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Hiller ist schon lange gegen die Olympischen Spiele in Berlin 2024. Hier auf einer Demo in Berlin vor der Max-Schmeling-Halle im Dezember.

© dpa/ Paul Zinken

Gabriele Hiller zur Olympiadebatte: Arm, aber Olympia

Berlin hat dringendere Probleme als Olympia, argumentiert die sportpolitische Sprecher der Berliner Links-Fraktion Gabriele Hiller. Nach Großprojekten wie BER und Staatsoper könnte Olympia Berlin ruinieren.

Es hatte schon einen erheblichen Überraschungswert, als zwei Tage nach dem Tempelhof-Volksentscheid auf einer Veranstaltung des Landessportbundes verkündet wurde, der DOSB-Präsident habe sich in einem Schreiben an den Berliner Senat um eine Interessensbekundung unserer Stadt für die Ausrichtung Olympischer Spiele gewandt. Wie bitte? Hatte ich was verpasst? War Berlin aus dem Schneider raus, konnte es plötzlich Milliarden zusätzlich für ein neues Großprojekt ausgeben? Und mir fiel sofort ein, was in der Stadt gerade alles fehlt und wo es nicht gut läuft: kaputte Schul- und Sportstätten, steigende Mieten, eine S-Bahn, die unzuverlässig ist.

Am Ende zahlen die Bewohner der Gastgeberstadt drauf

Ohne Frage: Berlin ist eine tolle Sportstadt, ich genieße das. Ob beim Rudern über den Müggelsee, beim Radfahren entlang des Mauerweges oder zur Oder, beim Berlin-Marathon, den ich vier Mal mit gelaufen bin oder bei einem spannenden Fußballspiel in der Alten Försterei – die Stadt ist so voller Dynamik, es macht Spaß, hier Sport zu leben. Besonders glücklich macht es mich, auf dem Tempelhofer Feld bei schönem Wetter unzählige Familien und Freunde sich tummeln zu sehen, ob mit oder ohne Ball, mit Fahrrad, Drachen, joggend. Aber muss es gleich wieder dieses Abenteuer Olympia sein? Ein Event, bei dem die Kosten noch nicht kalkuliert sind, weder für das Olympische Dorf, noch für die Verkehrsinfrastruktur, weder für die Sportanlagen noch für die Sicherheitsmaßnahmen. Ein Fass ohne Boden, bei dem der Senat nicht in der Lage ist vorzurechnen, wer wie viel zahlt. Bei dem aber eines sicher ist, weil es in allen Ausrichterstädten so gelaufen ist: Es sind am Ende die Bewohnerinnen und die Bewohner, nicht das IOC, die drauflegen müssen: Bei der Miete, bei Fahrpreisen, beim Verzicht auf andere dringend notwendige Bau- und Sanierungsmaßnahmen.

Olympia könnte Berlin finanziell ruinieren

Wer traut diesem Senat, der weder BER noch Staatsoper kann, bei dem alles teurer wird und länger dauert als geplant, eigentlich „bescheidene“ Olympische Spiele zu? Noch hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller nicht einmal bewiesen, dass er mit dieser Koalition sein Schultoilettenprogramm durchziehen kann.

Nein, Berlin ist nicht in der Pflicht, die olympische Bewegung zu retten. Es gibt etliche interessierte Städte, denen für 2024 oder 2028 gute Chancen nachgesagt werden. Sich nicht zu bewerben ist nicht unehrenhaft. Und Berlin ist auch nicht „endlich mal wieder dran“. Solange der Träger Olympischer Spiele, das IOC, sein Hauptaugenmerk darauf legt, die Ringe profitträchtig zu vermarkten, ist noch jede Stadt gut beraten, sehr genau abzuwägen, ob sie mit dem IOC Geschäfte machen will oder nicht. Die Hostverträge, die man abschließen muss, sind Knebelverträge, die mit den demokratischen Gepflogenheiten in unserer Stadtgesellschaft wenig gemein haben und die letztlich eine Stadt finanziell ruinieren können. Okay, vielleicht findet der Senat ja, dass es angesichts der riesigen Schulden Berlins nun eh nicht mehr darauf ankäme. Wer so denkt, sollte sich allerdings aus seiner politischen wie sportlichen Verantwortlichkeit für Berlin zurückziehen und sich auf sein Privates reduzieren – dort ist er nur für sich zuständig!

Schwimmbäder und Turnhallen sanieren statt Olympia

Natürlich gibt es die Erwartung, dass mit Olympischen Spielen ein weiterer Boom einsetzt, fürs Baugewerbe genauso wie für den Leistungssport Berlins. Vergessen wird gern, dass Berlins vorhandene Sportstätten aus den 1990 er Jahren ohnehin saniert, nur eben nicht unbedingt olympiatauglich gemacht werden müssten. Schwimmstadion, Olympiapark, Jahnsportpark – hier herrscht überall Bedarf, auch ohne Olympia. Riesige Zuschauerkapazitäten, die hinterher keiner nutzt, kann sich eine Stadt, in der die Schulsporthallen nicht saniert werden können, einfach nicht leisten. Wie kann ein Senat Olympia wollen, der nichts dagegen unternimmt, dass in den Schwimmbädern die Preise steigen, somit Gruppen von Menschen aus dem Badebetrieb ausgeschlossen werden, weil sie nicht mehr zahlen können? Was sollen Trainerinnen oder Trainer davon halten, die schlechter als anderswo bezahlt werden; was Übungsleiterinnen oder –leiter denken, für die es zu wenig Unterstützung gibt, ehrenamtlich zu arbeiten?

Olympia ist nicht die einzige Möglichkeit Grenzen zu überwinden

Ja, die Berlinerinnen und Berliner sind sportbegeistert, sie haben auch eine hohe olympische Affinität. Mitunter rührt diese aus längst vergangenen Zeiten, da es noch den Kampf der Systeme gab, als man sich mit seinem Land, seinem System über den Sport identifizieren konnte. Als sportliche Wettkämpfe eine Möglichkeit darstellten, sich außerhalb der Realitäten des Kalten Krieges kennen zu lernen, miteinander zu reden, Grenzen zu überwinden. Diese Notwendigkeit besteht in der Form heute glücklicherweise nicht mehr. Und dafür, dass die Jugend der Welt nach Berlin kommen kann, könnte der Senat weit mehr tun, als sich in eine risikoreiche Olympiabewerbung zu stürzen. Er sollte zum Beispiel deutlich mehr Mittel für Schüleraustausch, Jugendreisen und Klassenfahrten einsetzen. In Berlin scheitert der Austausch nicht selten an den finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Das wäre ein grundlegender Beitrag zu Völkerverständigung und Freundschaft, der vielen Familien zugute käme.

Ich finde außerdem, dass sich Berlin nicht für Olympische Spiele bewerben sollte, solange es in Marzahn-Hellersdorf für 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner kein Freibad gibt und das Strandbad Müggelsee eine Bauruine ist. Berlin kann viel für die Bürgerinnen und Bürger, auch für den Sport in dieser Stadt leisten – dafür aber braucht es keine Olympischen Spiele. Sich trotzdem zu bewerben, ist aus meiner Sicht politische Verantwortungslosigkeit und Instinktlosigkeit pur. So, wie die Koalition aus SPD und CDU 2001 aufgehört hatte, macht sie nun weiter.

Dr. Gabriele Hiller ist die sportpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus von Berlin. Seit 2011 vertritt sie den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 3. Sie ist Sportlehrerin und promovierte Sportwissenschaftlerin. Der Beitrag erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Debatte zu Olympischen Spielen in Berlin.

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