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Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit dem 8. Dezember 2016 Justizsenator des Landes Berlin.

© Thilo Rückeis

Interview mit Berlins Justizsenator Dirk Behrendt: "Unisex-Toiletten sind wichtig"

Antidiskriminierung beginnt bei kleinen Dingen des Alltags, sagt Justizsenator Behrendt. Außerdem spricht der Grüne über Probleme in Gefängnissen und Debatten in seiner Partei.

Von Fatina Keilani

Herr Behrendt, wie ist es so, nach Jahren der Opposition plötzlich Senator zu sein?

Ich bin dabei, mir einen Überblick zu verschaffen. Von 30 Antrittsbesuchen, die ich machen will, habe ich die Hälfte geschafft, jeder bringt neue Erkenntnisse.

Sehen die Vorgänge anders aus, wenn man Senator ist?

Man erfährt auf jeden Fall mehr. Zum Beispiel sind mir als Oppositionspolitiker die sicherheitsrelevanten Sachen aus den Gefängnissen nicht zur Kenntnis gegeben worden.

Wenn man sich umhört in der Justiz, dann zeigt sich, dass Wolfgang Wieland immer noch vermisst wird, obwohl er 2001 nur gut ein halbes Jahr Senator war. Sie waren damals sein Mitarbeiter. Können Sie an dieses Erbe anknüpfen? Welche Hauptbaustellen haben Sie bei Ihren Antrittsbesuchen schon kennengelernt?

Tatsächlich bekomme ich gespiegelt, dass Wolfgang Wieland bleibenden Eindruck hinterlassen hat, was angesichts der Kürze der Amtszeit bemerkenswert ist. Die Berufung von Martina Gerlach zur Staatssekretärin kam jetzt sehr gut an, weil sie langjährige Erfahrung in der Justiz hat, was bei den Vorgängern nicht der Fall war.

Was die Probleme angeht: Gerade bei den Zivilprozessen haben wir ein Problem mit der IT-Ausstattung, bei der Hardware und vor allem bei der Software. Das wusste ich zwar schon, es ist mir aber noch stärker bewusst geworden, vor allem auch im Vergleich zum Sozialgericht und dem Verwaltungsgericht, wo es recht gut läuft. Bei meinem Antrittsbesuch im Sozialgericht wurde uns zum Beispiel diese neue Maschine vorgeführt, die die Post öffnet, die Schriftsätze einscannt und dann anhand der Aktenzeichen dem Verfahren gleich zuordnet.

Klingt eindrucksvoll - zeitgemäß wäre es aber eher, wenn die Schriftsätze gleich in elektronischer Form dort ankämen.

Das ist der nächste Schritt. Das Sozialgericht verkehrt ja mit dem Rentenversicherungsträger bereits ausschließlich digital. Das wollen wir für die gesamte Justiz. Das sind so die Bereiche, wo man sieht, dass es geht. Das motiviert ja auch.

A propos Motivation. Beim Personal gibt es anscheinend Motivationsdefizite. Im mittleren Dienst scheint die Arbeitsmoral in ungesunder Weise zu niedrig zu sein - viele melden sich aus nichtigem Anlass krank, und oft gleich für acht Wochen - während sich der höhere Dienst in gleichfalls ungesunder Weise kaputtschuftet.

Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass wer sich krank meldet, auch krank ist. Aber das grundsätzliche Problem ist uns auch geschildert worden. Zur Verbesserung der Gesundheitsquote werden wir jetzt am Gesundheitsmanagement arbeiten. Ein Faktor bei den Vollzugsbediensteten ist zum Beispiel die Vorhersehbarkeit der Schichtpläne. Wenn die Leute früh genug wissen, wann sie arbeiten, können sie für sich und ihre Familien besser planen.

Derzeit haben wir wegen der Personalsituation teilweise nur wenige Tage Vorlauf, und das demotiviert. Was einige Geschäftsstellen angeht, ist es tatsächlich so, dass jetzt diejenigen, die überdurchschnittlich leistungsfähig sind, jetzt auch schon an ihre Belastungsgrenzen kommen. Wir müssen mehr Arbeitszufriedenheit herstellen.

