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Gespannt am Skelett. Der angehende Mediziner Daniel Wobetzky erklärt, warum sich die Wirbelsäule bei der Erkrankung Morbus Bechterew verkrümmt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kinder-Workshop im Menschen Museum: Den Knochen auf der Spur

Das „Menschen Museum“ am Berliner Alexanderplatz ist hoch umstritten. Nun bietet es Anatomie-Workshops für Kinder an. Ein Besuch.

Links an der Wand, von Spots bestrahlt, in einer flachen Vitrine ist das Gehirn zu sehen. Präpariert und in Scheiben geschnitten, damit man die einzelnen Teile besser erkennen kann. Das Gehirn stammt von einem echten Menschen. Aber das ist für die zehn Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren jetzt gar kein Thema. Sie hören gespannt einem jungen Mann im weißen Arztkittel zu. Daniel Wobetzky, 24 Jahre alt, Medizinstudent im zehnten Semester. An diesem Samstagvormittag zieht er mit den Kindern durchs umstrittene „Menschen Museum“ (MeMu) unterm Fernsehturm. Er sagt: „Ich will sie für ihren Körper begeistern.“ Gerade erklärt er die zwei Hirnhälften. „Die rechte ist fürs Kreative, für Musik, Farben und so zuständig, die linke für Sprache, Probleme.“ Meldet sich Anton (11): „Oh ja, für Mathe. Davon brauch’ ich mehr!“

Anton nimmt am Anatomieworkshop „Junior-Doktor“ für Kinder teil. Als die Oma ihn anmeldete, dachte er erst: „Ach nee, noch so ’ne Biostunde“. Aber jetzt ist er voll dabei.

20 präparierte Leichen und 200 Organe werden gezeigt

Das von Plastinator Gunther von Hagens im Februar 2015 eröffnete Museum geht auch mit diesem neuen Angebot derzeit in die Offensive, um seine Ziele gegenüber den vielen Kritikern deutlich zu machen. Zwanzig präparierte Leichen und 200 Organe werden auf 1200 Quadratmetern gezeigt und erläutert, inklusive Krankheitssymptomen. Behandelt nach einem speziellen Verfahren – der Plastination. Wasser und Fett in den Zellen werden dabei durch Kunststoffe ersetzt.

Voyeurismus oder tiefer Einblick in faszinierende Körperfunktionen?

Zu Lebzeiten haben sich Menschen laut Museum dazu bereit erklärt, nach ihrem Tod derart ausgestellt zu werden. Seit von Hagens auf diese Idee kam – erst in der Wanderschau „Körperwelten“ und nun im Berliner Museum – ringen Gegner und Befürworter leidenschaftlich miteinander. Die einen sprechen von Voyeurismus und Würdelosigkeit, das Museum will dagegen „Einblicke in die höchst komplexen, beeindruckenden Körperstrukturen geben“ und so das Bewusstsein stärken „für die persönliche Aufgabe, den eigenen schützenswerten Körper gesund zu halten“. Von echten Präparaten gehe eine viel größere Faszination aus als von Kunststoffmodellen.

Menschliche Kommandozentrale: das Gehirn. Hier im Ganzen präpariert.
Menschliche Kommandozentrale: das Gehirn. Hier im Ganzen präpariert.

© Spiekermann-Klaas

Weiß Joline, Sechstklässlerin aus Hönow, dass sie hier, im Halbdunkel des Museums, von präparierten Leichen umgeben ist? Manche wirken ja auf den ersten Blick wie Zombies, mit ihren freigelegten Skeletten, Organen und Nervenbündeln. Oder wenn sie ohne Haut posieren als Muskelfrau und Muskelmann. Klar, das hat Joline gelesen. Aber die Elfjährige sagt: „Ist doch okay, so lernt man’s am besten.“ Sie will „den Menschen von innen kennen lernen“. Den Workshop hat sie sich zum Zeugnis gewünscht.

"Junior-Doktor in Ausbildung" steht auf den Schildern

Um zehn Uhr früh geht die Medizinstunde los. Wie im Minihörsaal sitzen die Kinder vor einer Tafel mit dem Bild eines Menschen, dessen Oberkörper weiß abgedeckt ist. Eltern oder Großeltern drängeln sich an der Seite, ein Erwachsener muss jedes Kind begleiten. Lehrer Daniel Wobetzky hängt den Teilnehmern Schilder um den Hals: „Junior-Doktor in Ausbildung“. Weiße Kittel und Stethoskope haben schon alle bekommen. Nun hält er auf Karton gemalte und ausgeschnittene Organe hoch. Wo gehören die hin? Gemeinsam kleben die Kinder Herz und Magen, Lunge und Darm an ihre Plätze. Das Herz steht Kopf, pumpt in die falsche Richtung. Macht nichts. Celine (8) dreht es schnell herum.

"Grusel!" - "Nöö", sagt Jakob

Nächste Etappe: Ab in die Ausstellung. Dort schwebt eine Balletttänzerin scheinbar ihrem Publikum entgegen. Die gläsernen Augen starr auf den Betrachter gerichtet. Jeder Muskel, die Sehnen, das Fettgewebe, alles erkennbar und glänzend, als hätte man die Figur soeben poliert. „Sieht aus wie skalpiert“, ruft ein Junge, dann geht er gleich weiter. Vorbei am „Skateboardfahrer“, der gerade hochspringt mit frei seziertem Knie und Gehirn, sodass man tief ins Innere des Gelenkes und Kopfes blickt. Vorbei an der „Balkenturnerin“, deren Sportpose „das vollkommene Zusammenspiel von Muskeln und Gleichgewichtssinn“ demonstrieren soll oder dem Mann, dessen Wirbelsäule offenliegt, weit aus dem Rücken herausgezogen. Die meisten Kinder schauen nur kurz hin. Grusel? „Nöö“, sagt Jakob (12).

