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Sie wollen mitreden. Etwa 600 Jugendliche haben sich beim diesjährigen Jugendforum in Kreuzberg über politische Fragen ausgetauscht und mit Berliner Politikern diskutiert.

© DAVIDS/Sven Darmer

Jugendforum in Kreuzberg: So denken Berliner Jugendliche über Politik

Was halten Jugendliche in Zeiten von Brexit und Berlin-Wahl von der Politik? Mehr, als manche denken.

Ja, ihre Generation sei „schon ein bisschen verwöhnt“, sagt Olivia. „Wir haben es gut, klar. Aber das heißt nicht, dass wir nicht auch kritisch sind.“ Die 19-Jährige ist am Freitag zum Mariannenplatz gekommen, um mitzudiskutieren beim Jugendforum Berlin. Ihre Generation engagiere sich durchaus, sagt sie. „Aber nicht mehr klassisch, nicht so wie die 68er.“ Sondern wie?

Victor Großmann (17) steht ein paar Meter weiter mit zwei Freunden am Kicker. „Heute läuft das mehr übers Internet“, sagt er. „Petitionen, Aufrufe zu Demos und Diskussionen auf Plattformen und in Facebook-Gruppen.“ So wie der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld. Das sei auch so in Ordnung, findet der Schüler. „Trotzdem sollte man seine Meinung auch auf der Straße zeigen und generell öfter mal vom Smartphone-Display hochgucken in die richtige Welt.“ Er habe auch einige Freunde, „die interessieren sich gar nicht für Politik“, sagt Victor, „die gehen lieber feiern“.

Politische Bildung, den Kontakt zwischen Jugendlichen und der Politik herstellen: das sind die Ziele des Jugendforums, das von der Bildungsstätte Wannseeforum organisiert wird und laut Veranstaltern die größte jugendpolitische Veranstaltung Berlins ist. Dazu gibt es Diskussionsrunden mit Politikern und Experten, Workshops und Aktionen. Die Themen und das Programm haben Jugendliche geplant, etwa 600 Teilnehmer zählen die Veranstalter über den Tag verteilt.

Auch bei Jugendlichen ist das Top-Thema die Flüchtlingspolitik

Bei der Frage, welches Thema sie momentan politisch am meisten interessiert, ist der Kanon heute unter den Jugendlichen: Die Flüchtlingspolitik. Die kürzlich vorgestellte Sinus-Studie, die weitgehend mit der im vergangenen Jahr repräsentativen Shell-Studie übereinstimmt, zeigt: Die Mehrheit der Jugendlichen sieht Zuwanderung positiv, sei für die Aufnahme von Flüchtlingen und fordert mehr Engagement für Integration. Gesellschaftliche Vielfalt: Das ist der neue Mainstream. „Was wäre denn Kreuzberg ohne Multikulti?“, sagt auch Victor Großmann.

Dass die Jugend unpolitisch sei, wie immer wieder behauptet wird, hält Ralf Wieland bei seiner Eröffnungsrede für „Quatsch“. Und fügt mit Pathos hinzu: „Berlin steht für Weltoffenheit, Toleranz, Jugendlichkeit und dafür, Träume zu verwirklichen.“ Der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses appelliert an die Jugendlichen: „Damit das so bleibt, müsst ihr wählen gehen!“ Bildungs- und Jugendsenatorin Sandra Scheeres fügt hinzu: „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass intolerante Parteien ins Parlament kommen.“

„Na klar geh ich wählen“, sagt Olivia danach. „Obwohl ich zum Beispiel bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus nicht wirklich das Gefühl habe, dass das für mich persönlich wichtig ist.“ Sie interessiere sich für Themen wie Integration, Bildung, Wohnraum in Berlin, Chancengleichheit, Gleichberechtigung. Wen sie wählt, entscheide sie anhand dieser Punkte, die sie mit den Wahlprogrammen abgleicht. „Mir geht es nicht um Parteien, mir geht es um Werte“, sagt Olivia.

„Den Jugendlichen heute ist es wichtig, direkt Einfluss zu nehmen“, sagt Sigrid Klebba, Staatssekretärin für Jugend und Familie, „aber nicht mehr über die Parteien“. Jugendliche seien immer auf der Suche, sagt Klebba, „sie sind heute weniger fest organisiert. Das Problem ist nur: In welchem System wird dann gewählt, wie drückt sich die Wählermeinung aus? Um in einer Wahl anzutreten in unserer repräsentativen Demokratie muss man eben ein festes Gebilde werden.“

Am Nachmittag sitzen Politiker und Jugendliche in den „Salons“, drei weißen Zelten, und diskutieren zu Themen wie Schulpolitik, der Flüchtlingsthematik, politischer Mitbestimmung und Wahlrecht.

Die Politik sei jugendverdrossen

Ist das politische Interesse der Jugendlichen auf dem Forum repräsentativ? „Hierher kommen natürlich vor allem Leute, die auch schon vorher interessiert waren“, sagt Annika Klose, Landesvorsitzende der Jungsozialisten. „Aber die, die da waren, haben unglaublich interessiert und auch mit viel Wissen mitdiskutiert.“ Den Vorwurf der Politikverdrossenheit bei Jugendlichen weist sie zurück. „Auch die Politik ist jugendverdrossen“, dreht sie das Statement um: „Politiker und Jugendliche, da liegen einfach Welten dazwischen, es gibt kaum noch Kontaktpunkte.“

Viele junge Menschen organisierten sich eher in Non-Profit-Organisationen als in Parteien, sagt Klose. „Da muss man nämlich keine Kompromisse machen. In einem solchen Verband haben ja alle das gleiche Ziel. In einer Partei müssen dafür ständig Kompromisse gesucht werden.“ Es sei die Aufgabe der Parteien, Jugendliche heranzuholen. „Die kommen nicht mehr von allein, und das ist ein Problem: In der Politik gibt es ziemlich viele graue Reihen.“ Klose führt das Beispiel Brexit an, an diesem Tag oft zitiert. „Es heißt ja, die Alten hätten das entschieden: Aber bei den Jungen sind eben auch nur 36 Prozent zur Wahl gegangen. Das ist ein großes Problem.“

Wer darf eigentlich wählen? Auch das ist ein Themenschwerpunkt des Forums. Piraten und Jungsozialisten fordern eine Absenkung des Wahlalters. „Der Brexit ist da nur ein Beispiel: Junge Menschen müssen viel länger mit Wahlentscheidungen leben“, sagt Bruno Kramm, Spitzenkandidat der Piraten. „Wenn Jugendliche erst mit 18 Jahren wählen dürfen, führt das dazu, dass sie sich auch vorher weniger informieren.“

Charlotte und Michelle gehen in die 11. Klasse und sagen, sie interessieren sich mehr für Politik, seit sie das Fach in der Oberstufe belegen. „Wenn man sich selbst engagiert und informiert, wird das Thema viel spannender“, sagt Charlotte. „In den Diskussionsrunden forderten viele Jugendliche mehr Politikunterricht in den Schulen“, sagt Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen. „Mir haben viele Schüler gesagt, sie würden sogar eine Stunde länger bleiben, wenn das Fach noch obendrauf käme. Das ist doch beachtlich.“

Jana Katharina Luck

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