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Lieblingsfarbe Rot. Auch das war beim Gedenken wichtig.

© dpa, Britta Pedersen

Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Sag’s mit Nelken

Zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zogen wieder Tausende nach Friedrichsfelde. Neben führenden Linke-Politikern kamen auch alte SED-Kader und junge Sozialisten. Ein Sonntagsbesuch.

Klar, zehn Uhr am Sonntagmorgen ist ein bisschen zu früh selbst für leidenschaftliche Rosa-Fans. Um diese Zeit gewinnt man auf dem Weg zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde noch den Eindruck, Berlins Seniorenclubs hätten sich in großer Zahl dorthin aufgemacht. Doch eine Stunde später sieht das Bild am traditionellen Gedenktag für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht schon ganz anders aus: In Scharen pilgern nun auch Menschen unter 40 zu den Gräbern der vor 99 Jahren, am 15. Januar 1919, von rechten Freikorps ermordeten Vordenkern des Sozialismus. Kinderwagen und kleinen Hund im Mäntelchen dabei, Thermoskanne und rote Nelken am Rucksack festgezurrt.

Sozialistisches Gedankengut wärmt nicht ausreichend

Und dann stellen sich Alt und Jung geduldig in die gut 30 Meter lange Warteschlange, ein wenig bibbernd trotz dicker Anoraks. Sozialistisches Gedankengut wärmt zwar innerlich, das steht hier außer Frage, aber bei Minusgraden halt nicht ausreichend. Langsam rücken sie vor zur mächtigen, 1951 eröffneten kreisrunden Gedenkstätte mit dem Findling in der Mitte, um den herum sich die Gräber von zehn führenden Köpfen der deutschen Arbeiterbewegung und des einstigen DDR-Regimes aneinanderreihen.

Schon in aller Frühe dabei. Sahra Wagenknecht, Linken-Fraktionschefin im Bundestag, und ihr Ehemann Oskar Lafontaine.
Schon in aller Frühe dabei. Sahra Wagenknecht, Linken-Fraktionschefin im Bundestag, und ihr Ehemann Oskar Lafontaine.

© dpa, Britta Pedersen

Gleich vorne liegen Rosa und Karl neben Ernst Thälmann, KPD-Chef von 1925 bis ’33, und dem einstigen DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck. Kurze Besinnung, alle legen behutsam ihre rote Nelke ab, einige ganze Sträuße. Der Blumenberg wächst, besonders bei Rosa und Karl. Aber auch auf der Grabplatte des marxistischen Historikers Franz Mehring, bei Rudolf Breitscheid, SPD-Politiker der Weimarer Republik, oder dem langjährigen DDR- Staatsratschef Walter Ulbricht legt der eine oder andere noch Blütengrüße ab.
Dieter Voigt, 65 Jahre alt, von der Ortsgruppe der Linken in Lichtenberg, weiße Ordnerbinde am Arm, steht am Fuß der Gedenkstätte und wundert sich. Erst nach der Wende, sagt er, sei ihm „die ganze Absurdität“ der alljährlich zu DDR-Zeiten hier staatlich inszenierten Polit-Show bewusst geworden. Schon als Kind nahm Voigt an der Hand seiner Eltern daran teil, seither war er jedes Jahr dabei. „Die SED-Spitze stand immer auf einer Tribüne mit dem Rücken zu Rosa und Karls Gräbern und nahm den Vorbeizug der Massen ab“, erinnert er sich. Die Menschen durften nur im Halbkreis grüßend auf Distanz an der Stätte vorbeimarschieren. Das war’s. Kein Moment Stille, „keiner durfte persönlich Nelken ablegen“.

Spartakisten und DKPler schleppen ihre Stände herbei

Seit der Wende gibt’s auf dem großen Platz vor den Toren zur Gedenkstätte nun eher Polit-Folklore. Mini-Gruppen schleppen aus den Nischen ihres politischen Engagements Marktstände herbei. Spartakisten, DKPler, marxistisch-leninistische Kämpfer, „Die Internationale“ zwischen Bratwurstschwaden. Nebenan gibt’s T-Shirts „I want you for revolution“. Karl Marx’ Werke stehen fast komplett im Regal, ein Einzelkämpfer hält sein Schild „gegen die imperialistische EU“ hoch. Ein anderer preist die „Granma“ an, Zeitung der Kommunistischen Partei Kubas, deutsche Ausgabe für einen Euro.

