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Fatma Souad (links) und Sabuha Salaam organisieren Gayhane seit 15 Jahren.

© Christian Mang

Gayhane-Party: Tanz in die Freiheit

Schwule und lesbische Türken haben es oft schwer. Die Gayhane-Party fängt sie auf – seit 15 Jahren.

Aus den Lautsprechern im Kreuzberger S036 tönt die Melodie von Gloria Gaynor. Fremde Menschen liegen sich in den Armen. Sie singen nicht „I will survive“ sondern „bambaska biri“ – die türkische Version des Welthits: ein Bekenntnis und ein Mutmacher. Auch in der Türkei ist das Lied eine Hymne der Homosexuellen. Und die, die hier mitsingen, sind vor allem Türken, schwule und lesbische.

Seit 15 Jahren feiern sie mit Kurden, Iranern und Israelis im Kiezclub SO 36. Partyreihe Gayhane. Eine Institution und weit über die Stadtgrenzen bekannt. Trotz des Erfolgs ist es die einzige Party in Berlin, die sich monatlich an schwul-lesbische Migranten richtet. Die Stimmung ist jedes Mal überwältigend. Kopftücher fallen, Männer tanzen in Frauenkleidern, Frauen in sehr kurzen Röcken. „Wir verstehen uns als Oase in der Oase“, sagt Fatma Souad, Mitbegründerin der Party. Gayhane ist ein geschützter Raum, in dem sich die Besucher, egal welcher Religion, frei entfalten können.

Daher fühlen sich auch viele heterosexuelle Gäste wohl, türkische Frauen, die lockerer mit ihrem Körper umgehen, da sie nicht von Machos angemacht werden. „Die Entwicklung hatte aber auch zur Folge, dass auch türkische Heten zu uns kamen, da bei uns die hübscheren Frauen feierten“, sagt Fatma. Doch Gayhane wäre nicht Gayhane, wenn man nicht eine humoristische Antwort gefunden hätte: „Ben ibneyim“, was so viel bedeutet wie „Ich bin eine Schwuchtel“, ließ Fatma auf einen Button schreiben, eigentlich ein Schimpfwort. Wer ihn während der Party offen trug, bekam die Getränke günstiger. Die Beleidigung erhielt einen neuen Kontext und heterosexuelle Männern mussten ihre Rolle überdenken.

Doch während sich die Party einen Freiraum erhalten konnte, hat sich draußen nicht viel verändert. Im Gegenteil: „Die Atmosphäre in Kreuzberg ist intoleranter geworden“, sagt die 49-jährige Transgender, die seit 1983 in Kreuzberg lebt. Im bürgerlichen Outfit fällt sie nicht weiter auf, doch Fatma, eigentlich Hakan Tandogan, hat viele Identitäten. Oft läuft sie als türkische Hausfrau mit Kopftuch herum. Fatma spielt mit den Geschlechtern, ironisch und für manche provozierend. Sie selbst steht mit erstaunlicher Gelassenheit zu ihrer Sexualität: „Jeder soll für sich einen Weg zum Glück finden.“ Doch sie beklagt die gewachsene Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden: „Berlin wird als liberale Stadt vermarktet, aber tagsüber traut sich keine Tunte mehr im Fummel auf die Straße.“

Mehrfach wurden sie und ihre Freunde in den vergangenen Monaten bedroht und angegriffen. Oft wird dann von islamisch motivierten Gewalttaten berichtet. Mit dieser Interpretation ist Fatma aber nicht einverstanden. Dass die Religion eine Rolle spielt, weist sie zurück: „In allen Kulturen gibt es einen homophoben Bodensatz. Perspektivlosigkeit und fehlende Bildung sind das Problem, nicht die Religion.“

Eine Veranstaltung wie Gayhane zeige, dass Vorurteile überwunden werden können: „Es macht immer wieder Freude zu sehen, wie konventionell gekleidete Männer auf die Toilette verschwinden und geschminkt und aufgebrezelt wieder herauskommen“, sagt sie. Viele hätten bei oder durch Gayhane ihr Coming-out. Trotz dieser schönen Momente hat Fatma die Organisation vor mehr als einem Jahr an die befreundete Transvestitin und Mitbegründerin Sabuha Salaam übergeben: „Mir wurde das ständige Nachtleben zu viel.“ Heute ist Fatma unter anderem Schauspieler am Maxim Gorki Theater und spielt in Tschechows „Der Kirschgarten“ die Gouvernante Charlotta Iwanowa. Bei der 15-Jahres-Party wird die Gründerin moderieren.

Neben Fatma und der jüngeren Sabuha spielt noch eine dritte Person eine gewichtige Rolle beim Erfolg von Gayhane: Ipek Ipekçioglu. Die international agierende DJ-Frau ist seit Anbeginn für das musikalische Konzept der Reihe verantwortlich. Sie hat Musik aus ihrem ursprünglichen Kontext geholt: Orient-Pop und traditionelle Volksmusik, etwa Halay, erfüllen für Ipek Ipekçioglu eine wichtige Funktion: „Zur englischsprachigen Musik tanzen die Leute individuell, während türkische oder kurdische Volksmusik als Gruppentanz das Gemeinschaftsgefühl stärkt und mehr Spaß macht“, sagt sie.

Die traditionelle Musik sei wichtig, da viele lesbische und schwule Migranten mit ihrem Elternhaus und damit ihrer Kultur brechen mussten. Die Musik stärke Identität und Selbstwertgefühl. In einer wissenschaftlichen Arbeit schreibt sie: „Lesben und Schwule, die innerhalb ihrer Community offen leben, werden meist als Personen angesehen, die sich in die deutsche Kultur assimiliert haben bzw. ihr verfallen sind. Ihnen wird eine Entfremdung und Verwestlichung vorgeworfen; denn es scheint, als ob ein Moslem nicht homosexuell sein kann.“ Gayhane ist also auch ein Stück Heimat. Martin Hildebrandt

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