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Gemütlich mit Koksofen. Das Café Reimann am Kurfürstendamm 35 im Jahr 1925.

© Ullstein Bild

Kunst und Kurfürstendamm: Die Stadt, das Bild und das Laster

Die Berlinische Galerie bereitet eine große Jeanne-Mammen-Schau vor. Eines der Werke hat eine spannende Geschichte.

Von wegen Wilmersdorfer Witwen! „Der Kurfürstendamm ist die jugendlichste Straße Berlins, die frische Blutader des neuen Westens. Hier herrscht die Jugend, und unter ihrer Devise verjüngt sich, was die Grenzen eigentlich überschritten.“ Ja, derlei liest der West-Berliner gern, sieht sich in seinem frischen Lebensdrang beflügelt – schade nur, dass die den Boulevard preisenden Worte aus Urgroßvaters Zeiten stammen. Entnommen sind sie Curt Morecks „Führer durch das ,lasterhafte‘ Berlin“, erschienen 1931 – für die schon damals zahlreichen Touristen und sicher auch für manchen Einheimischen eine Art Kompass, um sich beim Tanz auf dem Vulkan nicht zu verlieren.

Der Titel ist etwas vollmundig gewählt, führt doch das Büchlein nicht nur in die zwielichtigen und halbseidenen, von Sex, Laster und anderen Süchten durchpulsten Winkel der Stadt, sondern etwa auch zu „Walter Reimann – Wiener Café und Conditorei“ am Kurfürstendamm 35. Dort konnte einem selbst im winterlichen Vorgarten wohlig warm werden, aber das lag weniger am frivolen Ambiente als an den auch von Moreck erwähnten „kleinen Koksöfen“, Vorgängern der heutigen Heizstrahler, denen sie gar nicht so unähnlich sahen. Man betrachte nur alte Fotos – oder das im Stadtführer abgebildete Aquarell „Café Reimann“ von Jeanne Mammen: Im Vordergrund ein in der Tat eher lasterhaft als lebensfroh wirkendes Paar, sie vor sich eine Tasse Kaffee, er eine Weiße, darüber halb angeschnitten das Kaffeehausschild, im Hintergrund weitere Gäste – und einer der Koksöfen, in denen Moreck so etwas wie einen Versuch sah, Paris zu imitieren.

Jeanne Mammen wohnte in der Nachbarschaft des von ihr gemalten Cafés

Die Künstlerin hatte es nicht weit, seit 1919 bewohnte sie, nur wenige Häuser entfernt, ihr im Hinterhaus von Kurfürstendamm 29 gelegenes Atelier. Doch wenngleich das Aquarell das morbide, zunehmend der Gewalt anheimfallende Berliner Leben in der Schlussphase der Weimarer Republik sehr genau erfasst – an seinem Entstehungsort war es noch nie öffentlich zu sehen, außer eben in der verkleinerten, im Druck vergröberten Version des Stadtführers.

Das soll sich ändern: Am 6. Oktober eröffnet die Berlinische Galerie eine große Jeanne-Mammen-Retrospektive, wird dort auch das im Besitz der Morgan Library & Museum in New York befindliche Bild zeigen, ein nicht ganz billiges Unterfangen. Allein für den Transport dieses Werkes und des thematisch verwandten, um 1930 entstandenen und zuletzt 1997 in Berlin gezeigten Aquarells „Kaschemme“ aus dem Besitz des Museum of Modern Art werden 20 000 Euro Transportkosten fällig; der Förderverein des Museums hat, wie berichtet, einen Spendenaufruf veröffentlicht.

Der Berlinischen Galerie in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg gilt Jeanne Mammen geradezu als „Hauskünstlerin“, deren Schaffen in all seinen Schaffensphasen gezeigt werden soll, wie Annelie Lütgens, Kuratorin der Retrospektive, sagt. Gerade bei den Aquarellen aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, die zu den berühmtesten Teilen ihres Schaffens gehören, gibt es da Nachholbedarf. Jeanne Mammen hatte die Blätter mit Szenen aus dem Berliner Alltag, die sie – wie wohl auch die aus dem Café Reimann – erst am jeweiligen Ort skizzierte und dann im Atelier als Aquarell ausführte, Zeitschriften oder Buchverlagen als Illustrationen angeboten, konnte von den Honoraren auch recht gut leben. Die meist an sie zurückgesandten Originale gab sie aber nie aus der Hand, und ohnehin hat sich jahrzehntelang niemand mehr dafür interessiert – bis Anfang der siebziger Jahre die Neue Sachlichkeit und damit auch ihre alten Werke neue Aufmerksamkeit und auch neue Liebhaber fanden. So konnte die Hamburger Galerie Brockstedt Jeanne Mammen 1971 zu einer Ausstellung bewegen, bei der auch die beiden Werke „Kaschemme“, erstmals veröffentlicht in der Berliner Zeitschrift „Ulk“, und „Café Reimann“ den Besitzer wechselten.

