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Häufiges Szenario auf Berliner Straßen: Eine Hand auf der Hupe.

© Mike Wolff

Lärmbelästigung auf Berliner Straßen: Finger weg von der Hupe!

Auf Berlins Straßen herrscht Dauerkrieg. Er wird mit akustischen Waffen geführt und es regiert das Recht des Lauteren. Das muss aufhören! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Die Berliner blicken auf eine lange Tradition von Straßenkämpfen zurück: die Barrikadenaufstände von 1848, die Berliner Märzkämpfe von 1919, den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 oder den 1. Mai in Kreuzberg 1987. Bei diesen Ereignissen traten gesellschaftliche Gegensätze offen zutage, Schusswaffen, Steine und Brandsätze brachten die Aggression zum Ausdruck. Im Dauerkriegszustand der Berliner Straßen gibt es heute nur noch eine Waffe: die Hupe. Verbündete kennt man dabei nicht mehr. Es gilt das Prinzip jeder gegen jeden.

Um das vorwegzunehmen: Wenn ich in Berlin mit meinem Peugeot 206 unterwegs bin, spüre auch ich einen ausgeprägten Hass auf alles, was sich langsam bewegt und meinem um ein paar Pferdestärken verstärkten Ego im Weg steht. Die Hupe benutze ich trotzdem nur im äußersten Notfall, lieber beiße ich leise ins Lenkrad. Denn bei keiner Form der Fortbewegung demaskiert sich der autoritäre Charakter so sehr wie beim Autofahren. Im zähen Berliner Verkehr kann der Aggression nicht mit einer steigenden Tachonadel Ausdruck verliehen werden. Die Wut braucht also ein anderes Ventil.

Trotz, Missgunst und Ungeduld

In südlichen Ländern ist das Hupen ein Gruß oder ein freundlicher Hinweis. In Berlin wird mit Hupsalven überzogen, was nicht bei drei auf dem Seitenstreifen ist. Man stelle sich dieses Verhalten einmal ohne Auto vor. Würde nicht jeder Mensch vollkommen zu Recht ausgelacht, der lautstark zetert, wenn der Vordermann beim Bäcker das Wechselgeld zu langsam einsammelt? Doch im Berliner Straßenverkehr dürfen alle wieder Kleinkinder sein, geleitet von Trotz, Missgunst und Ungeduld.

Wann ist es einem Autofahrer im innerstädtischen Raum erlaubt, ein akustisches Warnsignal abzusetzen? Einzig und allein aus einem Grund: „Wer sich und andere gefährdet sieht, darf die Hupe betätigen“, erklärt Josef Harrer vom Auto- und Reiseclub Deutschland (ARCD). Nun könnte man argumentieren, dass die Huper ihr tiefergelegtes Selbstwertgefühl permanent als gefährdet betrachten. Doch wer ein Ventil zur Triebenthemmung sucht, soll bitte ein Antiaggressionstraining aufsuchen oder Holz hacken.

Hupen aus Ärger ist verboten

Und jetzt zum Mitschreiben: Verboten ist das Hupen aus Ärger. Verboten ist das Hupen bei zögernden Pkw-Fahrern, die eine Sekunde zu spät die Grünphase der Ampel bemerkt haben. Und um mich endgültig zum Spielverderber aufzuschwingen: Auch die akustisch geäußerte Freude über gewonnene Fußballspiele steht nicht über dem Gesetz. Und wie wird ein Missbrauch der Hupe laut Bußgeldkatalog geahndet? Mit fünf Euro. Sie haben sich nicht verlesen: mit fünf lächerlichen Euro.

Das Berliner Landes-Immissionsschutzgesetz hingegen sieht bei unnötigem Lärm Geldbußen von bis zu 50 000 Euro vor. Warum bitte muss ein testosterongefluteter notorischer Dauerhuper zehntausendfach weniger zahlen als ein Pensionär, der sonntags den Rasen mäht? Die Senatsverwaltung klärt auf: Die Straßenverkehrsordnung hat Vorrang. Solche formaljuristischen Begründungen helfen meinen geschundenen Ohren aber nicht, wenn sich Pendler in aller Frühe die ersten Gefechte unter meinem Schlafzimmerfenster liefern.

Die Hupe ist eine akustische Waffe

Immerhin beträgt der Schalldruckpegel einer durchschnittlichen Pkw-Hupe 105 Dezibel und bewegt sich somit auf dem Niveau von Donner, Rockkonzerten oder eines Presslufthammers. In Frankfurt stand ein Autofahrer vor Gericht, der eine ältere Radfahrerin mit der Hupe erschreckt hatte, die Radlerin stürzte daraufhin und verletzte sich. Der Autofahrer wurde zu einer Geldstrafe und der Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Recht so, aber muss es so weit kommen? Die Hupe ist eine akustische Waffe. Und wenn der Gesetzgeber verhindern möchte, dass die ersten verzweifelten Seelen zu Notwehrmaßnahmen greifen, sollte er jetzt handeln.

Die innerstädtische Geräuschbelästigung durch das Hupen muss als das ausgelegt werden, was es in 99 Prozent der Fälle ist: mindestens eine Ordnungswidrigkeit im Sinne einer „Belästigung der Allgemeinheit“, wenn nicht sogar ein Straftatbestand wie Nötigung. Stoppt die akustische Barbarei!

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