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Die von Hans Joachim Martin Rudolph selbst verfasste Todesanzeige, die dann am 16. März im Tagesspiegel erschien.

© Illustration: Tsp

Berlin: Hans Joachim Martin Rudolph (Geb. 1930)

"Eine Trauerfeier findet nicht statt"

Und dann, am Ende seines Lebens, als er, der Vielschreiber, seine Todesanzeige verfasste, hat sie ihn noch einmal korrigiert. „Hör mal zu“, hatte er gesagt, wie so oft, und hatte vorgelesen: „Ich, Hans Joachim Martin Rudolph, geboren am 30. Mai 1930, ehemaliger Lehrer an der FHVR Berlin, weder Träger irgendwelcher Verdienstkreuze der Bundesrepublik Deutschland noch anderer erdienter oder verdienter Orden und Ehrenzeichen, bin am ... gestorben. Eine Trauerfeier findet nicht statt, da der Tod für mich kein Grund zum Feiern ist. Beileidsbekundungen werden nicht erwartet, da ich sie selbst nicht mehr vernehmen kann, leider, denn sie hätten mich doch sehr interessiert.“ Als er fertig war, nickte sie. Das sei gut, ja, das gefalle ihr. „Aber bitte, Hänschen, schreib doch wenigstens Dozent.“

Und so stand es dann auch am Sonntag, dem 16. März 2014, im Tagesspiegel.

Professor Fliege, so nannten die Studenten der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege ihn. Elfriede Soriat war er längst aufgefallen. Wegen der Fliege, und weil er sich so gerade hielt, da oben im achten Stock des Kudamm-Karrees, wo die Uni ihre Räume hatte. Sie war Sekretärin, er war Jurist, Professor und Dekan des Bereichs „Steuerverwaltungsdienst“, es war im Jahr 1977, und beide trugen einen Ehering. „Sie haben so eine schöne Schrift, können Sie diesen Ordner mal beschriften?“, sagte er zu ihr. In den kommenden Wochen hatte er immer mehr Aufgaben für sie, er diktierte und sie schrieb, er verbesserte und sie schrieb um. Bei der Stundenplankorrektur kamen sich ihre Finger dann näher. Nach Arbeitsschluss trafen sie sich ein paar Straßen vom Büro entfernt.

„Kennen Sie hier was?“, fragte er. – „Nein. Sie?“ – „Nein.“ – „Dann fahren wir doch zu mir“, sagte sie.

Kurz vor der Wohnungstür stoppte sie ihn. „Haben Sie sich das auch gut überlegt?“, fragte sie. – „Ja ja, auf ein Bier“, murmelte er. Und blieb bis zum nächsten Morgen.

Vielleicht hat Elfriede Soriat später manchmal gedacht, sie hätte es sich genauer überlegen müssen. Ein Mann, schon zum zweiten Mal mit seiner ersten Frau verheiratet, dazu zwei Kinder – was kann man da erwarten. Der Lauf eines Lebens lässt sich nicht korrigieren, als sei’s ein Stundenplan. Eigene Kinder hätten geholfen, aber er hatte ja schon die zwei Jungs, und seine geliebte Elfie wollte er nicht teilen. So bemutterte sie stattdessen ihn. Nannte ihn Hänschen, fuhr ihn im VW-Käfer zu seinen Konzerten, Klarinette und Saxofon, „Eierschale“ und Schöneberger „Weltlaterne“, und holte ihn nachts um zwei wieder ab. Richtete statt Familienfeiern Unifeste mit ihm aus, davor saßen sie ganze Abende in seiner Küche in Staaken, dem Berliner Ortsteil, in dem er geboren und aufgewachsen war. Bei diesen Planungssitzungen herrschte die bewährte Arbeitsteilung: Er hatte Ideen, sie schrieb sie auf. Einmal entwarfen sie anlässlich eines Festes für alle Kollegen das passende Weinetikett, zum Beispiel die „Rebe Doris, ein sehr beschäftigtes Gewächs, lieblich mit Rektoratswürze“ und „Dr. Wilhelms Gschaftlhuber, geistvoll, spritzig“. Sein eigenes beschriftete Hans Rudolph so: „Grüner Rudolphsteiner, ein für den Durchschnittsverbraucher fast ungenießbarer Tropfen. Es wird dieses Angebot nur mit äußerster Zurückhaltung offeriert, da man sich von Seiten des Anbieters über die Problematik dieses Gewächses völlig im klaren ist.“

25 Jahre sollten nach der gemeinsamen Stundenplankorrektur vergehen, dann zog Elfriede Soriat in Staaken ein. Sieben Jahre später, 2009 heirateten sie, da war ihr Hänschen bereits pensioniert. Gemeinsam gingen sie auf Reisen bis nach Peking und buchten niemals Vollpension, zum einen weil er sparsam war, zum anderen weil sie am liebsten aßen, was sie an Straßenständen entdeckten, Hühnerkrallen, Schweineohren, Stabmuscheln, manches davon fanden sie in Lichtenberg auf dem vietnamesischen Großmarkt wieder.

Er aß gern und viel, nur in den letzten Monaten nicht mehr, trank auch kein Bier mehr, las die Zeitung nicht mehr wie sonst. „Sag mal, hast du keine Lust mehr zu leben?“, fragte sie ihn. – „Wenn ich ehrlich bin, nein“, sagte er. Da hatte er schon einen Schlaganfall gehabt. An seinem letzten Tag brachte sie ihm Erdbeertorte ins Krankenhaus. Er aß, es lief etwas Rotes aus seinem Mund, sie dachte, es seien die Erdbeeren. Als es auch aus seiner Nase kam, rief sie den Arzt.

Nun findet sie überall in dem Haus in Staaken handgeschriebene Zettel des Mannes, der ihr immer diktierte. Sie stecken in Büchern, Regalen und Schubladen. „Ich hatte Glück, dich zu treffen und noch mehr Glück dich zu behalten. Dein Hänschen“, steht auf einem.

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