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Viele kennen sich in der Hosemannstraße im Prenzlauer Berg. Die Anwohner sind fassungslos über den Fund.

© Ann-Kathrin Hipp

Leichenfund in Prenzlauer Berg: Das Grauen in der Nachbarschaft

Nach zehn Jahren wird eine zerstückelte Leiche in einer Tiefkühltruhe in Prenzlauer Berg gefunden. Ein Anwohner hatte schon 2007 Bedenken geäußert.

Vor der Schule stehen ein paar Kinder, an der Haltestelle warten Senioren auf den nächsten Bus, und im Haarsalon lassen sich drei Damen frisieren. Es ist ein scheinbar normaler Mittwoch in der Hosemannstraße in Prenzlauer Berg. Was hier noch kaum einer weiß: Wenige Häuser weiter hat sich über Jahre hinweg ein schreckliches Verbrechen abgespielt.

Es ist der 9. Januar, als Polizeibeamte nach dem Hinweis eines besorgten Nachbarn in einer Tiefkühltruhe in einer Wohnung der Hosemannstraße die zerstückelte Leiche eines Rentners finden. Die Obduktion ergibt: Der Mann, der heute 90 Jahre alt wäre, wurde getötet. Und das vermutlich bereits vor zehn Jahren.

Der Verdächtige hob jahrelang Geld vom Konto des Opfers ab

Am 10. Januar, nur einen Tag später, gelingt es der Polizei, einen Tatverdächtigen festzunehmen. Auf die Spur gekommen waren sie ihm, weil ein Unbekannter noch im Dezember und Januar Geld von dem Konto des Toten abgehoben hatte. Durch Videoaufnahmen einer Bankfiliale konnte die Polizei den Mann identifizieren und in der Nähe der Wohnung des Rentners festnehmen. Der 55-jährige Tatverdächtige führte persönliche Gegenstände des Opfers mit sich.

Am 11. Januar erlässt ein Richter Haftbefehl gegen den Mann. "Wir gehen im Moment davon aus, dass er sich die Einkünfte des Opfers über Jahre vereinnahmt hat", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Laut Steltner soll sich der Tatverdächtige nach dem Tod des Rentners mehrfach in dessen Wohnung aufgehalten haben, um diese instand zu halten. Es sei anzunehmen, dass sich Opfer und Festgenommener kannten. Ein Geständnis habe der Verdächtige bis Mittwochabend noch nicht abgelegt, so Steltner.

Die Wohnung der Tat. Hinter dieser Tür lag ein Mann zehn Jahre lang.
Die Wohnung der Tat. Hinter dieser Tür lag ein Mann zehn Jahre lang.

© Ann-Kathrin Hipp

Am Mittwochmorgen, genau eine Woche, nachdem der Haftbefehl erlassen wurde, gelangt der Fall in die Presse. Von den Anwohnern weiß zu diesem Zeitpunkt noch kaum einer von dem Verbrechen, das sich inmitten ihrer Nachbarschaft abgespielt hat. Auf Nachfrage gibt es Kopfschütteln, Unverständnis, Fassungslosigkeit. "Ich kann das nicht glauben", sagt die Betreiberin eines Friseurladens, der um die Ecke liegt. Zehn Jahre, murmelt sie immer wieder, zehn Jahre. "Das muss doch jemandem aufgefallen sein", sagt ein anderer Anwohner.

Nach und nach tummeln sich immer mehr Journalisten vor dem Haus des Opfers. Die Wohnungstür hat die Polizei mittlerweile mit einem lilafarbenen Klebeband versiegelt. Gerade verlassen zwei Beamte bepackt mit einem dunklen Koffer das Gebäude, vermutlich von der Spurensicherung. Mit der Presse sprechen wollen sie nicht.

