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Frank-Walter Steinmeier beim Interview in seinem Bundestagsbüro in Berlin

© Doris Spiekermann-Klaass

Frank-Walter Steinmeier im Interview: "Zehlendorf ist unsere Heimat geworden"

Seinen Bundestagswahlkreis hat er in Brandenburg, aber er wohnt in Berlin-Zehlendorf: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Interview mit dem Zehlendorf Blog über Ruheorte, Promis beim Bäcker und politische Herausforderungen im Berliner Südwesten.

Herr Steinmeier, der Bundestagswahlkampf wird nach Ihrem kurzen Urlaub jetzt in die heiße Phase gehen. Wenn man wie Sie den ganzen Tag mit Terminen ausgelastet ist, welche Rolle spielt das Zuhause?

Eine sehr wichtige Rolle. Ich habe noch in Erinnerung wie das in der Zeit war, als meine Familie in Hannover wohnte, ich selbst in Bonn war und wir gleichzeitig in Berlin den Umzug der Bundesregierung vorbereitet haben. Das war furchtbar. Da war überhaupt kein Mittelpunkt mehr, keine Heimat und kein Ruheort.

Kameralegende Michael Ballhaus und die Schauspielerin Brigitte Grothum haben in Interviews unabhängig von einander gesagt, dass Zehlendorf für Sie ein Ort ist, an dem sie sofort abschalten können, wenn sie dort ankommen, egal wie intensiv sie vorher gearbeitet haben. Können Sie das nachvollziehen?

Ich habe mich mit Michael Ballhaus schon darüber unterhalten, wir kennen uns gut und sind miteinander befreundet. Manchmal treffen wir uns sogar zufällig beim Italiener. Ich kann das nachvollziehen, es ist so. Zehlendorf hat ein anderes Tempo als die Stadt. Es ist die Insel der Ruhe, die ich brauche.

Wann hört das Zehlendorf-Gefühl auf?

Im Prinzip dann, wenn ich ins Auto steige und ins Büro fahre oder zum Flughafen. Dann kommen schon die ersten Telefonate herein, ich beschäftige mich mit den Terminen des Tages, treffe absprachen. Da merke ich nicht, ob wir im Stau stehen oder gerade über die Avus nach Tegel fahren.

Und wenn Sie nach Hause kommen?

Dann ist es meistens dunkel, die Stadt ist leer, und da fällt einem der Wechsel der Temperamente zwischen den Stadtteilen nicht mehr so auf.

Ist Zehlendorf für Sie ein Wohnort oder schon Heimat?

Wenn ich zurückdenke, dann ist Zehlendorf jetzt schon der Ort, an dem ich als Politiker am längsten gewohnt habe, jedenfalls länger als die zurückliegenden Stationen wie etwa Bonn oder auch Hannover. In Zehlendorf wohnen wir jetzt mit der Familie 13 Jahre, unser Kind ist dort in die Kita gegangen und wurde in der schönen Dorfkirche in Zehlendorf Mitte neben der Friedenseiche eingeschult. Wir fühlen uns sehr wohl. Zehlendorf ist unsere Heimat geworden.

Sie können sich normal bewegen?

Ja, das ist sehr angenehm in Zehlendorf. Es gibt kein offensives Promigucken oder so. Es gibt eben doch einige Prominente dort, das ist normal. Das sind ja nicht nur Politiker, sondern auch viele Schauspieler, die man aus dem Fernsehen kennt.

Frank-Walter Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender
Frank-Walter Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender

© dpa

Viele Entscheider aus Politik, Wirtschaft oder Kultur wohnen in Zehlendorf. Sehen Sie die häufiger im Hotel oder am Flughafen als in Zehlendorf?

Nö, auch Sonntagmorgen beim Brötchenholen. Ich habe festgestellt, dass doch einige von denen am Sonntag zwischen 8 und 9 Uhr die gleichen Wege und Erledigungen machen. Die trifft man dann zum Beispiel am Teltower Damm vor dem Bäcker Wiedemann oder der Bio-Company, die haben nämlich beide um diese Uhrzeit auch am Sonntag geöffnet.

Sie haben gesagt, Sie haben sich Zehlendorf bewusst ausgesucht. Gibt es so etwas wie eine erste Erinnerung?

