zum Hauptinhalt
Kreuzberg-Szene aus "Herr Lehmann": Gib dem Produzenten Futter!

© Promo

Filmförderung in Berlin: Der Stoff, aus dem die Träume sind

Berlin hat sich zur deutschen Filmmetropole entwickelt. Regisseure und Produzenten buhlen hier um Fördergelder. Doch die Goldgräberstimmung an der Spree sorgt für Ärger in der Szene – nicht jeder kann genug bekommen.

Am Anfang braucht die Geschichte einen Helden, ein Schlitzohr, einen sympathischen Gauner. „Wir waren damals Outlaws“, sagt Koerner, „neu im Betrieb und am Mainstream vorbei.“ Florian Koerner von Gustorf, groß und breitschultrig, hat den Kopf zum Kojak rasiert. Gleichzeitig umspielt stets ein Schmunzeln seine Mundwinkel. Koerner könnte gut als Ermittler in den Kölner Tatort passen. Tatsächlich arbeitet er als Filmproduzent. Gemeinsam mit Michael Weber leitet er seit 1991 die Berliner Produktionsschmiede Schramm Film.

Die beiden haben Filme wie „Barbara“, „Jericho“ und „Dorfpunks“ produziert. Ihre Filme haben Grimme-Preise gewonnen, Bären auf der Berlinale und Lolas, die Trophäen des Deutschen Filmpreises. Schon längst sind die beiden Berliner Produzenten keine „Outlaws“ mehr. Koerner sagt nun: „Am Mainstream vorbei sind wir heute immer noch, aber in der Szene etabliert.“ Die Szene, das sind in Berlin vor allem jene, die der sogenannten „Berliner Schule“ zugerechnet werden.

Die Berliner Schule ist eine Eigenart, wie man an der Spree den deutschen Film interpretiert. „Naturalistisch und unverstellt“ nennt Koerner solche Filme. Filme, die nicht zuerst für den Markt produziert werden, sondern mit Blick für eine besondere Geschichte. „Die Regisseure haben den Anspruch, etwas gut zu erzählen. Einen Anspruch an die Wirklichkeit.“ Mitte der Neunziger traten Regisseure wie Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Schanelec als Aushängeschilder der Berliner Schule hervor. Alle kennen sich von der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB), die heute im Filmhaus am Potsdamer Platz residiert, alle haben schon mit Schramm Film gedreht. Und alle leben in Berlin. Die Produzenten in München, der ehemals unumstrittenen deutschen Filmmetropole säßen oft längst allein an der Bar, sagt Produzent Koerner.

Mit seiner Begeisterung für die Filmszene der Stadt ist er nicht allein. „Hier leben so viele Filmkreative auf einem Haufen“, sagt Kirsten Niehuus. Nirgendwo sonst in der Republik fände man so ein breites Spektrum, das sich hier realisieren lasse, „vom Highend-Kino über Mainstream-Produktionen bis hin zu Hollywood-Blockbustern“. Niehuus leitet die Abteilung Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB).

Wenn die Geschichte einen Helden braucht, so braucht sie auch jemanden, der dem Helden den Weg weist. Kirsten Niehuus ist so jemand, eine, die für Ordnung sorgt. Man kann sie sich als Grande Dame im Saloon vorstellen, eine, die auch alten Haudegen den Whisky immer mit einem „Trau dich, Bürschchen“ über die Theke schiebt. „Wenn ich meine Arbeit beschreiben müsste“, sagt sie, „wäre Rohstofflieferant wohl der passende Begriff. Wir ernähren Filme.“

Knapp 24 Millionen Euro hat das MBB im letzten Jahr in die Filmförderung gesteckt. 460 Anträge habe es gegeben, „plus einmal täglich ein ‚Ich habe da ein tolles Drehbuch’-Anrufer“, sagt Niehuus. Bewilligt wurde die Förderung bei 269 Filmprojekten. Die Filmbranche sei die wirtschaftskräftigste Kreativbranche der Hauptstadt. Rund 4000 Drehtage habe es 2012 in Berlin und Brandenburg gegeben, also fast elf Produktionen – vom Werbefilm bis zum Hollywood-Dreh – täglich. Jede vierte davon war mit MBB-Geldern bezuschusst.

Schaut man sich in Berlins Filmlandschaft um, dann gibt es ein klares Setdesign: Staatliche Förderinstitute wie das MBB und die Filmförderanstalt des Bundes (FFA) gehören dazu. Sie sind das Geld. Ebenso die Filmakademie dffb oder auch die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam. Sie sind das Talent. Und Produktionshäuser wie Schramm Film oder auch zero fiction, Badlands Film oder Boje Buck – die etwa 2003 den Kreuzbergfilm „Herr Lehmann“ in die Kinos brachten. Sie sind der Klebstoff, der das eine mit dem anderen vereint. Und gleichzeitig sind sie jene, die immer wieder aufs Neue bei Leuten wie Kirsten Niehuus um Aufmerksamkeit buhlen müssen.

