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Im Flüchtlingsheim der AWO packt der Bosnier Himzo Durakovic an.

© Fabian Zander Repetto

Fluchtpunkt Berlin: Viele Flüchtlinge packen ehrenamtlich mit an

Viele Asylbewerber wollen nicht rumsitzen und abwarten. Sie engagieren sich als Helfer in den Heimen.

Drüben im Haus 3, rund 50 Meter weiter, ist ein Wasserhahn defekt. Also verschwindet Himzo Durakovic zwischen aufgestapelten Waschmaschinen, kaputten Fernsehern und einem verstaubten Plastiktisch. Mit einer Zange in der Hand taucht er wieder auf. Kurz rüber, von der Werkstatt ins Haus 3, zwei Minuten später dreht er am Gewinde. In der Werkstatt drückt sich inzwischen Tomislav Stefanovic in die Lehne seines Bürosessels und brummt: „Der macht das gut. Er ist pünktlich und zuverlässig.“ Durch eine Glasscheibe sieht er die kaputten Waschmaschinen und Fernseher.

Stefanovic ist Serbe, seit 15 Jahren in Deutschland, angestellt als Hausmeister im Flüchtlingsheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mitte in Kladow, für ihn ist drohende Abschiebung kein Thema. Durakovic ist Bosnier, er ist erst seit 16 Monaten in Deutschland, als Asylbewerber registriert, ihm droht die Abschiebung.

Ein Flüchtling, der keine Lust hat, im Zimmer auf Wände zu starren

Aber im Moment ist das nicht sein Thema. Sein Thema sind kaputte Wasserhähne, Müll auf dem Gelände, Möbel, die in Zimmern aufgestellt werden müssen, Jobs also, um die er sich kümmert. Durakovic ist Ehrenamtler, ein Flüchtling, der keine Lust hat, im Zimmer auf Wände und im Garten auf Bäume zu starren. Er möchte arbeiten, anpacken. „Ich würde mich krank fühlen ohne Arbeit. Und ich würde mich unendlich langweilen.“

Das ist der Kernsatz, der alle Flüchtlinge treibt, die sich freiwillig in Heimen engagieren. Es sind Hunderte, in jeder Unterkunft gibt es die Chance, anzupacken. „Wir sind dankbar für jeden“, sagt Manfred Nowak, der Vorsitzende der AWO Mitte. Die betreibt neben Kladow noch elf weitere Heime. „Wir haben so viel Arbeit, die können wir mit unseren eigenen ehrenamtlichen Helfern gar nicht komplett abdecken.“ Kleider sortieren, Brote streichen, Laub fegen, Müll wegräumen, Waren abladen, alles möglich. Einfache Arbeiten, von enormer Bedeutung.

Den Flüchtlingen geben die Jobs Selbstwertgefühl und Struktur im grauen Alltag, die Heimbetreiber können ihre Arbeit besser erledigen, und das Aggressionspotenzial in den Unterkünften sinkt. Wer ausgelastet ist, baut keinen Frust auf, der sich irgendwann entlädt.

„Die Gesamtatmosphäre bei uns ist angenehm, wir haben viel weniger Probleme als früher“, sagt Uli in seinem nüchternen Büro, in dem ein Drucker auf dem Schreibtisch steht und mächtige Bäume vor dem Fenster Tageslicht abhalten. Uli hat graue Wuschelhaare und ist Sozialbetreuer in Kladow. Und weil ihn hier alle nur als Uli kennen, auch wenn er schon 63 ist, möchte er auch nicht, dass sein Nachname genannt wird.

Erst wenn das Lageso grünes Licht gibt, darf ein Flüchtling ehrenamtlich arbeiten

Uli ist eine Schnittstelle für die Flüchtlings-Ehrenamtler, er koordiniert ihren Einsatz. Zu ihm kommen sie, wenn sie arbeiten wollen. Er kann dann aber nicht einfach sagen: „Bei der Gartenarbeit ist etwas frei“ oder „der Hausmeister sucht Hilfe“. Er muss die Namen der Freiwilligen ans Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) leiten. Dort wird geprüft, erst wenn das Lageso grünes Licht gibt, darf ein Flüchtling ehrenamtlich arbeiten. Das gilt für alle Heime in Berlin. Schließlich erhält jeder einen Euro pro Stunde. Ein symbolisches Gehalt. Voraussetzung ist natürlich, dass ein Bewohner registriert und damit versichert ist.

