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Berlin-Experte. Klaus Lederer, Jahrgang 1974, ist in Schwerin geboren und in Frankfurt (Oder) groß geworden.

© Kai-Uwe Heinrich

Kultursenator Klaus Lederer: „Berlin kann nie fertig werden“

Baustellen-Chaos, überlastete Ämter und immer eine große Klappe. Klaus Lederer, Bürgermeister und Kultursenator, erklärt im "Neu in Berlin"-Interview das Berlin-Phänomen.

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Herr Lederer, braucht Berlin eine Obergrenze für Neuberliner?

Sie meinen so etwas wie eine Quotenregelung für Schwaben? Nein. Alle sind willkommen. Aber wir brauchen eine Infrastruktur, die der wachsenden Stadt gerecht wird. Wir müssen Wohnungen und Schulen bauen, den öffentlichen Verkehr fit machen und auch für mehr Kulturangebote sorgen. Wenn Mieterinnen und Mieter wegen steigender Wohnpreise aus ihren Kiezen verdrängt, Kulturangebote jenseits der Leuchttürme zerstört werden und ganze Viertel mit superteuren Wohnungen entstehen, wird die Stadt einförmig, weniger bunt und verliert viel von ihrer lebendigen Mischung – also genau den Reiz, den viele Neuberliner so schätzen.

Wozu braucht die Stadt vier Unis, drei Opernhäuser und zwei Zoos?

Berlin ist eben der Zukunft gewachsen. Darauf sind wir stolz. Klar, manches hat historische Gründe und ist während der Teilung entstanden: Opern in Ost und West, Unis in Ost und West, der ältere Zoo im Westen, der neuere Tierpark im Osten. Zum Glück haben wir nach der Einheit nicht einfach die Hälfte der Stadt dicht gemacht, sondern das Angebot halten können - trotz harter Jahre des Sparens. Dadurch, dass es manches mehrfach gibt, entsteht außerdem Konkurrenz, Vielfalt und Kreativität, was wiederum, gerade bei Theatern, zu einer unglaublichen Bandbreite führt.

Wieso haben Berliner so eine große Klappe?

Weil das Herz der Hauptstädter so groß ist! Es heißt ja ,Herz UND Schnauze‘ hätten die und beides gleicht sich ganz gut aus. Und wenn wir ehrlich sind: Das Widerständige, das Aufmüpfige, das Unkonventionelle sind doch die Pfunde, mit denen wir wuchern, für die wir geliebt werden. Also, bitte nicht beleidigt sein: Hinter jeder großen Klappe schlägt ein großes, warmes Herz.

Haben Politiker hier überhaupt was zu sagen?

Klar, haben Politiker hier etwas zu sagen. Ob das Gehör findet, ist eine andere Frage. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich ehrlich, kenntnisreich und mit einer Prise Humor argumentiere, treffe ich fast überall auf offene Ohren. Es ist auch eine Stilfrage: Wenn ich nicht von oben herab mit den Menschen rede, sondern auf Augenhöhe – und zwar rechtzeitig und mit allen –, dann klappt das. Dass in Berlin immer eine Prise liebenswürdiger Anarchismus dabei ist, gern etwas ohne ,die Politik‘ auf die Beine gestellt wird – das gehört eben dazu.

Warum sind die Straßen ständig für Demos und Feste gesperrt?

Demos und Feste sind Ausdruck der Berliner Lebendigkeit. Wir kämpfen und feiern, ja – aber das zeugt nur vom Interesse der Berlinerinnen und Berliner an der Stadtpolitik, von einer aktiven demokratischen Kultur und dem Willen nach Mitgestalten und letztlich von purer Lebensfreude. Was wäre Berlin für eine lahme Stadt, wenn es das alles nicht gäbe. Klar nerven Umleitungen kurzzeitig, aber das ist der Preis für ein pulsierendes Berlin.

Wie kommen die Berliner neben dem ganzen Feiern noch zum Arbeiten?

Wir feiern die Feste, wie sie fallen. Und sie fallen ja auch manchmal dicht an Berlin vorbei, etwa bei einigen religiösen Feiertagen, an denen in Berlin normal gearbeitet wird. Da öffnen wir dann für Menschen, die in Brandenburg oder Sachsen frei haben, gern unsere Geschäfte.

Sind Berliner fauler als andere?

Nein, das habe ich noch nie gehört. Vermutlich sind wir auch nicht fleißiger als andere. Mag sein, dass der Berliner eher den geraden und schnellen Weg dem mühevollen Umweg vorzieht – das ist ja kein Zeichen für Faulheit, sondern eher für Klugheit.

Warum muss Rest-Deutschland für Berlin andauernd so viel bezahlen?

Berlin hatte immer besondere Aufgaben zu erfüllen: Zu Zeiten der Teilung war West-Berlin von der Bundesrepublik hoch subventioniert, um auf der ,Insel im roten Meer‘ die Wirtschaft am Laufen zu halten. Im Osten wollte man Schaufenster der DDR für die Welt sein. Heute ist Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik – ein Ort der Repräsentation, der Sitz von Parlament und Regierung, Institutionen, die allen Bürgerinnen und Bürgern dienen. Die Sicherheitskosten sind höher. Die Kultur- und Geschichtsorte zu erhalten, kostet viel Geld. Warum sollte Berlin das allein zahlen?

Kann man/frau/* sich hier nachts überallhin trauen?

Berlin ist grundsätzlich eine sichere Stadt – und eine offene, vielfältige Metropole. So etwas wie No-go-Areas gibt es hier nicht, allerdings, wie leider überall, doch immer wieder Fälle von gruppenbezogener Gewalt, also rassistische, homophobe oder antisemitische. Darum wollen wir 1000 zusätzliche Polizisten einstellen, die an neuralgischen Punkten auch verstärkt Präsenz zeigen werden – das hilft sowohl im Ernstfall und erhöht auch das allgemeine Sicherheitsgefühl.

Ist Berlin eine wiedervereinte Stadt?

Für junge Leute oder Menschen, die von irgendwoher nach Berlin kommen, spielen Ost und West keine Rolle mehr. Wer aber die Teilung erlebt hat, wird die Übergänge von West nach Ost und umgekehrt immer wahrnehmen. So war der U-Bahnhof Mohrenstraße früher Endstation, daran denke ich oft, wenn ich heute einfach so weiterfahren kann. Emotional ist Berlin vereint. Aber faktisch ist die Teilung noch spürbar – bei den Renten, teilweise auch bei den Löhnen. Da müssen wir politisch endlich Gerechtigkeit herstellen.

Ab wann darf man berlinern?

Wenn man es kann, dann kommt das von allein. So muss es sein – nichts klingt schlimmer als ein eingeübtes ,Icke, dette, kiekemal, Oogen, Fleesch und Beene‘. Man steht im Späti und sagt mit einem Mal: ,Ick will det Bier da‘ – so passt es.

Soll Berlin eigentlich irgendwann fertig werden?

Eine Stadt, die jährlich um 40 000 Menschen wächst, kann nie fertig werden. Warum sollte sie auch? Berlin ist ständiger Wandel und immer im Werden und erfindet sich neu. Wenn einzelne Großbaustellen wie der BER fertig werden, wäre das allerdings schon sehr schön.

Das Interview führten Kai Röger und Stephan Wiehler. Es erschien zuerst im Tagesspiegel-Magazin "Neu in Berlin".

Starthilfe für Neuberliner
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