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Glutenunverträglichkeit: Gemeines Eiweiß

Korn beinhaltet Gluten – und das kann krank machen Wer das merkt, sollte Weizen und Roggen durch Reis und Mais ersetzen.

„Reichlich Getreideprodukte“, so lautet eine der zehn Regeln, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung den Bundesbürgern für eine gesunde, ausgewogene Ernährung ans Herz legt. Brot, Nudeln oder Getreideflocken enthalten schließlich kaum Fett, aber reichlich Vitamine, Mineralstoffe und sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe, die unter anderem als „Radikalenfänger“ wirken. Werden Brot und Müsli in ihrer Vollkorn-Version verspeist, dann haben sie außerdem Getreideballaststoffe zu bieten. Doch nicht für jeden ist jedes Korn gesund. Es gibt sogar eine Gruppe von Menschen, die die meisten Getreideprodukte, die in Europa auf dem Speiseplan stehen, nicht vertragen.

Markus L. (Name von der Redaktion geändert) hätte sich nicht träumen lassen, dass er einmal zu ihnen gehören könnte. Sein ganzes Arbeitsleben lang hatte der 52-Jährige den Tag mit einem aus verschiedenen Flocken gemischten Müsli begonnen und in der Mittagspause seine mitgebrachten Stullen gegessen. Vor zwei Jahren begann eine Phase, in der es ihm gesundheitlich nicht gut ging: Er fühlte sich schlapp, müde, nahm immer weiter ab, obwohl er nicht weniger aß, und er litt immer wieder unter Durchfall. Doch für einen Infekt zog sich das alles viel zu lange hin.

Beim Magen-Darm-Spezialisten wurde schließlich eine Diagnose gestellt, die sein Leben umkrempelte: Zöliakie. Markus L. verträgt ein Eiweiß namens Gluten nicht, das sich in Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel und einigen anderen Getreidesorten findet und dafür sorgt, dass sich das aus ihnen gewonnene Mehl gut backen lässt. Ihm blieb nur eine Möglichkeit: Er stellte von einem Tag auf den anderen seine Ernährung um und meidet diese Getreide seitdem konsequent. Leicht ist das nicht, doch es wirkt auf der ganzen Linie: Er hat wieder zugenommen, hat keine Durchfälle mehr und auch die Müdigkeit ist verschwunden.

Die Krankheit mit dem griechischen Namen – er kommt von „koiliakós“, vom Bauch herrührend – die früher, wenn sie Erwachsene traf, auch Sprue genannt wurde, spielt sich im Dünndarm ab. „Ein Proteingemisch, das viele Getreidesorten enthalten, führt bei den Betroffenen zu einer Veränderung der Schleimhaut“, erklärt der Magen-Darm-Spezialist Michael Schumann vom Klinikum Benjamin Franklin der Charité. Die Schleimhaut entzündet sich, verliert ihre charakteristischen Ausstülpungen, die sie für Nährstoffe aufnahmefähig machen. Die Folge: Nur ein Teil davon geht ins Blut, ein mehr oder weniger großer Teil bleibt im Speisebrei und wird in den Dickdarm transportiert.

„In den dort ansässigen Bakterien finden diese Nährstoffe willige Abnehmer, sie gewinnen daraus Energie und produzieren dabei Gas, unsere Patienten merken das oft an Blähungen und Bauchschmerzen“, berichtet Schumann. Der Nährstoffmangel kann zu Gewichtsabnahme, Eisen- und Vitaminmangel führen. Es drohen Blutarmut, Brüchigkeit der Knochen, Nachtblindheit und Störungen der Blutgerinnung. „Eine Zöliakie kann sich hinter einem bunten Bild von Symptomen verstecken und wird deshalb oft nicht erkannt“, sagt Schumann. Eine Chamäleon-Krankheit nennen sie die Fachleute.

Die Anlage für eine Glutenunverträglichkeit ist, wie man aus Zwillingsstudien weiß, zu einem guten Teil vererbt. Trotzdem macht sie sich manchmal erst im Rentenalter bemerkbar. „Warum das so ist, haben wir noch nicht ganz verstanden“, sagt Wissenschaftler Schumann. „Wir gehen aber davon aus, dass hier bei entsprechender Veranlagung Trigger, also Auslöser, wirken. Das könnte schon ein banaler Magen-Darm-Infekt sein, der die Barriere des Darms beschädigt.“

Der Verdacht auf eine Zöliakie kann durch einen Bluttest bestätigt werden, bei dem nach mehreren Antikörpern gefahndet wird. „Zur Komplettierung der Diagnostik machen wir eine Magenspiegelung und entnehmen bei dieser Gelegenheit Gewebeproben aus dem Dünndarm, die der Pathologe dann unter dem Mikroskop beurteilt“, sagt Schumann. Er ist überzeugt, dass er und seine Kollegen bis heute nur „die Spitze des Zöliakie-Eisbergs“ entdeckt haben, weil vor allem leichter Betroffene oder Menschen mit ganz untypischen Symptomen gar nicht erst getestet werden. Ob die Störung heute häufiger ist oder nur besser diagnostiziert werden kann, ist nicht klar. „Es gibt aber die Hypothese, dass die verbesserte Hygiene in den gut entwickelten westlichen Ländern zu einer Zunahme geführt hat“, berichtet Schumann.

Die gute Nachricht für alle, die mit einer Gluten-Unverträglichkeit leben müssen: Wird der Darm nicht mehr provoziert, geht die Entzündung meist zurück. „Man hat als Zöliakie-Patient alles in der Hand, es ist allerdings eine Herausforderung, den Energiebedarf zu decken, ohne Produkte zu sich zu nehmen, die Weizen, Roggen oder Gerste enthalten“, sagt Schumann. Denn schon Spuren davon können den Krankheitsprozess wieder in Gang bringen. Das hat sich an Haferflocken gezeigt, die aus Mühlen stammen, in denen zuvor auch andere Getreide bearbeitet wurden. Das bisschen reichte aus.

Wer eine Zöliakie hat, muss beim Einkauf im Supermarkt immer wieder das Kleingedruckte lesen, die Kennzeichnungspflicht ist also ein Segen. Ebenso die Arbeit der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG), die ständig aktualisierte Informationen zu zahlreichen Produkten bietet. Inzwischen hat sie sogar einen „Pocketguide Berlin glutenfrei“ herausgebracht, den man sich auf der Homepage herunterladen kann und der einmal im Jahr auf den neuesten Stand gebracht wird. Er enthält auch Restaurant-Tipps für die Hauptstadt. Denn Menschen mit Glutenunverträglichkeit müssen wissen, wo es zu Fisch und Fleisch Saucen gibt, die wirklich ohne Mehl zubereitet wurden.

Den Pocketguide Berlin gibt es zum Download unter www.dzg-online.de

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