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Der Historiker Stefan Zollhauser informiert über das Leben im Scheunenviertel, als dort arme Ostjuden lebten.

© Frank Bachner

Hertha BSC zur Nazizeit: Hertha-Fans erkunden jüdische Vergangenheit

Anhänger des Vereins forschen intensiv nach dem Schicksal jüdischer Mitglieder während der Zeit des Naziregimes.

Mario Glagow hat seinen Halswärmer bis unters Kinn gezogen. So kann man darauf schön die Aufschrift „Ostkurve“ lesen. Der Hertha-Fan Glagow steht am Sonntagmittag in der Almstadtstraße in der Nähe des Rosa-Luxemburg-Platzes vor der Hausnummer 5 und hat eine Frage: „Wie hat man denn in den 1920er-Jahren seine Freizeit verbracht?“ Neben ihm stehen 13 weitere Hertha-Fans in der Kälte, das interessiert sie jetzt auch.

Die Freizeit? Na, zum Beispiel im Haus Nummer fünf, einem Gebäude mit wunderschöner Fassade. „Hier war mal ein kleines jüdisches Laientheater. Man ging ins Theater oder ins Kino. Oder auf den Rummel“, sagt Stefan Zollhauser vom Verein „Berliner Spurensuche“.

Eljasz Kaszke, Hertha-Spieler, Opfer des Nazi-Terrors

Die Almstadtstraße hieß früher, vor den 1950er-Jahren, Grenadierstraße, deshalb sind sie alle hier und hören dem Historiker Zollhauser zu. „Die Grenadierstraße“, sagt der Stadtführer, „war das Symbol des Scheunenviertels.“ Des Areals mit den engen Straßen um die Volksbühne. Hier haben vor allem arme Ostjuden gelebt, Menschen, die aus Osteuropa nach Berlin gekommen waren.

Juden wie Eljasz Kaszke aus Warschau. 1897 geboren, 1905 nach Berlin übergesiedelt, 1924 bei Hertha BSC eingetreten, 1938 als Jude aus dem Verein ausgeschlossen, 1939 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, dort 1940 gestorben.

Kaszke hat nie im Scheunenviertel gewohnt, der Kaufmann lebte in Wilmersdorf, aber die Hertha-Fans wollen in die die Atmosphäre des ostjüdischen Viertels eintauchen, in die Welt, die Kaszke so vertraut sein musste. Deshalb lassen sie sich durchs Scheunenviertel führen. Sie würdigen damit ein Vereinsmitglied, das Opfer des Nazi-Terrors wurde. Einerseits.

Der Spaziergang ist andererseits auch Teil des Gesamtprojekts „Spurensuche – aus der eigenen Geschichte lernen“. 20 Hertha-Fans, darunter die Scheunenviertel-Besucher, suchen seit 18 Monaten nach Hinweisen über den Umgang ihres Vereins mit seinen jüdischen Mitgliedern während der Nazizeit.

Hermann Horwitz, Mannschaftsarzt, Opfer des Nazi-Terrors

Angestoßen hat diese Aktion das Fanprojekt der Sportjugend Berlin. Söhnke Vosgerau arbeitet für die Sportjugend, er sagt: „Wir wollten dieses Vorhaben mit Hertha-Mitgliedern machen.“ Und weil Kaszke in Sachsenhausen gestorben ist, arbeitet auch die Gedenkstätte Sachsenhausen mit.

Historiker der Sportjugend und der Gedenkstätte zeigten interessierten Hertha-Fans, wie man gezielt in Archiven sucht. Die Feinarbeit erledigten dann die Fans selber. Sie durchforsteten das Hertha-Archiv, sie inspizierten das Landesarchiv. Zuerst kümmerten sie sich ausführlich um den früheren Mannschaftsarzt Hermann Horwitz, der in Auschwitz ums Leben kam.

Dabei stießen sie auch auf Kaszke. Im Landesarchiv fanden sie den Einbürgerungsantrag von Kaske mit Foto. Zu sehen ist ein junger Mann mit leicht gewellten Haaren und ernstem Blick, mit Krawatte und Einstecktuch im Jackett. Im Hertha-Archiv kamen sie an seine Mitgliedskarte. Nur ob und wenn ja, welche Funktion er bei Hertha hatte, das haben sie nicht herausgefunden.

Aber die Arbeit fasziniert die ehrenamtlichen Hertha-Historiker. Daniela Kindel kam als Sechsjährige in den Verein, jetzt ist sie 57, Teil des Fanklubs „Oberring 1984“ und sagt: „Mich fasziniert Geschichte. Und die Verbindung Hertha mit Geschichte finde ich interessant.“

„Es gibt auch Leute, die sagen: Lass’ mich mit dem Kram in Ruhe“

Auch dem Engagement von ihr und den anderen im Team ist es zu verdanken, dass bei der 125-Jahr-Feier von Hertha der einst von den Nazis ermordete und lange vergessene Vereinsarzt Hermann Horwitz angemessen gewürdigt wurde.

Beim aktuellen Geschichtsprojekt geht es auch darum, Leute wie Daniela Kindel zu stärken. Die sollen schließlich Hertha-Fans entgegentreten, die keine Probleme haben, bestimmte Menschen oder Gruppen auszugrenzen. Sie sollen vom Schicksal dieser jüdischen Mitglieder erfahren und dafür sensibilisiert werden, was Ausgrenzung im schlimmsten Fall bedeuten kann. Für die Sportjugend ist das eine bedeutsames Ziel des Projekts.

Daniela Kindel erhält wegen ihres Engagements auch wie gewünscht viele Nachfragen. „Leute wollen wissen, wie das denn damals war.“ Sie gibt Antworten, sie klärt auf. Nur nicht jeden. „Es gibt auch Leute bei uns, die sagen nur: Lass’ mich mit dem Kram in Ruhe.“

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