Wenn das Lageso zustimmt, beginnt für Uli die Feinarbeit. Er hat sieben Bereiche, in denen Ehrenamtliche helfen können, darunter Küche, Reinigung, Hausmeister, Dolmetscher, Garten. Jeder Bereich hat einen Mitarbeiter, der bei Uli Bedarf anmeldet. Zu den Hausmeisterdiensten melden sich meist Männer. Leute wie Durakovic, der mit seinen grünen Handschuhen und seiner Prinz-Heinrich-Mütze nach dem Wasserhahn in der Küche auch noch den Herd reparieren soll, weil eine Mutter mit Kleinkind im Arm darum bittet. „Wir haben mehr Interessenten als Arbeitsmöglichkeiten“, sagt Uli. Alle Freiwilligen bringt er nicht unter. „Die Arbeit muss ja auch Sinn machen.“ Die Frauen melden sich gern für Küchenarbeiten. Aber grundsätzlich sind die Ehrenamtler nicht groß wählerisch.

Oder er half Flüchtlingen, die ratlos auf Formulare starrten

Einen wie Edvis Musawi setzt Uli natürlich gerne als Dolmetscher ein. Musawi trägt einen Trainingsanzug mit dem Emblem des Fußball-Klubs St. Pauli. Eine Erinnerung an seine Zeit in einem Hamburger Heim. Da hatte er seine Landsleute aus Afghanistan ins Krankenhaus begleitet und Ärzten erzählt, wo es dem Patienten wehtut. Oder er half Flüchtlingen, die ratlos auf Formulare starrten.

Seit drei Monaten ist der 26-Jährige in Kladow, er spricht fast perfekt Deutsch, weil er es in Afghanistan bei einem Kurs der deutschen Polizei gelernt hat. Er hat auch für die deutsche und die afghanische Polizei gearbeitet. „Ich habe mich gleich gemeldet“, sagt er, inzwischen plant er sogar, Deutschkurse zu geben. „Er ist ein Gewinn für uns“, sagt Uli.

Aber auch für Flüchtlinge gibt’s natürlich Grenzen. Pädagogische Betreuung kommt nicht infrage. Dazu benötigten die Flüchtlinge ein polizeiliches Führungszeugnis. Überhaupt, alles was über einfache Jobs hinausgeht, sei kein Thema. Tomislav Stefanovic, der Hausmeister, lässt Durakovic nicht an die Elektrik, da geht es ja auch um Sicherheit.

Andererseits gibt es sogar steile Karrieren bei ehrenamtlichen Flüchtlingen. Bei der AWO Mitte meldete sich vor zwei Jahren ein junger Syrer names Ahmed als Helfer. Der lernte von Anfang an intensiv Deutsch und hinterließ bei den Verantwortlichen der AWO einen so guten Eindruck, dass die ihn vor einigen Monaten fest anstellte. Ahmed bekommt im Monat erheblich mehr Geld als Durakovic. Der Bosnier, Vater von drei Kinder, erhält 84 Euro im Monat. Und, was macht er damit? Durakovic zieht er paar Mal an einer imaginären Zigarette, dann grinst er. „Geht fast alles drauf für Tabak.“ Geld, um Geschenke für die drei Kinder kaufen zu können, bleibt trotzdem. Durakovic’ Frau arbeitet in der Küche.

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Wer wiederum den Flüchtlingen ehrenamtlich helfen will, kann die Hotline des Senats 390 88 399 anrufen oder im Internet unter www.ehrenamtsbibliothek.de nachschlagen, wo es welche Initiativen gibt.

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