Produzent Koerner beschreibt das am liebsten anhand einer Filmszene: der Showdown im Clint- Eastwood-Western „Zwei glorreichen Halunken“. Es gibt – so auch der Originaltitel „The Good, the Bad and the Ugly“ – einen guten Kerl, einen Bösewicht und einen Tunichtgut. Alle drei suchen auf einem Soldatenfriedhof nach einer versteckten Regimentskasse, gefüllt mit 200 000 Dollar. „Nehmen wir an, das vergrabene Gold ist die Filmförderung“, sagt Koerner. „Und Clint Eastwood, der Gute im Film, weiß, wo die Moneten vergraben sind.“ Fakt sei: Alle wollen den Schatz, aber nicht alle können ihn bekommen. Im Showdown springt die Kamera immer wieder zwischen den drei Antagonisten hin und her, zeigt Augenpaare, Revolvergürtel, nervöse Fingerkuppen. Dann zieht Eastwood als Erster und erschießt den Bösen. „Die Frage ist“, sagt Koerner und schiebt seine Kommissar-Mundwinkel in die Höhe: „Wer ist der Böse?“

"Kennst du Kir Royal?" - Über Platzhirsche und Außenseiter

Mario Adorf tanzt in der Erfolgsserie "Kir Royal" auf den Tischen: "Wer reinkommt, ist drin"
Mario Adorf tanzt in der Erfolgsserie "Kir Royal" auf den Tischen: "Wer reinkommt, ist drin"

© dpa

Aus der Sicht von Karsten Seiler ist das leicht beantwortet: „Der Berliner Produzentenmarkt ist klar geteilt: Es gibt die Platzhirsche und es gibt den Rest.“ Die Platzhirsche, das sind Produzenten wie Koerner, die seit Jahren den Markt dominieren, die Fördergelder einstreichen, die Filmpreise kassieren. Seiler würde nicht so weit gehen, sie zu Bösewichten zu machen. Aber durch ihre Dominanz lassen sie wenig Raum für andere Gute.

Seiler ist einer, der zum Rest gehört. Er hat mit seiner Frau bereits vor einigen Jahren eine Produktionsfirma gegründet. Sie sitzen in ihrem Büroraum in Schöneberg, seine Frau lässt die Katze durch die Gartentür hinein. Beide machen nicht den Eindruck, als wären sie schlechte Verlierer, die hier über die Branche herziehen wollen. Sie wirken viel mehr wie ein aufgeräumtes Lehrerpaar. Wenn es in der Geschichte Helden und Sheriffs gibt, dann sind die Seilers wohl die Nebenrollen, ohne die eine Handlung, ein Getriebe, nicht funktionieren kann. Auch ihre Filme erhalten Fördergelder, auch ihre Filme erhalten Preise. Aber es sind die kleinen Festivals, die sie ansteuern und die EU-Förderstellen, die sie anzapfen.

„Hier in Berlin Gelder zu bekommen, ist wie ein Eiertanz ums goldene Schaf“, das habe mehr mit Gesehen-Werden denn mit Talent zu tun. Weil Seiler auch selbst gesehen werden will und muss, bat er, in dieser Geschichte nicht unter seinem richtigen Namen aufzutauchen.

Auch er denkt an eine Szene, wenn er beschreibt, wie in Berlin Film funktioniere: „Kennst du ‚Kir Royal’, den ersten Teil der Serie?“ Er spiele zwar in München, passe aber auch prima an die Spree. Dort tanzt eine illustre Gesellschaft Abend für Abend in den Szenelokals der Stadt, Society-Reporter Baby Schimmerlos notiert in seiner Kolumne, wer zu den Auserwählten gehört. Wer nicht, der muss sich an den Fensterscheiben der Lokale die Nase platt drücken. „Der Zugang in diese Runde ist irrsinnig kompliziert“, sagt Seiler über die Berliner Filmszene, man brauche das richtige Projekt zur richtigen Zeit und dann die richtigen Beziehungen, um es sichtbar zu machen. Sein Konkurrent Koerner formuliert es anders: „Berlin ist eine Stadt mit großem Nachwuchs, aber nur wenigen etablierten Playern.“ Die „Kir Royal“-Folge, an die Seiler dachte, heißt „Wer reinkommt, ist drin“ – „und das passt als Motto perfekt auf die Förderkultur der Hauptstadt“, sagt er.

