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One, two, yeahhh! Choreograf Hakan T. Aslan probt mit japanischen und deutschen Tänzerinnen die Performance zum Titelsong „Sayonara Tokyo“.

© Thilo Rückeis

Jubiläumsshow im Berliner Wintergarten-Varieté: Sayonara Tokyo oder: Japaner jodeln jut

25 Jahre Wintergarten: Das Jubiläum erfordert eine außergewöhnliche Show. „Sayonara Tokyo“ spiegelt die spannende Beziehung zwischen Japan und Deutschland. Die Proben laufen auf Hochtouren.

Okay, nicht nur die Alpenländler jubilieren und jodeln, auch bei den Pygmäen in Zentralafrika, bei den Eskimos oder US-Country-Sängern ist das kraftvoll-archaische Juchzen höchst beliebt. Aber ein jodelnder Japaner?

Einer mit schneeweißer Rindslederhose und womöglich noch mit Tirolerhut? Nichts ist unmöglich in Berlin. Und schon gar nicht offenbar im Wintergarten-Varieté zum 25-jährigen Bestehen. Also probt dort gerade auch Takeo Ischi, in Japan geboren, aber seit Jahrzehnten zu Hause in Oberbayern. Dort hat der 70-Jährige mit „Hodaro“ und „Holadaittijo“ die Gipfel der Jodelcharts gestürmt.

Sogar in den Büros baumeln rote Lampions

Der ganze Wintergarten verwandelt sich in diesen Tagen in ein japanisches Gesamtkunstwerk. Sogar in den Büros baumeln rote Lampions an der Decke. Im Restaurant gibt’s Spezialitäten und Schnäpse aus dem Land mit der roten Sonnenscheibe auf der Flagge. Und der große Saal unter dem Wintergarten-Sternenhimmel ist bereits vollständig umdekoriert. An den Wänden prangt ein Kaleidoskop farbenprächtiger Motive aus Japan im Stil der Manga-Comics – Goldfisch, Drache, Fujiyama, der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen – alles da.

Fitting in der Kostümwerkstatt.
Fitting in der Kostümwerkstatt.

© Thilo Rückeis

In der Kostümbildnerei dreht sich Tänzerin Natsu (22) im Glitzerkleid vorm Spiegel, albern Shun, Daisuke und Kengo von den „Tokyo Jumpz“, eine Tanz- und Sprungseilgruppe, in poppig- frechen Klamotten herum. Erst vor zwei Wochen wurde das Quartett mit zehn weiteren Künstlern aus Nippon eingeflogen.

Die Proben laufen auf Hochtouren bis zur Premiere am 19. Juli. „Sayonara Tokyo“ heißt die neue turbulente Jubiläumsshow mit Gesang, Tanz und Akrobatik, zu Deutsch: Auf Wiedersehen in Tokio. Es ist das aufwendigste Showprojekt seit der Gründung des Wintergartens 1992 an der Potsdamer Straße. Gleich unter dem Titel verkündet das Plakat: Geishas! Tamagotchis! Edelweiß!“

Jede Menge Klischees werden satirisch aufgespießt

Und damit sind wir auch schon bei einer prägenden Idee dieser Inszenierung. Es geht um die ganz besondere Faszination, die Japaner zumeist für Deutschland und andersherum Deutsche für den exotischen Flair Japans empfinden. Und natürlich geht’s um eine ganze Menge Klischeebilder vom jeweils anderen Land, die eng mit dieser Zuneigung verbandelt sind und im Stück satirisch-kabarettistisch, aber durchaus liebevoll aufgespießt werden: vom Land des Lächelns- und der Kirschblüte bis zur sprichwörtlichen Sehnsucht der Japaner nach krachlederner Alm- und Allgäuromantik und Alpenschokolade. So gesehen, war die Anfrage des Wintergartens bei Takeo Ischi in Reit im Winkl im Chiemgau ein Glückstreffer. Der jodelnde Japaner ist geradezu die Essenz dieser Showidee. Er war sofort bereit, bei Sayonara Tokyo mitzuwirken.

Fasziniert von seiner Stimmakrobatik: Jodelstar Takeo Ischi.
Fasziniert von seiner Stimmakrobatik: Jodelstar Takeo Ischi.

© Christoph Stollowsky

In einer Probenpause sitzt Takeo Ischi im Wintergarten-Café, ausgewaschene Jeans, blau-weiß-kariertes Hemd, schütterer Scheitel. Er nippt am Cappuccino, erzählt kurz seine Lebensgeschichte. Mit 15 hörte er im Radio in Tokio erstmals einen Jodler. Das war für ihn Stimmakrobatik. „Toll“, schwärmt er, „diese lustvollen Riesensprünge zwischen hohen und tiefen Tönen, der rasante Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme.“ Erst übte er Jodeln mit Hilfe von Schallplatten, trat mit 17 einem japanischen Jodelclub bei, machte später in Deutschland Karriere, nachdem er als 26- Jähriger Richtung Bayern ausgewandert war und dort eine Chiemgauerin geheiratet hatte. Klar, dass er außer Jodlern auch den Titelsong der Show singt: „Sayonara Tokyo“, ein Hit aus den 60ern des damaligen japanischen Popstars Kyu Sakamoto.

