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Rost und Silber lieb ich sehr. Gebaute Bildungsutopie - so verstanden die Pariser Architekten um den Le-Corbusier-Mitarbeiter Georges Candilis ihren „unhierarchischen“ Entwurf für den Dahlemer FU-Campus. Die Rostlaube wurde 1973 - mit berlintypischen drei Jahren Verzögerung - fertig, die Silberlaube nach Entwürfen von Manfred Schiedhelm fünf Jahre später angebaut. Mit einer Alu-Fassade, denn der Corten-Stahl nebenan rostete doch zu arg. Auch die Rostlaube erhielt im Zuge der Sanierung nach der Jahrtausendwende eine neue Außenhaut - aus Bronze - und die imposante Kuppel der von Norman Foster geplanten Philologischen Bibliothek kam 2005 hinzu.

© Thilo Rückeis

Freie Universität Berlin: Alte Laube rostet nicht

Zu Besuch bei der Alma Mater: Unser Autor hat sich nach Jahren wieder in der Rost- und der Silberlaube der FU in Dahlem umgesehen.

In einer anonymen Massenuniversität gibt es Oasen der Gemeinsamkeit. Wer sie für sich entdeckt, der findet nicht nur andere Kommilitonen, sondern versteht, dass er nicht allein ist mit seinen Sorgen oder Augenblicken der Orientierungslosigkeit; im schönsten Fall ist die Oase eine Art Wohnzimmer, also Heimat auf Zeit. Identifikation.

Als ich im Oktober 1988 begann, an der Freien Universität zu studieren, lagen meine Fachbereiche in der legendären Rost- und Silberlaube, eine Art Campus-Labyrinth als Herzstück der räumlich so zerfaserten Universität. Kam ich vom U-Bahnhof Dahlem-Dorf über die Fabeckstraße in die FU gelaufen, musste ich mich immer zwingen: Geh nicht die Treppen hoch, schau nicht ins „PI“, um zu quatschen. Denn dort blieb man dann gerne einmal ein paar Stunden hängen Und dann war das Proseminar - vorbei.

Die meisten denken noch heute, dass das PI das Fachschaftscafé des „Psychologischen Instituts“ sei, aber es liegt quasi nur in dessen Einzugsbereich. Gegründet wurde es von Betriebswirtschaftsstudenten. Aber es war, neben dem Sportler- Café, die vielleicht älteste Einrichtung, die von Studenten selbst organisiert und bewirtschaftet wurde. Was ist wohl daraus geworden?

Sie leben! Die FU-Studentencafés aus den Achtzigerjahren gibt es noch: Das PI-Café ...
Sie leben! Die FU-Studentencafés aus den Achtzigerjahren gibt es noch: Das PI-Café ...

© Thilo Rückeis

Um - zunächst - ganz generell zu verstehen, warum solche Cafés identitätsbildend sind und manchmal wie Rettungsanker funktionieren, muss man vielleicht einfach ein paar Minuten am Eingang der Rostlaube herumstehen. Die Pförtnerin und Wachschutzfrau lehnt lässig vor ihrem Kabuff. Es ist Freitag, da hat sie ein bisschen mehr Zeit zum Plaudern, weil wenig los ist, ansonsten stehen hier gerade am Semesterbeginn die Studenten Schlange. „Manche sind so verzweifelt, dass sie weinen“, sagt sie, „weil sie einfach nicht wissen, wo sie hin müssen.“

Damals wie heute betritt man, kommt man wiederum vom heutigen U-Bahnhof Freie Universität, früher Thielplatz, die Uni meistens von der Habelschwerdter Allee. Nach wie vor gibt es in der Rost- und Silberlaube die Straßen L, K und J, die jeweils mit einem farbigen Teppich gekennzeichnet sind. L ist blau, K ist rot und J, nun ja, war mal gelb Hoch über dem Boden des jeweiligen Gangs sind die „Straßenschilder“, die den Gang sozusagen nummerieren. Kommt man von der Habelschwerdter in die Rostlaube, beginnt man mit der Querstraße 32, am anderen Ende wiederum, also am Eingang zur Silberlaube, ist die Querstraße 23.

... und das Sportler-Café in der Rostlaube der Freien Universität (FU) an der Habelschwerdter Allee in Berlin-Dahlem.
... und das Sportler-Café in der Rostlaube der Freien Universität (FU) an der Habelschwerdter Allee in Berlin-Dahlem.

© Thilo Rückeis

Die Pförtnerin findet, dass der spezifische Geruch, wenn man hereinkommt, eher ein „Gestank“ sei. Ich finde, es riecht eher angenehm süßlich, es riecht nach eigenem Universum, aber es riecht nicht so übel. Früher war das schlimmer, vor allem, wenn man vor der Mensa hinabstieg zu den Toiletten. Damals war das auch ein Ort zum Innehalten, nicht nur wegen des Gestanks, sondern wegen der Wände, die nicht nur profan beschmiert, sondern auch mit philosophischen Weisheiten beschriftet waren.