Ja, da war meine Familie noch nicht nach Berlin nachgezogen. An dem ersten Sonntag, nachdem ich ins Haus in Zehlendorf eingezogen bin, ging ich zu einem Bäcker, den es heute nicht mehr gibt, und habe dann einen bösen Fehler gemacht. Ich habe zwei Brötchen bestellt, und die recht aufgebrachte Kellnerin hat mir daraufhin erklärt: „Sonntags ham’ wa keene Schrippen, sondern nur Bagetten…“

Gibt es einen Ort, den Sie sehr schätzen oder mögen?

Ich mag die Dorfkirche gern. Und als unsere Tochter noch klein war, daran erinnere ich mich sehr gut, sind wir von unserem Haus über die Brücke an der S-Bahn bis in den Schönower Park gelaufen, am Spielplatz vorbei, und es endete immer unten an dem kleinen Teich, um die Enten zu füttern.

Es gibt Politiker, die Journalisten oder Kollegen beruflich zu sich nach Hause einladen. Gibt es bei Ihnen dienstliche Treffen in Zehlendorf?

Nein, das machen wir sehr selten. Wir haben einen breiten Freundeskreis, der in Berlin natürlich auch gewachsen ist, weil wir mit einem kleinen Kind ankamen, meine Tochter war damals knapp vier. Und da sind Beziehungen zu anderen Eltern gewachsen. Aber die haben mit dem Beruf Politik überwiegend nichts zu tun.

In Zehlendorf wird aber natürlich auch Politik gemacht, eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft hat die Mehrheit. Warum?

Das weiß ich auch nicht. Aber es hat sicherlich ein wenig mit der Zusammensetzung der Zehlendorfer Bevölkerung zu tun, die vielleicht etwas untypisch ist im Vergleich zur gesamten Stadt. Es ist nicht das ärmste Publikum, das ältere Publikum ist durchweg etwas konservativer, und das Jüngere etwas grüner. Aber das muss ja nicht auf ewig so bleiben. Die SPD hat unter Klaus-Uwe Benneter diesen Wahlkreis 2002 schon einmal im Bundestagswahlkampf gewinnen können.

Bürgerlich und ökologisch – da wäre Zehlendorf doch ein guter Ort für die SPD, um zu zeigen, dass man auch diese Klientel gewinnen kann. Als Pilotprojekt sozusagen.

Natürlich sollte das der Anspruch der SPD sein, diese Klientel für uns zu gewinnen und von unserer Politik zu überzeugen. Für mich persönlich hat sich die Frage des Wahlkreises allerdings nicht gestellt. Als ich mich entschieden habe, einen Bundestagswahlkreis anzustreben, war es Matthias Platzeck der dafür geworben hat, dass ich nach Brandenburg komme. Wir beiden sind eng miteinander befreundet, und deshalb habe ich seit langem auch eine Beziehung zum Brandenburger Umland und nicht nur zur Stadt Berlin.

Ein Leben ohne Politik in Zehlendorf. Wäre das denkbar?

Ein Leben ohne Politik kann ich mir zur Zeit nicht vorstellen - weder in Zehlendorf noch sonstwo!

Biografisches zu Frank-Walter Steinmeier

Der Sozialdemokrat wurde am 5. Januar 1956 in Detmold geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Politik. 1991 trat er als Referent für Medienrecht und Medienpolitik in die niedersächsische Staatskanzlei ein. 1993 übernahm er hier die Leitung des persönlichen Büros von Ministerpräsident Gerhard Schröder. 1994 stieg er zum Leiter der Abteilung für Richtlinien der Politik, Ressortkoordinierung und -planung auf. 1996 wurde er zum Staatssekretär und Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei ernannt. Im Anschluss an die Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler 1998 folgte ihm Steinmeier nach Bonn. Im November 1998 berief ihn Gerhard Schröder zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragten für die Nachrichtendienste. 1999 übernahm er das Amt des Kanzleramtsministers. In der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel wurde er Außenminister, bei der Bundestagswahl 2009 trat er als Spitzenkandidat seiner Partei an, im September 2009 wurde er zum Fraktionschef seiner Partei im Bundestag gewählt. Steinmeier ist seit 1995 mit der Verwaltungsrichterin Elke Büdenbender verheiratet, die er seit dem gemeinsamen Jurastudium kennt. Sie haben eine Tochter. Am 23. August 2010 kündigte er an, sich wegen einer Erkrankung seiner Ehefrau für einige Wochen aus der Politik zurückzuziehen, am folgenden Tag wurde ihm eine Niere entnommen und seiner Frau transplantiert.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Autor des Interviews ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin dieser Zeitung.

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