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Wenn Kinder allein bis ganz nach oben kommen, erfahren sie, wie gut es sich anfühlt, wenn man etwas aus eigener Kraft und Motivation schafft.

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Lasst die Kinder machen: „Sie schaffen das auch ohne uns!“

Anschubsen, hochheben, festhalten: Viele Eltern helfen ständig auf dem Spielplatz. Hier appelliert eine Erzieherin, Kinder allein vorankommen zu lassen.

Dienstagvormittag. Sonnenschein, Spielplatz, die Kindergruppe, ich und der Blick einer Mutter, der auf mir ruht. Eins der Kinder, Marie, möchte, dass ich ihr aufs Klettergerüst helfe. Erst ist der Blick der Mutter, die uns beobachtet, interessiert, ich kann den Gedanken, der dahinter steckt, fast hören: „Na, wie reagiert sie, auf die Frage des Kindes?“ Ich antworte, der Blick der Mutter verändert sich, wird ungläubig. Vielleicht sogar entsetzt, als sie das Kind wütend zurück zu zu den anderen gehen sieht? Ist die Erzieherin tatsächlich sitzengeblieben, unwillig, dem Kind auf das Klettergerüst zu helfen, fragt sich die Mutter wohl.

Ja, ganz recht, ich sitze noch und viel wichtiger, ich habe auch nicht vor, das zu ändern. Und ich weiß, wie das auf die Eltern auf dem Spielplatz wirkt. Der Spielplatz wimmelt nur so von Erwachsenen, die ihre Kinder nicht nur unablässig auf die tollen Spielgeräte hinweisen, sondern sie auch gleich auf die selbigen heben. Rauf auf die Schaukel und angeschubst, das Kind muss nur noch selbstständig sitzen. Bei der Rutsche, wird ihm selbst das abgenommen, es wird einfach am Arm gehalten, während es die Rutsche hinunter eiert. Hui, welch ein Spaß!

Von außen betrachtet, erfülle ich das Klischee der faulen Erzieherin

Und da sitze ich nun, das lebendig gewordene Klischee der faulen Erzieherin. Aber, es ist mir egal, denn ich weiß etwas, das die Mutter, die mich beobachtet, nicht weiß: Nämlich, was passieren wird, wenn ich sitzen bleibe und nicht, wie die Eltern hier, zusammen mit den Kindern über den Spielplatz tobe.

Marie ist jetzt wütend und enttäuscht. Sie hat hat es allein versucht, bestimmt 20 Sekunden lang, bevor sie sich auf den Weg gemacht hat, um Hilfe zu holen. Sie möchte auf das Klettergerüst, so wie die größeren Kinder, die schon oben sind, aber es klappt einfach nicht. Die erste Sprosse ist zu hoch. Für ihren Fuß nicht zu erreichen. „Ich kann das aber nicht“ hat sie gesagt und „Ich will aber!“ Und dann das! Die Erzieherin sagt, sie wüsste, Marie würde das schaffen. Ganz allein, ohne Hilfe. Sie ist nicht mitgekommen und das findet Marie gemein. Mama und Papa hätten ihr geholfen. Die sind nicht so fies. Sie geht zurück zum Klettergerüst, versucht erneut die erste Sprosse mit dem Fuß zu erreichen. Funktioniert nicht, sie hat es ja gewusst! Blöde Erzieherin. Blöde großen Kinder, warum können die da einfach hinaufklettern? Marie ist schließlich auch schon groß!

Noch ein Versuch. Vielleicht mit dem Knie auf die Sprosse und nicht mit dem Fuß? Das sieht gut aus. Kurz kann sie sich ein Stück hochziehen, aber nicht lange halten. Wieder kein Erfolg. Der Frust ist groß, die Tränen fließen. Marie will nicht getröstet werden. Jetzt braucht die Erzieherin auch nicht zu kommen! Sie versteckt sich im Gebüsch. Trösten lassen möchte sie sich jetzt nicht von mir. Sie ist enttäuscht und wütend ,und ich weiß, wie schwer es im Moment für sie ist, diese Gefühle auszuhalten. In Situationen wie diesen, lernt sie immer mehr, mit ihrem Frust umzugehen. Solche Momente sind wichtig für sie, auch wenn sie für uns beide nicht angenehm sind.