Zwei Drittel der Staatsanwälte gehen in den nächsten zehn Jahren in Pension, der Altersschnitt liegt bei 54 Jahren. Da rollen gewaltige Nachwuchsprobleme auf Sie zu.

Der gesamte öffentliche Dienst steht vor der Herausforderung, dass wir in den nächsten Jahren bis zu 70 Prozent des Personals aus Altersgründen verlieren. Wir in der Justiz haben da noch den Vorteil, dass wir auch in den vergangenen Jahren Personal eingestellt haben. Unsere Alterspyramide sieht deshalb etwas besser aus als etwa in den Bezirksämtern.

Wir haben allein im vergangenen Jahr etwa sechzig Richterinnen und Richter auf Probe eingestellt, das ist bei 1400 Richtern insgesamt eine relevante Größe, und das werden wir in diesem Jahr fortsetzen. Die Staatsanwaltschaft nimmt daraus auch ihren Nachwuchs, sie stellt – anders als in früheren Jahren – auch wieder selbst ein.

Kriegen Sie denn genug Nachwuchs?

Wir müssen ihn finden und ihn trotz der im Vergleich mit anderen Bundesländern und dem Bund geringeren Besoldung halten. Wir werden hier deutlich nachbessern – sowohl bei den Beamten als auch bei den Angestellten. Wir werden zukünftig sogar über Bedarf ausbilden müssen, um die Abgänge auszugleichen.

Aber ist Ihre Behörde attraktiv? Wenn die Staatsanwälte in Moabit „elektronische Akte“ hören, lachen sie bitter und sagen: „Wir wären schon froh, wenn wir hier mit Word arbeiten könnten.“

Ja. Bei den ordentlichen Gerichten haben wir große Probleme. Bei den Zivilverfahren wurde die Umstellung auf das Programm „Forumstar“ nicht vorangebracht, und es gibt technisch sehr komplizierte Fragestellungen.

Angesichts der vielen Probleme: Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, sich als erstes um Unisex-Toiletten zu kümmern?

Die Vorlage war bereits zwei Jahre alt und kam aus dem Hause Kolat. Wir haben das nur weitergeführt, weil wir jetzt für Antidiskriminierung zuständig sind. Es gab eine Frist, zu der wir dem Parlament berichten sollten, und die habe ich eingehalten. Ich möchte mich aber jetzt nicht davon distanzieren – das Projekt ist mir sehr wichtig. Antidiskriminierung beginnt bei den kleinen Dingen des Alltags.

Sie brauchen in der Strafjustiz auch mehr Platz und mehr Sicherheit: Es gibt immer mehr Terrorprozesse und viel zu wenig Sicherheitssäle. Auch das Kammergericht hat immer mehr Staatsschutzsachen.

Was die Sicherheitssäle angeht, haben wir das vor zehn Tagen bei der Senatsklausur in das Sicherheitspaket mit hineinbekommen, und darüber bin ich ganz froh. Wir werden in Moabit einen Hof überbauen und dort neue Sicherheitssäle schaffen.

Wie viele Jahrzehnte dauert das?

Meine Fachleute sagen, das kann noch in diesem Jahr fertig sein. Ich möchte jedenfalls nicht erleben, dass Prozesse platzen, weil wir keine Räume haben. Es gibt auch daneben noch die Überlegung, wenn das Lageso aus dem alten Krankenhaus Moabit auszieht, das Gebäude für die Justiz nutzbar zu machen.

Auch Sicht der Strafverfolger ist es doch sicher unsäglich, gegen Videoüberwachung zu sein.

Beim Treffen mit der Generalstaatsanwaltschaft war das kein Thema, obwohl wir intensiv über den Anschlag auf dem Breitscheidplatz gesprochen haben.

Die SPD hat Zoff wegen Saleh, die Linke wegen Holm, und die Grünen?

Wir sind offensichtlich der ruhende Pol dieser Koalition (lacht).

In der Fraktion gibt es Flügelkämpfe. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop hat ihr Mandat behalten, obwohl der Parteitag die Trennung von Amt und Mandat beschlossen hat. Ist die Trennung obsolet?

Ich habe kein Mandat, für mich stellt sich die Frage nicht. Die Partei hat die Frage mit breiter Mehrheit auf dem Parteitag entschieden. Mehr ist von mir dazu nicht zu sagen.

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