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Berlin: Heilsame Vibrationen

Jede dritte Frau zwischen 40 und 60 leidet unter einer Blasenschwäche. Beckenbodentraining hilft vorzubeugen und oft auch zu heilen. Dabei hat sich ein Gerät bewährt, das die Beckenmuskulatur anregt und kräftigt

Unfreiwillig Harn zu verlieren, ist unangenehm. Auch wenn es sich nur um ein paar Tropfen handelt und keiner es merkt. Vielen Frauen passiert das in ganz alltäglichen Situationen, beim Husten, Niesen, Lachen, Laufen oder Heben. Mediziner nennen diese Form der Blasenschwäche Belastungsinkontinenz. Jede dritte Frau zwischen 40 und 60 soll zumindest ab und an damit Probleme haben. Dass genaue Zahlen fehlen, wundert bei einem so heiklen Thema nicht.

Die Schwachstelle ist oft der Beckenboden, eine Platte aus Muskeln und Bändern, die Schambein und Steißbein verbindet. Sie sieht ein wenig aus wie eine Hängematte oder ein Trampolin. Auf dieser Konstruktion, die Öffnungen für Harnröhre, Scheide und Anus enthält, lastet das Gewicht der inneren Organe. Während des Geburtsvorgangs wird der Beckenboden stark gedehnt. Wird er danach nicht mehr straff, können die darüber liegenden Organe sich absenken. Darunter leidet dann auch das System der Schließmuskeln.

Doch glücklicherweise geht es auch umgekehrt: Mit gezielter Gymnastik kann man den Beckenboden wieder stärken und damit auch der „Blasenschwäche“ in vielen Fällen begegnen. „Der Beckenboden ist ein Organ, dessen Bedeutung oft unterschätzt wird“, sagt die Ärztin Ursula Söchtig. Sie berät die Frauen, die im Sport-Gesundheitspark an der Clayallee mit Training ihren Beckenboden und damit ihre Blase stärken.

Neben Gymnastik und Schulung der Körperwahrnehmung wird dort neuerdings auch das Training auf einem Gerät namens „Galileo 2000“ angeboten. „Zuvor muss beim Arzt abgeklärt werden, ob es sich um mehr als eine Beckenbodenschwäche handelt und ob andere Therapien nötig sind“, sagt die Medizinerin.

Das Besondere am „Galileo“ ist eine bewegliche Plattform, die von einem Elektromotor wie eine Wippe rhythmisch zum Auf- und Ab-Schwingen gebracht wird. Um trotzdem das Gleichgewicht zu halten, muss man seine Muskeln an- und entspannen. Bis zu 1800 Mal in der Minute. Weil man das unwillkürlich tut, kommt einem diese sportliche Betätigung nicht so anstrengend vor. Die Muskeln aber arbeiten – und bauen sich folglich auf. Das Gerät funktioniert also wie ein Verstärker. Besonders Frauen, denen es nicht auf Anhieb gelingt, die richtigen Muskeln anzuspannen, könnten davon profitieren. „Ob Sie es wollen oder nicht – der Beckenboden vibriert“, erklärt der Gynäkologe Volker Viereck.

Viereck, der inzwischen in der Schweiz arbeitet und das Zentrum für Blasenbeschwerden an der Frauenklinik des Kantonsspitals Frauenfeld leitet, hat mit einer Studie an der Uni Göttingen bewiesen, dass das Vibrationstraining bei Belastungsinkontinenz hilft.

Er und die Ärztin und Physiotherapeutin Silke von der Heide haben dafür 29 Patientinnen in drei Gruppen geteilt und 24 Wochen behandelt: Die Frauen der ersten Gruppe machten im Physiotherapie-Programm mit und trainierten zusätzlich jeweils für wenige Minuten mit dem Galileo, die zweite Gruppe begann mit Krankengymnastik und wechselte in der Halbzeit zu dem Gerät, die dritte machte es umgekehrt. Dann wurden drei Monate lang die Erfolge beobachtet. Immerhin 80 Prozent der Frauen, die durchgehend die Kombinationsbehandlung bekommen hatten, hatten danach keine Probleme mehr mit der schwachen Blase, dagegen waren nur etwas über die Hälfte der anderen beschwerdefrei.

Viereck plant weitere Studien, auch mit anderen Formen der Inkontinenz (siehe Infokasten) und beim Einsatz des Geräts zur Rückbildung nach einer Schwangerschaft. Auf die Schulungen für Physiotherapeuten gebe es inzwischen einen regelrechten Run. „Solche Geräte gehören mittlerweile in den großen Zentren zur Ausstattung“, bestätigt Ralf Tunn, Leiter des Deutschen Beckenbodenzentrums an den Berliner St. Hedwigs Kliniken. Allerdings sei es wichtig, dass durch die richtige Anleitung Nebenwirkungen wie etwa Kopfschmerzen vermieden werden. Und: Die Kassen zahlen das Programm, das aus mindestens zehn Sitzungen bestehen sollte, noch nicht.

Dass durch das Vibrationstraining mit dem „Galileo“ Muskelmasse erhalten und aufgebaut werden kann, ist für andere Anwendungsgebiete schon gezeigt worden. Am bekanntesten wurde die Berliner Bedrest-Studie, für die 20 gesunde Versuchspersonen sich acht Wochen lang an strikte Bettruhe halten mussten. Im Dienste der Weltraumforschung, denn die Arbeitsgruppe von Dieter Felsenberg, Leiter des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung der Charité, wollte damit die Bedingungen der Schwerelosigkeit imitieren. Diejenige, die täglich am Galileo die Beine trainierte, wurde weitgehend vom Verlust an Muskelmasse verschont. In einer anderen Studie konnten Senioren, die zweimal in der Woche für neun Minuten mit dem Galileo trainierten, ihre Muskelleistung in drei Monaten um 20 Prozent verbessern.

Adelheid Müller-Lissner

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