstadt nach den Bürozeiten in eine Geisterstadt verwandelt, weil kein Mensch dort lebt.

Die „städtebauliche Vollendung des Leipziger Platzes“ sowie die „Beseitigung der Werbeplane“ rechtfertige den Verzicht auf Wohnungen, die wegen des Verkehrs von „verminderter Wohnqualität“ wären, sagt ein Sprecher von Geisel. Und er fügt hinzu: „Wer bezahlt Toppreise für eine Wohnung, bei der Sie nicht die Fenster öffnen können?“

Nicht zuzumuten ist das dem Investor, findet die Bauverwaltung, jedenfalls rechtfertigt sie die Befreiung auch mit der „nicht beabsichtigten Härte“ gegenüber dem Investor, die stärker wiege als „öffentliche Belange“ – der Bau dringend benötigter Wohnungen. Etwa, weil der Bausenator a. D. Peter Strieder dem amtierenden Bausenator Andreas Geisel bei der Begründung half? „Dass sich der Investor F100 dafür entschieden hat, sich von Herrn Strieder beraten zu lassen, habe ich nicht zu kommentieren oder zu beeinflussen“, sagt Geisel auf Anfrage – „aber mich beeinflusst es eben auch nicht“. Strieder habe weder bei Geisel noch bei sonst wem aus der Bauverwaltung vorgesprochen, sagt sein Sprecher.

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