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Scheele Blicke? Die Anfangseuphorie der rot-rot-grünen Verhandler ist verflogen. Im Bild v.l.n.r.: Klaus Lederer (Linke), Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Grüne)

© dpa

Koalitionsverhandlungen in Berlin: Ein großer Wurf von Rot-Rot-Grün ist nicht in Sicht

Statt eine Idee für die Zukunft der Stadt Berlin zu entwickeln, verhaken sich die rot-rot-grünen Koalitionsverhandler im Kleinklein. Die Gespräche sind langwierig, die Stimmung leidet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sabine Beikler

Gutes Regieren soll die Zauberformel für Rot-Rot-Grün in Berlin sein. SPD, Linke, Grüne betonen seit Beginn der Koalitionsgespräche bei jeder Gelegenheit die konstruktive Atmosphäre, die Augenhöhe, den neuen Spirit. Die Sprachregelung geht den Koalitionären in spe gut über die Lippen. Ein Freudenfeuerwerk aber braucht Rot-Rot-Grün nach der Halbzeit der Verhandlungen nicht zu zünden: Alle Projekte, die bisher angedacht werden, stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Keiner der Koalitionäre hatte gedacht, dass sich die Verhandlungen so schwierig gestalten. Am Anfang konnten sich SPD und Linke noch über die Grünen amüsieren, die allen Ernstes vorschlugen, bei jeder Koalitionsrunde einen Seitenwechsel an dem Verhandlungstisch in Form eines gleichseitigen Dreiecks vorzunehmen. Einer Rotation um den eigenen Tisch erteilte man zu Recht eine Absage. Aber nun, da die Verhandlungen sich als langwierig herausstellen, fangen die Verhandler an zu leiden, und damit auch die Stimmung, die doch ihr größtes Pfund zum Auftakt war.

Dass alles, was bisher verabredet wurde, noch nicht wirklich festgezurrt ist, liegt an einem strukturellen Fehler: „Big points“ wie Schulsanierung, Wohnungs- und Mietenpolitik oder eine geplante neue „Wohnungsaufwendungsverordnung“ für Hartz-IV-Empfänger bleiben zunächst rechnerische Luftnummern, denn die Finanzen werden erst in der Schlussrunde der Koalitionäre, in einer „Langen Nacht der Messer“, entschieden. So kämpfen Finanzpolitiker gegen Fachpolitiker, von den ureigenen Interessen der Parteien mal ganz abgesehen.

Das Beharrungsvermögen der SPD ist groß

SPD, Linke und Grüne brauchen Referenzprojekte, um die eigene Partei und Wählerschaft zu befrieden. Unter hohem Druck steht die Linke. Sie muss ihrer Basis ein gutes Ergebnis präsentieren. Beim Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag, der nach den Verhandlungen durchgeführt wird, braucht die Parteispitze ein gutes Ergebnis, wenn die Basis zustimmen soll. Referenzprojekte sind ein billigeres BVG-Sozialticket sowie die „Wohnungsaufwendungsverordnung“, denn die Neuvermietungszuschläge für Hartz- IV-Empfänger sollen steigen.

Die SPD wiederum pocht auf milliardenschwere Investitionen im Bildungsbereich wie Schulsanierung. Das sozialdemokratische Beharrungsvermögen ist groß: Die Partei tut sich immer noch schwer, sich neuen Ideen zu öffnen und auf Augenhöhe zu verhandeln.

Bei den Grünen ist noch kein Referenzprojekt zu erkennen. Wird es Mobilität, Fahrradverkehr, Energie, Ökologie? Die Verhandler müssen sich immer wieder mit Fachgruppen und dem Realo- und linken Flügel rückkoppeln. Es gibt keine Verhandlungsführer bei den Grünen, die den in den Fachgruppen vereinbarten Sack von Vereinbarungen ungeöffnet durch Koalitionsrunden bringen.

Am 16. November sollen die Verhandlungen beendet sein. Vom „großen Wurf“ ist Rot-Rot-Grün noch weit entfernt. Wohnungsbau und Verwaltungsmodernisierung könnten gemeinsame Projekte sein. Die soziale Stadt als politische Botschaft eines Dreierbündnisses auszurufen, wäre nicht sehr innovativ: Die gab es bereits 2006 – als Überschrift von Rot-Rot.

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