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Mindestens genauso wichtig wie "schöner wohnen" ist bezahlbar wohnen.

© Jens Büttner/dpa

Gentrifizierung: Wohnungsnot in Berlin erreicht die Mittelschicht

Der Leerstand in der Hauptstadt geht gegen null. Es entstehen zu viele Eigentumsobjekte und zu wenig Wohnungen für Durchschnittsverdiener, warnt Berlins größter Immobilienverband.

Es wird in Berlin immer Wohnungsbedarf, niemals Wohnungsnot geben. Man könnte 250.000 neue Wohnungen bauen, dann würden noch mehr Menschen nach Berlin ziehen. Und wenn auch noch die Mieten günstig sind, kommen noch mehr. Ist doch ganz einfach. Politik: Alles, aber auch alles, was ihr gemacht habt, hat kein Stück geholfen. Der Markt selbst kann besser regulieren, als die Politik. Berlin ist im Umbruch. Und das ist auch richtig so.

schreibt NutzerIn Franky100

Um die Wohnungsnot in Berlin zu dämpfen, wird in der Hauptstadt „weder genug noch günstig genug gebaut“. Das sagte Maren Kern, Chefin des wichtigsten Wohnungsverbandes der Stadt BBU, bei der Vorstellung ihres Jahresberichts. Knapp 11.000 Wohnungen seien im vergangenen Jahr errichtet worden, 20.000 wären nötig gewesen, um die Neuberliner in der wachsenden Stadt mit Wohnungen zu versorgen.

Besorgniserregend ist die dahindümpelnde Bautätigkeit außerdem deshalb, weil immer mehr Eigentumsobjekte entstehen, obwohl die Menschen vor allem günstige Mietwohnungen suchen. Dem BBU zufolge müsste es genau umgekehrt sein: Ein Drittel der neu errichteten Wohnungen müssten Sozialbauten sein, ein weiteres Drittel für 8,50 bis 10 Euro je Quadratmeter Nettokalt angeboten werden – und nur ein Drittel als Eigentum an den Markt kommen.

Neubau ist deshalb so dringend erforderlich, weil in Berlin seit 20 Jahren nicht mehr so wenige Wohnungen leer standen wie heute: 1,7 Prozent. Von echtem „Leerstand“ sprechen Experten bei diesem geringen Anteil nicht, es sind Wohnungen, die Eigentümer bei Mieterwechsel sanieren, verkaufen oder zusammen- legen – es gibt fast keine verfügbaren überschüssigen Wohnungen mehr. Sogar am Stadtrand geht der Leerstand zurück.

125.000 Wohnungen fehlen

Betroffen von der Wohnungsnot sind vor allem Haushalte mit geringen Einkünften, 125.000 Wohnungen fehlen nach einer jüngst vorgestellten Studie. Nicht geförderte Neubauten könnten diese Not nicht lindern, weil die Kosten dafür um 12 Prozent im vergangenen Jahr auf 2934 Euro pro Quadratmeter stiegen und sich seit den 90er Jahren verdoppelt haben. Um die Baukosten zu finanzieren, müssten die Wohnungen für 12 Euro plus Nebenkosten von rund 2,37 Euro pro Quadratmeter vermietet werden, das entspricht rund 1000 Euro für eine 70-Quadratmeter-Wohnung. Das ist zu viel für den Berliner Durchschnittshaushalt, der laut statistischem Landesamt etwa 2300 Euro zur Verfügung hat.

„Fehlendes Bauland, unflexible und immer höhere Baustandards, stark gestiegene Grunderwerbsteuern sowie lange Bauplanungsverfahren sind maßgeblich verantwortlich dafür, dass es immer weniger Neubauwohnung pro Euro gibt“, sagt BBU-Chefin Kern. Sie fordert deshalb, „den Mietwohnungsbau zu bevorzugen“: Grund- und Grunderwerbsteuer absenken, Energie- und Baustandards ebenfalls, Baugenehmigungen schneller und bevorzugt erteilen zum Beispiel. So könnten Wohnungen für die Mittelschicht entstehen, die kein Anrecht auf Sozialwohnungen haben und sich Neubauwohnungen nicht leisten können.

„Investitionsverhinderungsprogramm“ nennt Kern das geplante „Mietenpaket II“ von Justizminister Heiko Maas (SPD), dem sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstag mit dem Start einer „Bundesratsinitiative zur Dämpfung der Mietenentwicklung“ angeschlossen hatte, die ähnliche Ziele verfolgt. Vor allem die Kappung von Mieten auf 40 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens werde die Sanierung des Bestandes abrupt beenden und verhindern, dass "Substandardwohnungen“ ohne Klingelanlage mit unsanierten Bädern, auf dem Putz verlegten Leitungen und einfacher Verglasung endlich modernisiert würden. Dies stehe im krassen Widerspruch zu den, auch klimapolitischen, Absichten der Regierung.

"Neubauinvestitionen" steigen um fast 90 Prozent

„Mietendämpfer“ nennt BBU-Chefin Maren Kern ihre Mitgliedsunternehmen, weil diese mit einer Durchschnittsmiete von 5,60 Euro je Quadratmeter und Monat nettokalt 24 Cent weniger verlangen, als der Mittelwert des Mietspiegels in Berlin zulässt. Und die Firmen erweitern ihr Angebot. Deren „Neubauinvestitionen“ stiegen im Jahr 2015 im Vorjahresvergleich um fast 90 Prozent und für 2016 sei eine Ausweitung um gut 150 Prozent auf dann deutlich über eine Milliarde Euro geplant. Bis Mitte des nächsten Jahrzehnts wollen die Firmen mindestens 70.000 neue Mietwohnungen „auf den Weg bringen“.

Während in Berlin die Mieten seit Jahren kräftig steigen, meldete der Verband „Haus und Grund“ am Dienstag überraschend „keine Mietsteigerung bei privaten Vermietern“. Die Meldung, die im Widerspruch zur Entwicklung in den meisten Ballungsgebieten steht, ist aber auch dadurch zu erklären, dass 2200 private Vermieter von 6355 Wohnungen in Städten wie Lübeck, Gelsenkirchen, Magdeburg, Pirmasens zur Miethöhe befragt wurden – nicht aber Grundeigentümer in Hochburgen der Wohnungsnot wie Berlin oder Hamburg. Demnach beträgt die Durchschnittsmiete in Mehrfamilienhäusern 7,55 Euro je Quadratmeter nettokalt. Hinzu kommen Betriebskosten von 1,30 Euro und Heizkosten von 1,02 Euro je Quadratmeter und Monat.

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