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In Pankow, Heiligensee, Steglitz oder Zehlendorf – überall in Berlin wird mit Stolpersteinen die Erinnerung lebendig gehalten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gemeinsame Sache in Steglitz-Zehlendorf 2017: Anfang September werden neue Stolpersteine verlegt

Zahlreiche Initiativen kümmern sich um das Gedenken ermordeter jüdischer Berliner. Neue Stolpersteine werden am Aktionstag verlegt und geputzt.

Wer beim Spazieren durch den Kirchblick in Schlachtensee auf den Boden schaut, kann dort zwei messingfarbene Steine sehen. Sie markieren das letzte frei gewählte Zuhause von Hilda und Richard Casparius. „Casparius, Hilda, geb. 15.02.1893 in Berlin, geb. Schütz, 31. Transport, 01.03.1943 nach Auschwitz, ermordet in Auschwitz, Datum unbekannt“ steht auf dem einen. „Casparius, Richard, geb. 14.12.1883 in Bärwalde/Neustettin/Pommern, gest. 14.02.1942 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin“ auf dem anderen.

Auf nur zehn Quadratzentimetern wird der ganze Schrecken der Naziverbrechen deutlich. Seit 1996 wurden 7277 solcher Stolpersteine in ganz Berlin verlegt, sie erinnern an Menschen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Der Künstler Gunter Demnig hat diese Form des Gedenkens erfunden, doch er folgt dabei der Spur aus der Zivilgesellschaft. Denn es sind die Menschen aus der Nachbarschaft, die die Schicksale der Opfer recherchieren.

Lange wurde geschwiegen

Wie etwa Dirk Jordan von der AG Spurensuche, die sich in Schlachtensee um die Stolpersteine kümmert. Jordan sitzt auf einer Parkbank vor der Johanniskirche, fast in Sichtweite der beiden Steine für das Ehepaar Casparius. „Wo haben die Opfer gewohnt?“, das fragt er sich immer wieder. Als er noch ein Kind war, sei eine solche Fragen unmöglich gewesen. Dass die Verbrechen der Nazis nicht in den Zügen, nicht in den Konzentrationslagern begannen, darüber sprach man nicht. Heute zeigt Jordan mit seinen Recherchen: Sie nahmen ihren Anfang mitten in der deutschen Gesellschaft, mitten in Schlachtensee. „Diese Geschichte ist auch Teil des Ortes“, sagt Jordan.

Damit das nicht in Vergessenheit gerät, kümmert er sich gemeinsam mit anderen Ehrenamtlern um die Pflege der Steine und führt Rundgänge. Am Aktionstag sollen die 25 Steine in Schlachtensee in kleinen Gruppen geputzt werden. Dabei soll es nicht nur darum gehen, das Messing zum Glänzen zu bringen, sondern es wird vor allem auch über die Biografien der Menschen gehen, deren Namen auf den Steinen stehen.

Außer in Schlachtensee werden am Aktionstag auch noch am Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz-Zehlendorf Stolpersteine geputzt. Denn Spurensucher wie Jordan gibt es in ganz Berlin.

Noch mehr Steine

In Friedenau sitzt Petra Fritsche an ihrem Küchentisch. Seit zehn Jahren kümmert sie sich um die Stolpersteinpflege in ihrem Kiez. Der Impuls müsse aus der Bevölkerung kommen, das sei das Starke am Stolperstein, sagt sie. Kein von oben diktiertes Gedenken, sondern Menschen, die sich für das Schicksal ihrer ehemaligen Nachbarn interessieren. „Der Stolperstein zeigt: Die Verbrechen der Nazis begannen hier, wo wir ein- und ausgehen“, sagt Fritsche. Und er gibt den Opfern, die in den KZs nur mit Nummern gebrandmarkt wurden, ihren Namen zurück.

Am 7. September werden in der Düppelstraße in Friedenau insgesamt 10 Steine durch den Künstler Gunter Demnig verlegt. Sie erinnern an Menschen, wie Ludwig Friede, einen Kaufmann, der 1941 in Kowno ermordet wurde, an seine Mutter Berta Friede, die 1942 in Theresienstadt starb und seine Tochter Frieda, die in Auschwitz ermordet wurde.

Auch in Prenzlauer Berg werden am Aktionstag "Gemeinsame Sache" neue Steine verlegt, für Familie Borus in der Choriner Straße. Dazu reist Sonja Borus aus Israel an, die mit mittlerweile 90 Jahren die einzige Überlebende ist. Für viele Angehörige ist die Verlegung wie ein Begräbnis, weil es oft kein richtiges Grab gibt.

Die Opfer ehren. Dirk Jordan von der Initiative Schlachtensee.
Die Opfer ehren. Dirk Jordan von der Initiative Schlachtensee.

© Kitty Kleist-Heinrich

Erinnerung im Alltag

Für Petra Fritsche führt die Spur der Steine aber nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart. Sie sind eine im Alltag sichtbare Erinnerung daran, wohin Ausgrenzung und Menschenhass führen. Das Gefühl, dass jüngere Generationen sich weniger für Erinnerungskultur interessieren, hat sie nicht. In der Stierstraße in Friedenau, erzählt sie, sind zwei Steine, die glänzten immer. Eine Lehrerin hält ihre Klasse dazu an, sie zu putzen. „Man kann auch Kindern erklären, was es heißt, böse zu sein, andere auszugrenzen, und dass es wichtig ist, sich dagegen zu wehren“, sagt Fritsche.

Wehren muss sich auch Fritsche in ihrer Arbeit. Denn immer wieder gibt es Schändungen der Steine durch Rechtsradikale. Stolpersteine werden schwarz übersprüht, Gedenkkästen eingeschlagen, in ihrem Briefkasten landen Drohungen. Sogar bis an ihre Haustür kamen die Neonazis, beschmierten sie vor einigen Jahren mit den Worten: „Vorsicht Judenfreundin“. Es zeigt ihr, wie wichtig Stolpersteininitiativen auch heute bleiben, wie bedeutsam es ist, nicht zu vergessen.

Pascale Müller

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