Auf dem Weg. Egon Krenz, letzter SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR.
Auf dem Weg. Egon Krenz, letzter SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR.

© imago/Christian Thiel

Sogar die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) existiert offenbar noch, Motto: „Erst die DDR annektieren, heute Europa diktieren.“ Angesichts dieser Offensive linker Sektierer wirkt der Infostand der Linkspartei geradezu an den Rand gedrängt. Aber auch dort, wie fast überall, ist der Blick beim Erinnern an die politischen Urahnen fest nach vorne gerichtet. „Wir freuen uns über die Verjüngung und den Mitgliederzuwachs“, sagt eine Mitvierzigerin. Gegenüber wird „Partisan“-Wodka ausgeschenkt. Ein Schalmeienorchester spielt „Auf, Auf zum Kampf“, ein Arbeiterlied, das nach den Morden an Rosa und Karl als Ausdruck der Empörung entstand.

Die Politprominenz der Linken kommt schon um 9 Uhr früh

Wie alle Jahre wieder sind auch diesmal Tausende unterwegs. Die Polit-Prominenz der Linken legt bereits um 9 Uhr früh Nelken ab, Berlins Kultursenator Klaus Lederer und die Parteivorsitzende Katja Kipping sind dabei, außerdem Gregor Gysi, Petra Pau und Bernd Riexinger von der Bundestagsfraktion sowie deren Vorsitzende Sahra Wagenknecht. Auch Hans Modrow und Egon Krenz von der letzten Regierungsriege der DDR sind gekommen. Als Wagenknecht mit ihrem Mann Oskar Lafontaine in den Wagen steigen will, springt ein junger Mann zu ihr. „Muss man bei der Ehrung von Rosa und Karl nicht auch die Widersprüche der DDR bedenken?“ Sie will antworten, doch Oskar zieht sie am Ärmel zur Limousine.

Unter roten Fahnen. Um die Mittagszeit zogen laut Polizei mehrere tausend, überwiegend junge Demonstranten, darunter etliche linke Splittergruppen, vom Frankfurter Tor in Friedrichshain weitgehend friedlich zur Gedenkstätte in Friedrichsfelde.
Unter roten Fahnen. Um die Mittagszeit zogen laut Polizei mehrere tausend, überwiegend junge Demonstranten, darunter etliche linke Splittergruppen, vom Frankfurter Tor in Friedrichshain weitgehend friedlich zur Gedenkstätte in Friedrichsfelde.

© dpa, Britta Pedersen

Gegen 11 Uhr flanieren die Besucher dicht gedrängt um die Gräber. Auch Sönke Gahrmann (28), Soziologiestudent, ist dabei. Warum er sich zu Rosa und Karl aufmacht? „Weil ich dankbar bin für das, was sie geleistet haben.“ Seit Kurzem ist er Mitglied der Linken. Von Lafontaines und Wagenknechts Idee einer neu zu gründenden linken Volkspartei hält Gahrmann nichts. „Ich bin doch nicht eingetreten, weil die jetzige Linke auf dem Holzweg ist.“

Am Mahnmal für die Opfer des Stalinismus wird auch über DDR-Verbrechen debattiert

Zu den Jüngsten mit Nelke gehört vermutlich Ellen Müller (15) aus Erkner. Eltern und Großeltern haben sie mitgenommen. „Das ist bei uns ein Familienritual“ sagt Ellen und betrachtet dabei nachdenklich die Gedenkinschrift für Walter Ulbricht. Dessen Grab und das kleine gleichfalls mit Nelken bedeckte Mahnmal für die Opfer des Stalinismus vor dem Rondell sind die Orte, an denen heftig über den Sozialismus und dessen Widersprüche debattiert wird. Vor allem, weil sich an diesem Sonntag der erste Protest von Oppositionellen in der DDR bei der staatlichen Gedenkkundgebung für Rosa und Karl im Januar 1988 zum 30. Mal jährt. Zwei recht betagte Männer ehren Ulbricht gerade mit Sträußen. Das ärgert eine junge Frau. „Zur Geschichte des Kommunismus gehört auch die Erinnerung an begangene Verbrechen“, ruft sie, „trotz aller Ideale, die wir hochhalten“. Beide kontern schroff. „Ohne Ulbricht und den Mauerbau hätte es damals Krieg gegeben.“

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