Die Bogenschützin - ein Plastinat des Menschen Museums. Es zeigt, wie bestimmt Muskeln bei einer solchen Bewegung und Sportart angespannt werden.
Die Bogenschützin - ein Plastinat des Menschen Museums. Es zeigt, wie bestimmt Muskeln bei einer solchen Bewegung und Sportart angespannt werden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Umso gespannter sind die Mädchen und Jungen aber bei allem dabei, was ihnen Daniel Wobetzky zeigt und erzählt. Da steht er nun vor dem kompletten Verdauungsapparat in einer Vitrine. Das Exponat sieht aus wie eine grau-weiße Schlange mit dunklen Zotteln. „Wie lange sind Dünn- und Dickdarm zusammen?“, fragt Wobetzky. „Unglaubliche acht Meter.“ Am Skelett macht er vor, „wie wir ohne Knochen zusammensacken würden“. Erzählt, was die Knochen alles zur Blutbildung brauchen und wo unser kleinstes Knöchlein sitzt – der Steigbügelhalter im Gehör. Die Kinder blicken in Herzkammern, hören mit dem Stethoskop ihre Herztöne ab – bubumm, bubumm –, suchen den größten Muskel des Menschen. „Aha, der verläuft hier vom Po zum Oberschenkel.“ Und dann, ein paar Meter weiter, sind sie plötzlich ganz still. Sie stehen vor der Raucherlunge. Zwei große, geschwärzte Lappen. Daneben eine Tasse voller Teerstückchen. „Wer ein Jahr lang täglich eine Schachtel raucht, bringt so viel Teer in die Lunge“, steht auf einem Schild. Daniel Wobetzky preist das Atemorgan zugleich als Wunder an: „Würde man alle Lungenbläschen auffalten, die Sauerstoff aufnehmen, wäre Eure Lunge so groß wie ein Tennisplatz.“

Wie richt das? Auch solche Proben gibt's beim Workshop. Hier geht's um den Geruchssinn. Bei anderen Tests ums Auge, Gehöre und den Geschmack.
Wie richt das? Auch solche Proben gibt's beim Workshop. Hier geht's um den Geruchssinn. Bei anderen Tests ums Auge, Gehöre und den Geschmack.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Hab’ ’ne Menge gelernt“, brummelt ein Großvater, „nicht nur die Kinder.“ Anfangs sei er mit gemischten Gefühlen hingegangen, „aber man gewöhnt sich dran, dass es Tote sind“. Irgendwie nehme man diese authentische Ausstellung ernster, als wenn es perfekt nachgebildete Plastikmodelle wären. schiebt er nach. Die Texte zu den Exponaten seien ja "respektvoll und sehr einfühlsam verfasst". Bisher habe es noch niemand geschafft, ihn derart "intensiv wie hier im Museum für seinen Körper zu sensibilisieren".

Schulklassen und angehende Krankenpfleger besuchen das Museum

Museumschefin Stefanie Hornung erzählt von Schulklassen, die ihren Biounterricht ins Museum verlegen, von Gruppenbesuchen angehender Krankenpfleger oder Physiotherapeuten aus Kliniken und Berufsschulen. Im Gegensatz zu Brandenburg haben Berlins Bildungsbehörden den Schulen Ausflüge ins Museum nicht untersagt. Unterm Strich seien bereits im ersten Jahr des Museums rund 200 000 Besucher gekommen, sagt Hornung.

Der Bezirk klagt weiter, die Zukunft der Ausstellung ist ungewiss

Die Zukunft der Ausstellung ist aber ungewiss, seit Langem streiten Betreiber und der Bezirk Mitte vor Gericht. Vor rund sechs Wochen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem Berufungsverfahren entschieden, die Schau verstoße gegen das Bestattungsgesetz. Die Leichen dienten keinen Wissenschaftszwecken, also müssten sie beerdigt werden. Kritiker kontern, dann müsse eher das Gesetz zeitgemäß geändert werden. Es sei doch auch sinnvoll, Plastinate zur Wissenschaftsvermittlung einzusetzen. Nun geht der Rechtsstreit in eine weitere Runde. Der Bezirk beharrt auf seiner Position: Er will im Sockelgeschoss des TV-Turms stattdessen eine Touristeninformation unterbringen.

Pastor: "An der Uni wird in geschützten Räumen präpariert"

Auch der evangelische Kirchenkreis Berlin-Mitte lehnte das Museum dieser Tage erneut ab. „Natürlich sollten auch Kinder ihren Körper kennenlernen und mit dem Tod als Teil des Lebens in Berührung kommen“, sagt Superintendent Bertold Höcker. Aber ihnen die Anatomie anhand von präparierten Verstorbenen zu erklären, sei „mit der Würde des Menschen unvereinbar“. Anders sei das an den Universitäten. „Dort wird in geschützten Räumen präpariert, Schaulust ist tabu.“

Joline sieht das ganz anders. Ihr gefällt’s. Kein Wunder, für ihren Traumberuf, den sie aus Krimis kennt, hat sie sich schon vor Längerem entschieden: Gerichtsmedizinerin.

Mehr Infos: Anatomie-Workshops für Kinder gibt es wieder am 6. und 26. März, jeweils ab 10.30 Uhr. Weitere Termine auf Anfrage unter: memu@MeMu.berlin.de. Kosten: 30 Euro pro Kind.

Öffnungszeiten des Museums: täglich 10-19 Uhr, im Internet: www.memu.berlin/ausstellung/menschen-museum/

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