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Gedenktafel für Rio Reiser: Ein Herz und eine Krone

Eine Ehrung für den „König von Deutschland“: Eine Gedenktafel erinnert an Rio Reiser und die Politrock-Band Ton Steine Scherben.

Schade, wirklich schade. Die Socken und die Autos stinken noch immer, die Lottozahlen werden weiterhin nicht schon eine Woche vorher bekannt gegeben, und nur noch Hitparaden bei der Bundeswehr? Frommer Wunsch. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen, die kleinen Träume wie jedermann und den ganz großen, wie es wohl wär, wenn man „König von Deutschland“ wär. Rio, immer wieder Rio. 17 Jahre soll es schon her sein, dass der Sänger der Politrock-Band Ton Steine Scherben mit nur 46 Jahren starb? Fern von Berlin, der Stadt, mit der sein Aufstieg am deutschen Rockhimmel so eng verbunden war und in die er erst vor zwei Jahren, als eine Umbettung des Sarges notwendig wurde, zurückkehrte. Aber er ist, mehr als so mancher andere Ex-König von Deutschland, unvergessen, hat sich tief ins Gedächtnis der Menschen, nicht nur der alten Fans, eingegraben, und damit das auch so bleibt, wird jetzt mit Porzellan nachgeholfen.

In Berlin wird eine Gedenktafel für Rio Reiser enthüllt

An diesem Dienstag um 13 Uhr wird am Tempelhofer Ufer 32 in Kreuzberg eine „Berliner Gedenktafel“ enthüllt, die an Rio Reiser und Ton Steine Scherben erinnert. Auch R.P.S. Lanrue und Kai Sichtermann von den Ur-Scherben werden dabeisein. In dem Haus am Landwehrkanal hatte die Band von 1971 bis 1975 gelebt, den Jahren, als sie zu den Stars der linken Berliner Subkultur, der Aussteiger, Freizeitrevolutionäre und frühen Hausbesetzer wurden. Die Tafel war von den Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen worden, unterstützt wird das Projekt von der Historischen Kommission, der Berliner Geschichtswerkstatt und der Gasag.

Zweites Leben von Rio Reiser ohne Scherben

So wird also dem „König von Deutschland“ in Berlin eine Ehrung zuteil, die der King of Pop hier nie und nimmer erwarten darf. Und dabei bleibt ausgerechnet Michael Jackson in der Erinnerung der Berliner eng mit Rio Reiser verbunden, rahmte gemeinsam mit Pink Floyd dessen Auftritt beim Berlin Rock Marathon 1988 gleichsam ein. Heute undenkbar: Rock und Pop vom Besten direkt vor dem Reichstag, am ersten Abend die Briten, am dritten Jacko, und dazwischen die Berliner Rockelite, darunter die Rainbirds, Nina Hagen, Udo Lindenberg, der irgendwie als Berliner galt, dazu Rio. Er war unzweifelhaft King des Abends, ein Schlaks von unbeschreiblicher Intensität, allenfalls Nuschel-Udo ging noch als Gegenkönig durch.

Das war schon auf dem Höhepunkt von Rios zweitem Sängerleben, der nun ohne Scherben vors Publikum trat und ungemein massentauglich geworden war. Als er sich mit spaßigen, aber eher doppelbödigen als seichten Liedern wie „König von Deutschland“ in die Herzen neuer Fankreise sang oder sie mit melancholischen Liebes- und Abschiedsballaden wie „Junimond“ rührte. Da lebte Rio Reiser – bürgerlich hieß er Ralph Möbius – schon nicht mehr hier, hatte sich 1975 mit den Scherben nach Fresenhagen im Landkreis Nordfriesland zurückgezogen – Landkommune statt Hausbesetzerszene. .

Rauch-Haus-Song als musikalisches Denkmal

Der hatten Rio und die Scherben ein frühes musikalisches Denkmal gesetzt, den „Rauch-Haus-Song“, der die Besetzung des Georg-von-Rauch-Hauses am Kreuzberger Mariannenplatz am 8. Dezember 1971 glorifizierte und zu einer Art Hymne der Hausbesetzerszene wurde, bei Szenepartys bald ebenso gern gespielt wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ oder „Keine Macht für Niemand“ – ein Lied, das Reiser bei seinem FDJ-Konzert im Oktober 1988 in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle auslassen musste. Der Stasi dürfte der Auftritt dennoch nicht gefallen haben: Als die Fans immer lauter nach „Scherben, Scherben!“-Songs verlangten, sang Reiser „Der Traum ist aus“, und die Menge stimmte begeistert mit ein:„Dieses Land ist es nicht, dieses Land ist es nicht.“ Der Sänger aus dem Westen, der sich als König der Straßenkämpfer längst verabschiedet hatte, entwickelte auch jenseits der Mauer Sprengkraft. Die Scherben hatten sich bereits 1985 aufgelöst, von Fresenhagen ließ Reiser dennoch nicht, auch als er sich selbst zum „König von Deutschland“ erhob. Er wurde sogar auf dem dortigen Grundstück begraben. Erst als der Hof finanziell von den Erben nicht mehr zu halten war und verkauft wurde, musste auch Rio Reiser weichen und kehrte nach Berlin zurück. Anfang 2011 wurde er auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof am S-Bahnhof Yorckstraße in Schöneberg ein zweites Mal begraben. Im Mittelpunkt des Grabsteins: ein großes Herz samt Krone.e.

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