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Die Zeichen deuten und die Kurve kriegen - das muss der Koalition nach dem TXL-Volksentscheid gelingen.

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Flughafen-Debatte in Berlin: Wie es nach dem Volksentscheid weitergehen kann

Der Volksentscheid hinterlässt viele Verlierer. Rot-Rot-Grün muss und will sie ernstnehmen. Dass TXL offen bleibt, scheint trotzdem kaum denkbar.

Kommt nun das Volksbegehren für Neuwahlen? Zumindest am Sonntagabend, als sich der Sieg der selbst ernannten „Tegelretter“ über die rot-rot-grüne Abwehr zunächst deutlich abzeichnete und dann wegen Computerproblemen bei der Landeswahlleitung vage blieb, war keine Rede mehr davon.

Klar ist, dass alle irgendwie auf den Teppich kommen müssen - was schwierig wird. Schon vor der Auszählung war klar, dass die Zahl der Verlierer ziemlich groß sein wird. Entsprechend pfleglich sollten sie behandelt werden. In der rot-rot-grünen Koalition, wo sie angesichts der letzten Umfragen sogar auf einen knappen Sieg gehofft hatten, scheint den Akteuren bewusst, dass zur Schau gestellte Besserwisserei oder Basta-Rhetorik einen großen Teil der Stadtgesellschaft vor den Kopf stoßen würde. Ein unbedachtes Wort kann der Koalition ihren Haiti-Moment bescheren wie einst Klaus Wowereit, von dem sie sich nicht mehr erholt. Umgekehrt war es nie leichter für die Opposition, die Regierung als selbstherrlich und ignorant zu brandmarken. Das Etikett der Arroganz könnte kleben bleiben bis zur nächsten Wahl.

Die Koalitionäre mit forschem Mundwerk werden sich also zusammenreißen müssen. Es wäre zwar leicht, einfach zu sagen, dass die Abstimmung ja nicht die vielfach diskutierten, abschließend nur von Juristen zu klärenden Fakten geändert habe, sondern lediglich deren Rahmen. Aber es wäre wohl fatal.

Warum geht am BER, was in TXL unzumutbar ist? Eine Frage mit Sprengkraft

Vereinzelt sollen in den Reihen der Koalition Zettel herumgeschwirrt sein, auf denen je nach Abstimmungsergebnis verschiedene Szenarien skizziert waren. Aber die haben sie dann doch lieber weggeworfen. Irgendwas Grundsätzliches wird ihnen am späten Sonntagabend schon einfallen. Und sauber formulieren können sie ihre Position am Montag, wenn im Roten Rathaus der in dieser Woche turnusgemäß fällige Koalitionsausschuss zusammensitzt.

Die Lage für R2G ist insofern komfortabel, als sich alle drei Partner sehr einig sind. Das unterscheidet die Causa TXL beispielsweise vom nahenden Volksbegehren für mehr Videoüberwachung, mit dem die SPD überwiegend gut leben könnte, aber Grüne und Linke Probleme haben. Weiterhin komfortabel für die Koalition dürfte der Umstand sein, dass die Wut des Berliner Südostens in anderen Kiezen kaum wahrgenommen wird, also – im Unterschied zu den TXL-Anwohnern – eine Solidarisierung mit den Zigtausenden Lärmbetroffenen um Schönefeld überhaupt nicht stattgefunden hat. Dabei enthält die Frage, warum Treptow-Köpenicker erdulden sollen, was Pankowern und Spandauern nicht zumutbar ist, Sprengkraft.

Beim absehbaren Nein zur Schließung von Tegel wird Rot-Rot-Grün einen irgendwie gearteten Prüfprozess einleiten. Zum Beispiel könnten bisher nicht involvierte, womöglich auswärtige Experten das Gesamtpaket begutachten. Doch das geschähe in dem Bewusstsein, dass die juristisch wie emotional bereits vielfach erörterten Fakten längst auf dem Tisch liegen und die zwingend zu beteiligenden Gesprächspartner Brandenburg und Bund bei ihrem Nein zum Weiterbetrieb von Tegel bleiben. Neue Erkenntnisse, die tatsächlich eine Entfristung des Flugverkehrs am TXL nahelegen würden, scheinen den Koalitionären kaum denkbar – zumal sie stolz sind auf ihr sorgsam erarbeitetes Nachnutzungskonzept, das es für Tempelhof so nicht gab.

Rechtlich bindend ist ein Votum pro Tegel nicht

So dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach am Ende des erneuten, mindestens einige Monate währenden Prüfprozesses eine weitere hitzige Parlamentsdebatte mit harten Vorwürfen der Opposition stehen – aber auch die Empfehlung des Senats ans Parlament, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen und TXL zu schließen. Die rot-rot-grüne Mehrheit dafür steht felsenfest, und rechtlich bindend ist das Votum ohnehin nicht, da die Initiatoren keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt haben.

Den vom Verfassungsrechtler Helge Sodan ins Gespräch gebrachten Weg, die Landesentwicklungspläne mit Brandenburg zu kündigen, lehnt der Senat strikt ab: „Dann wären alle Bälle in der Luft und man weiß nicht, welche man überhaupt eingefangen bekommt“, beschreibt eine einflussreiche Linke die Situation. Zu den Bällen gehören die Verkehrswegeplanung sowie die Ausweisung von Bauflächen und der vor allem aus Berlin kommende Druck auf Brandenburg, endlich den Braunkohleausstieg vorzubereiten.

Dass Linke und Grüne bei dem Thema eher selbstbewusster auftreten als die SPD, dürfte mit deren Trauma der zweiten Tempelhof-Abstimmung zu tun haben: Nachdem Rot-Rot den ersten Tempelhof-Entscheid, in dem es um den Flugbetrieb ging, noch gewonnen hatte, war das stadtweite klare Votum gegen die Randbebauung des Tempelhofer Felds ein Misstrauensvotum, das die SPD und ihren damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller geschockt hat. Auch deshalb hat die SPD anfangs eher zaghaft pro TXL argumentiert, während die Linken das Thema selbstbewusster angingen. Dort schwang eher noch das Gefühl mit, dass man sowohl die rot-roten Sparrunden als auch das Volksbegehren Pro Reli heil überstanden hat.

Bleibt die Sache mit den Neuwahlen, bisher eine exklusive Forderung der FDP. Um sie zu forcieren, müssten die Liberalen ihr TXL-Projekt schon mit Zweidrittelmehrheit durchs Ziel bringen. Die Hürden für ein Volksbegehren „zur vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode“ sind deutlich höher als beim TXL-Entscheid: Im ersten Schritt müssten 50.000 (statt 20.000) Unterschriften gesammelt werden, im zweiten 500.000 (statt 175.000). Und bei dem Volksentscheid müssten weit mehr als 630.000 Wahlberechtigte für die Auflösung des Abgeordnetenhauses stimmen – bei mindestens 50 Prozent Beteiligung insgesamt.

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