Marie sieht vom Gebüsch aus die anderen Kinder. Sie spielen und lachen. Vielleicht sollte sie zu ihnen gehen? Langsam wagt sie sich aus ihrem Versteck, gesellt sich zu den anderen Kindern in den Sand.

Ich bin froh, dass Marie aus dem Gebüsch gekrabbelt ist.

Die Kinder versuchen alleine, eine Lösung zu finden

Marie hat geweint. Paul bemerkt es als Erster. Ein bisschen unangenehm ist es ihr, aber sie erzählt es trotzdem. Sie würde so gern aufs Klettergerüst, noch immer. Kein Problem. Lina ist schon tausendmal hinauf geklettert und sagt: „Komm mit, ich zeige dir, wie es geht!“ Und wirklich, Lina klettert in Windeseile hinauf. Marie beobachtet aufmerksam.

Eine Bewegung zu sehen, bedeutet nicht, dass man sie auch auf den eigenen Körper übertragen kann. Ich hoffe, Marie wird sich nicht gleich wieder zurückziehen, wenn sie es Lina nicht nachmachen kann. Und tatsächlich: Lina ist oben, aber bei Marie will es nicht klappen. „Du bist einfach zu klein“, sagt die Größere.

Das findet Marie gemein und es beschämt sie. Marie ist nicht zu klein. Sie weiß, sie könnte das Klettergerüst hinauf klettern, aber da fehlt einfach eine Sprosse! Paul hat eine Idee. Sie brauchen eine Treppe. Ganz klar. Wenn man irgendwo nicht herankommt, braucht man eine Treppe oder Leiter oder einen Tritt. So wie bei der Toilette oder dem Waschbecken. Genau! So etwas brauchen sie. Zuerst fragen sie mich. Nein, ich habe keinen Tritt dabei und nein, ich kann unseren auch nicht aus der Kita holen. Aber, ich kann die Kinder ermutigen. Es muss nicht der Tritt sein. Man kann Dinge auch zweckentfremdet benutzen. „Was könnt ihr auf dem Spielplatz finden?“, frage ich.

Marie ist nicht mehr frustriert und auch nicht wütend. Hoffnung keimt in ihr. Sie muss nur einen Tritt finden, dann kann sie klettern. Paul und Lina helfen ihr. Sie suchen eine Weile den Spielplatz ab. Dann haben sie eine Idee. Wenn sie den Buddeleimer umdrehen? Könnte das eine Art Tritt sein? Tatsächlich. Wenn Marie auf dem Eimer steht, erreicht sie leicht die erste Sprosse und kann endlich das Klettergerüst erklimmen.

Ich freue mich für Marie. Nicht nur, weil sie auf dem Klettergerüst sitzt, sondern, weil sie erfahren konnte, wie gut es sich anfühlt, wenn man etwas aus eigener Kraft und Motivation schafft. Unabhängig von Erwachsenen. Ich freue mich, weil Marie zusammen mit anderen Kindern eine Lösung gefunden hat, statt sie von Erwachsenen serviert zu bekommen. Und ich freue mich für uns beide, denn Situationen wie diese sind noch dazu eins: wahrer Beziehungsaufbau. Denn Marie weiß, sie ist mir nicht egal. Ich traue ihr etwas zu, aber ich verlange ihr auch etwas ab.

Wenn ihr Eltern mich also demnächst wieder auf dem Spielplatz sitzen seht, setzt euch doch einfach dazu. Die Kinder schaffen das auch ohne uns. Nur besser.

Die Autorin, Britta Menter, arbeitet auch als Erziehungsberaterin.

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