Kaffeetasse leer, Probenzeit. „One, two, three, yeah!“ – auf der Bühne übt Choreograf Hakan T. Aslan bereits mit 14 Tänzern eine temporeiche Tanzshow zum Titelsong. Ein Mix aus Swing und Rock. Mittendrin lässt Yo-Yo-Champion Naoto Okada seine Kreisel flitzen, während um ihn herum die Truppe junger Japaner offensichtlich viel Freude am neuen Job auf der anderen Seite der Erdkugel hat.

Flitzer an der Strippe. Yo-Yo-Künstler Naoto Okada probt auf der Bühne.
Flitzer an der Strippe. Yo-Yo-Künstler Naoto Okada probt auf der Bühne.

© Thilo Rückeis

Zum Ensemble gehören aber auch drei Künstlerinnen, die in Deutschland zu Hause sind. Sie personifizieren die Geschichte, an der sich die Show entlanghangelt: Es sind die gebürtige Britin Jacqueline Macauley, die Deutsch-Amerikanerin Gina Hudson und die Japanerin Yuri Yoshimura. Sie spielen ein Freundinnen-Trio. Gemeinsam sind sie durch Japan gereist. Zurück in Berlin, lassen sie ihre Abenteuer Revue passieren.

Die Musik im Sushi-Lokal faszinierte den Regisseur

Frage an Regisseur Stephan Prattes: Warum ausgerechnet eine Japan-Show zum Geburtstag des Berliner Wintergartens? Alles begann im Lieblings-Sushi-Lokal des 43-Jährigen in Kreuzberg. Dort faszinierte ihn die japanische Musik. „Wahnsinnig emotional, exotisch, aber irgendwie auch gut bekannt“. 2014 reiste er dann vier Wochen durch den Inselstaat im Pazifik.

In der Manga-Welt. Regisseur Stephan Prattes vor der komplett neu gestalteten Wand des Theatersaals.
In der Manga-Welt. Regisseur Stephan Prattes vor der komplett neu gestalteten Wand des Theatersaals.

© Thilo Rückeis

Dabei fiel ihm mehr denn je auf, wie stark sich Japan und Deutschland kulturell beeinflusst und ausgetauscht haben – vom Stil der Comics, ihrer Pop- und Rockmusik bis zu Tanz und LebensartJapans Musik faszinierte den Regissuer . Und wie viel Technik aus Japan den deutschen Alltag prägt, „bei uns aber kaum als solche wahrgenommen wird“, sagt Prattes – von Toyota und Sony über Pokémon-Taschenmonster bis zum Super-Mario-Computerspiel. Sayonara Tokyo ist eine Mélange aus alledem. Und als Sahnehäubchen spielt auch der Kontrast zwischen Tradition und Moderne in Japan eine Rolle.

Entwickelt hat Prattes die Show mit befreundeten Künstlern aus der Bar jeder Vernunft. Er selbst inszenierte schon in der Bar, Choreograf Hakan T. Aslan spielte dort im „Käfig voller Narren“ mit. Der musikalische Leiter und Pianist von Sayonara Tokyo, Johannes Roloff, arrangierte im Spiegelzelt Kabarett. Und mit den Geschwistern Pfister ist er seit 1991 verbunden, begleitet das Comedy Trio am Klavier. Kein Wunder, dass die Pfister-Band nun im Wintergarten den Sound macht. Big in Japan, Hiroshima stehen auf der Songliste. „Stücke, bei denen Japan als Projektionsfläche dient“, sagt Roloff.

Pokémon und Doraemon-Katze. Auch die beiden spielen mit.
Pokémon und Doraemon-Katze. Auch die beiden spielen mit.

© Thilo Rückeis

Und der Regisseur schiebt nach. „Wir haben ganz viel von Japan hier, wissen aber erstaunlich wenig über das Land.“ Wer kennt die Roboterkatze Doraemon, in Japan als Comicstar populär wie Donald Duck hierzulande? Doraemon ist blau, hat einen weißen Bauch und eine rote Nase. Ihr Kopf aus Plastik, groß wie ein Gymnastikball, liegt am Bühnenrand. Daneben schwenkt ein alter Industrieroboter seine PC-gesteuerten Arme. Was haben die beiden miteinander zu tun? „Top secret“, sagt Prattes. „Bis zur Premiere.“

Sayonara Tokyo, 19. Juli–11.Februar 2018, Mi.–Sa. ab 20 Uhr; So. 18 Uhr. Tickettelefon: 588433, www.wintergarten-berlin.de.

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