Anders ein Mann mittleren Alters, der seit 2006 im gleichen Haus wohnt. Er beschreibt den verstorbenen Rentner als "jung geblieben" und "freundlich". In früheren Zeiten hätte der Mann fast jeden Sommertag auf dem Balkon gesessen und mit ihm geplaudert. Das letzte Mal habe er ihn dann im Oktober 2006 gesehen.

Bereits im Januar 2007 hatte sich ein Anwohner an die Polizei gewendet

"Im Januar 2007 habe ich das erste Mal bei der Polizei angerufen, weil ich mir Sorgen gemacht habe", erzählt der Nachbar. "Das kam mir komisch vor, und es hat aus der Wohnung undefinierbar gerochen." Seitdem habe er bestimmt zehn- bis fünfzehn Mal bei der Polizei angerufen und sich immer wieder bei der Hausverwaltung gemeldet – passiert sei jedoch nichts. Bis zum Montag.

Die Polizei will sich am Mittwoch nicht zu diesen Vorwürfen äußern. Von der zuständigen Wohnungsbaugenossenschaft heißt es: "Der Mieter hat sich aufgrund unheimlich vieler Angelegenheiten an uns gewandt." Mehr will der Sprecher aufgrund laufender Ermittlungen nicht sagen. Der Mieter selbst erzählt, dass es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen ihm, anderen Nachbarn und der Hausverwaltung gekommen sei. Er wirkt ein bisschen aufgeregt und zerstreut, als er den Journalisten von all den Vorkommnissen erzählt. Von dem Fund der Leiche habe er selbst erst an diesem Mittwochmorgen erfahren. Warum er sich im Laufe der Jahre nicht anderen Anwohnern anvertraut hat, sagt er nicht.

Ein schlimmer Einzelfall in einer anonymen Großstadt?

Fest steht: Es ist ein grausiges Verbrechen geschehen. Und niemand hat es über Jahre bemerkt. Ein schlimmer Einzelfall in einer anonymen Großstadt?

"Es stimmt schon, dass man in Großstädten oft anonymer lebt", sagt Mazda Adli, Chefarzt in der Fliedner-Klinik Berlin. Der Psychiater beschäftigt sich schon lange mit den Auswirkungen von Städten auf die Gesundheit. Das Phänomen, dass man seine Nachbarn nicht kenne, liege unter anderem an der zunehmenden Volatilität von Großstadtbewohnern. Damit meint er den ständigen Zu- und Umzug, durch den oftmals keine sozialen, nachbarschaftlichen Bindungen mehr wachsen könnten. Das sei nicht immer so gewesen.

Gerade beim aktuellen Fall ist es Adli aber wichtig, Anonymität von Einsamkeit zu trennen. Letztere bedrohe vor allem ältere Menschen, wenn sich der soziale Aktivitätsradius sehr weit einschränke. Auch deshalb rät der Mediziner dazu, Anlässe zu schaffen, um Nachbarn kennenzulernen. "Davon können letztlich beide Nachbarn profitieren."

Eigentlich kennen sich in der Hosemannstraße viele

Auch die Polizei wirbt ganz allgemein für enge nachbarschaftliche Verhältnisse. Bereits nach zwei Wochen seien überfüllte Briefkästen oder seltsame Gerüche ein begründeter Anlass zur Sorge.

Eine Postzustellerin radelt an diesem Morgen durch die Hosemannstraße. Schon seit Jahren stellt sie die Post im Bezirk zu, sie kennt die Menschen hier und bringt täglich Pakete in ihre Wohnungen. Sie erzählt, dass viele Anwohner schon seit Jahrzehnten hier im Kiez lebten. "Die meisten kennen sich. Da ist die Bindung relativ eng", meint sie. Die Jungen, die es jetzt vermehrt hierher ziehe, interessiere das allerdings wenig. "Die wollen keinen Kontakt mehr, die wollen sich doch gar nicht kennen", sagt sie. Wer wo ein- und auszieht, das wisse man gar nicht. Und wer seine Nachbarn nicht kenne, der vermisse sie eben auch nicht.

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