Das Aquarell gehörte dem Texter des Musicals "Cabaret"

Die Kaffeehausszene gelangte wahrscheinlich direkt in die Sammlung des Songschreibers und Musical-Texters Fred Ebb, der zu Berlin, und gerade zu dem der verdämmernden Weimarer Republik, ein besonderes Verhältnis hatte: Gemeinsam mit dem Komponisten John Kander hatte er das 1966 am Broadway uraufgeführte, sechs Jahre später mit Liza Minelli verfilmte Musical „Cabaret“ geschrieben. Auch der nicht weniger berühmte Song „New York, New York“, von Lisa Minelli 1977 in dem gleichnamigen Martin-Scorsese-Film gesungen und später von Frank Sinatra wie auch, als „Berlin, Berlin“, von Harald Juhnke interpretiert, stammt von dem erfolgreichen Duo Ebb/Kander.

43 Zeichnungen und Aquarelle umfasste die Sammlung des New Yorker Songwriters, darunter acht Blätter von Egon Schiele, weitere von Paula Modersohn-Becker, Alfred Kubin, Emil Nolde, George Grosz, Otto Dix und eben das Blatt mit dem an einem Tisch des Cafés Reimann dahindämmernden Paares. Als Fred Ebb 2004 starb, hatte er die Sammlung der Morgan Library & Museum in Manhattan vermacht, in dessen Archiven sich also auch eine Spur des längst vergessenen Cafés am Kurfürstendamm findet.

Die Künstlerin Jeanne Mammen in den 20er Jahren.
Die Künstlerin Jeanne Mammen in den 20er Jahren.

© Unbekannter Fotograf/ Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.

Das Haus, vor dem einst Koksöfen die an Kaffee und Kuchen sich labenden Gäste wärmten, gibt es noch immer. In dem denkmalgeschützten Gebäude befindet sich heute das Hotel California. Ein Ort mit Geschichte, zu der freilich auch sehr viel dunklere Seiten gehörten als der vielleicht etwas triste, gleichwohl friedliche Genuss koffein- und alkoholhaltiger Getränke wie auf dem Aquarell Jeanne Mammens. Noch in seinem Entstehungsjahr wurden vielmehr der Boulevard und das Café Schauplatz eines von den Nazis unter Gauleiter Joseph Goebbels angezettelten antisemitischen Pogroms. Der Tag der massiven Ausschreitungen, der 12. September 1931, war nicht zufällig gewählt. An jenem Sonntag wurde Rosch ha-Schan, das jüdische Neujahrsfest, gefeiert. Rund um den Kurfürstendamm lebten besonders viele Juden, die Synagoge in der Fasanenstraße war an dem Abend daher gut gefüllt. Etwa ab 19.30 Uhr versammelten sich kleinere und größere Trupps von Nazis auf dem Kurfürstendamm, meist uniformierte Mitglieder der SA, zuletzt etwa 1000 Mann. Von ihren Anführern gezielt instruiert, unter Rufen wie „Juda verrecke“ oder „Deutschland erwache“, pöbelten sie die aus der Synagoge strömenden Gläubigen an, bedrängten und verprügelten gezielt Passanten, die sie für Juden hielten, randalierten auf Caféterrassen und selbst in den Lokalen. Und gerade das Café Reimann, das als jüdischer Treffpunkt galt, wurde ein Ziel der Attacken. Dort habe der Mob am schwersten gewütet, berichtete der sozialdemokratische „Vorwärts“: „Die im Vorgarten stehenden Tische und Stühle wurden demoliert, ebenso wurde die große Schaufensterscheibe der Konditorei zertrümmert.“ Im Buffetraum sollen sogar zwei Schüsse gefallen sein.

Der Nazi-Pogrom von 1931 - ein Menetekel

Jeanne Mammen, deren Wohnung vom Tatort nur durch sechs Hausnummern und die Uhlandstraße getrennt war, dürfte die Ausschreitungen miterlebt haben. Ein Tagebuch oder sonstige Aufzeichnungen über diesen Tag des Terrors gibt es aber nicht. Schon möglich, dass sie ihn als Menetekel begriffen hat, als Ankündigung all der Schrecken, die die folgenden Jahre bringen sollten. Auch für sie selbst, wenngleich sie politischer Verfolgung nicht ausgesetzt war. Aber viele der Publikationen, über die sie ihren Lebensunterhalt verdient hatte, existierten bald nach Hitlers Machtübernahme nicht mehr, und für die gleichgeschalteten Blätter mochte sie nicht arbeiten. Lieber meldete sie sich arbeitslos, verdingte sich für Gelegenheitsarbeiten, machte dies und das, wurde von Freunden unterstützt. Künstlerisch untätig blieb sie nicht, startete in eine neue Schaffensphase, auch wenn damit nichts zu verdienen war, ja die Werke nicht mal gezeigt werden durften. Kubistischer Expressionismus? Den Nazis hätte das als entartet gegolten.

Weitere Informationen über die Ausstellung und den Spendenaufruf unter www.berlinischegalerie.de

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