Auf dem Klo fürs Leben lernen, das geht heute nicht. Heute herrscht Sauberkeit. Kein einziger bunter Klecks, alles ordentlich wie im Hotel. Und wenn man die Treppe herunterkommt, warten drei Kickerautomaten darauf, dass man mit ihnen spielt.

Überhaupt ist der Eingangsbereich vor der Mensa moderner geworden und verbraucherorientierter. Statt des leicht abgerockten Selbstbedienungscafés von damals gibt es nun ein „Seminarzentrum“. Das Café ist kleiner, feiner und als lange Bar davor platziert worden. Gegenüber der Unishop, den es damals auch schon gab - gut versteckt im Haus des Präsidenten. Heute ist die Verkäuferin pikiert, wenn man fragt, ob ein solcher „Fanshop“ mit T-Shirts, Taschen, Kapuzenpullis oder den üblichen Stiften und Kaffeebehältern gut laufe. „Natürlich, sonst würden wir das ja nicht machen.“

Überlebt hat das Restaurant „Galileo“ im ersten Stock, wo vermutlich nach wie vor eher die Lehrenden hingehen; Pizza oder Pasta fünf Euro, die Gerichte in der Mensa sind natürlich billiger. Neben dem offenen Info-Büro in der Mitte der Eingangshalle, bekommt man nun auch noch Schreibwaren und kann sich auf schicken Holzmöbeln ausruhen und am Laptop arbeiten.

Ausruhen - dazu gibt es die gleichen Möglichkeiten wie einst. Jetzt ist zwar die große, architektonisch eindrucksvolle Philologische Bibliothek dazugekommen, dafür mussten die Historiker mit ihrem Institut aus der Rostlaube ausziehen, aber so war das jetzt nicht gemeint mit Bibliothek und Ausruhen... Nach wie vor blüht zwischen Rost- und Silberlaube eine Art „Garten“ mit Ausruhwiesen, Bänken und der halbrunden Steinbühne hinter dem großen Hörsaal. Aber die studentischen Cafés, die vor allem während des damaligen Streiks für bessere Studienbedingungen vielfach entstanden? Fast alle weg...

Da ist jetzt das Café „Kauderwelsch“, sehr schick, sehr hip, mit gehobenen Preisen. Hier ist alles bio und ökologisch - aber es ist kein reines Studentencafé. Ich laufe hoch in den ersten Stock, roter K-Gang, Querstraße 25. Und tatsächlich, das Sportler-Café ist noch da. Hurra! Freundlich wie immer, ein bisschen chaotisch wie eh und je, und mit Sonnenterrasse! Brötchen, Kuchen, Obst - aber zum Glück kann man hier auch Gummibärchen und andere süß-saure Gummifreuden für die Nerven günstig kaufen. Nettes Gespräch am Rande ist gratis.

Während des Streiksemesters und nicht nur da, war das Café immer rappelvoll, war Begegnungsstätte und Wohnzimmer zugleich. Hier haben nicht nur die Sportis Freundschaften geschlossen.

Seit 1981 gibt es das Café, eine Institution! Und wenn man geradeaus vorbeiläuft bis zum Ende und dann noch eine Treppe höher steigt, signalisiert ein altes, handbeschriebenes Plakat die andere studentische Ikone: Das „PI“. Es lebt! Ich öffne die Tür, sehe gemütliche Sofas mit Überzug und werde von Caro empfangen. Sie ist Mitgründerin des PI, wie das Sportler-Café wurde es 1981 eingeweiht. Es hat zwei Terrassen. Auf der einen dürfen die Studenten sitzen, auf der anderen wird gegärtnert: Mais, Minze, Chili, Malven, Schnittlauch, Rucola, Johannisbeeren und vieles mehr. „Nur Gurken funktionieren nie“, sagt Caro, die mittlerweile einen 18-jährigen Sohn hat und nochmals studiert. Die Betriebswirtin hat sich ihre Jobs nach ihrem ersten Studienabschluss immer so eingeteilt, dass sie auch noch im PI arbeiten kann. „Der tollste Job der Welt“, findet sie.

Auf der Terrasse, wo auch die Gäste sitzen können, hat zudem jeder der sechs Mitarbeiter noch ein eigenes Beet, kann also, frei nach Vorlieben, anbauen, was er will. Was sich verändert hat? „Eigentlich wenig“, sagt Caro. Im Augenblick komme man am „Vegan-Trend einfach nicht vorbei“. Im PI gibt es zur richtigen Jahreszeit sogar eine Quiche aus eigenen Kürbissen. Aber die Studenten selbst seien dann doch so wie immer schon - ein bisschen verpeilt, manchmal ganz schön hilflos, aber auch sehr entschlossen, die „Welt ein Stückchen besser zu machen“.

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