Über die Millionenetats der Filmförderung entscheiden in Deutschland nur wenige. Um einen Film zu produzieren braucht man meist eine Mischfinanzierung aus mehreren Einnahmequellen. Fernsehsender, von der ARD und dem ZDF bis zu den Privaten, sind auch für Kinofilme meist die stärksten Geldbringer. Dann folgen die staatlichen Förderinstitute, sie sind föderal nach Bundesländern organisiert. Die Institute verteilen Gelder aus Steuermitteln als bedingt rückzahlpflichtige Darlehen; ist ein Film kommerziell erfolgreich, zahlt er seine Fördersumme in den Topf zurück. Zudem knüpfen die Förderstellen ihre Ausschüttungen an Auflagen. Der MBB stellt die Bedingung, in Berlin oder Brandenburg zu produzieren. Je mehr hiesige Drehorte man als Produzent verbuchen kann, indem man zum Beispiel die Mark Brandenburg zur Normandie macht oder den Tiergarten zum Central Park, desto mehr Gelder kann man kassieren. Die Entscheidung, wer eine Förderung erhält, treffen nur wenige.

Nach welchen Kriterien dabei entschieden wird, inwiefern öffentliche Gelder helfen können, ein Drehbuch besser zu machen oder einem Produzenten mehr Spielraum zu geben, ist von Fall zu Fall verschieden. Und nicht unumstritten: Als „Schwellenwacht“ bezeichnet Produzent Seiler etwas abfällig die Arbeit von Kirsten Niehuus und ihren Kollegen beim MBB: „Die fördern lieber den nächsten Schweighöfer-Film, als einmal eine Arthouse-Produktion zu berücksichtigen.“ Niehuus, die in der Tat über das Gelingen eines Filmes mitentscheiden kann, noch bevor die erste Filmminute gedreht ist, entgegnet, sie müsse versuchen, sich vorzustellen, welcher Film Potenzial habe, eher auf Festivals zu laufen – oder eben „ein Popcorn-Event“ zu werden. Man fördere im Medienboard daher breit, mit „Commitment zum Weltkino“. Will heißen: Potenzielle Blockbuster wie „Die Vermessung der Welt“ oder „Feuchtgebiete“ werden genauso berücksichtigt wie kleine Independent-Produktionen.

Die Konkurrenz für die einheimischen Produzenten wird dabei immer größer: Zunehmend schaut man beim MBB auch weit über Berlins Ränder, um neue, interessante Talente zu entdecken. Zuletzt fand Kirsten Niehuus eine saudische Regisseurin, deren Debüt „Wadscha“ im Sommer in die deutschen Kinos kommt. Gedreht wurde in Saudi-Arabien, die Postproduktion holte man nach Berlin. Und noch etwas behindert Newcomer: Trotz aller Nachwuchsförderung könne man große Namen, die in Berlin immer öfter auf den Anträgen stehen, nicht ignorieren, so Niehuus. „Ich kann ja nicht so tun, als habe ich noch nie von Buck, Schweiger oder Petzold gehört.“

"Manchmal fühlst du dich wie in 'Django Unchained'!"

In der Tat steht Til Schweiger für einen Typus des erfolgreichen Großproduzenten, den Berlin noch nicht lange kennt. Seit einigen Jahren stemmt der seine Filme fast in Personalunion: Drehbuch, Regie und Hauptrolle übernimmt Schweiger komplett, seine Firma Barefoot Films produziert. Am Ende kommt ein Film ins Kino, den Kritiker belächeln, den das Publikum aber liebt. „Kokowääh“, die letzte Schweiger-Komödie, schaffte vor zwei Jahren vier Millionen Kinozuschauer. Am Donnerstag, zum Start der Berlinale, kommt „Kokowääh 2“ auf die Leinwand. Matthias Schweighöfer, seit letztem Jahr in Schweigers Fußstapfen als Pocornkino-Allrounder, lockte mit seinem „Schlussmacher“ in den ersten vier Wochen bereits 1,5 Millionen Besucher in die Kinos.

Schweiger und Schweighöfer entsprechen wohl in den Augen vieler kleiner Produzenten am ehesten dem klassischen Filmbösewicht: Greift die Gelder ab, obwohl er sie nicht nötig hat, und hat auch noch Erfolg damit. Aber: Die Erträge der Blockbuster sind groß genug, dass sie ihre vom MBB und anderen Anstalten erhaltenen Fördergelder komplett in die Fördertöpfe zurückzahlen.

Doch wie entsteht nun ein erfolgreicher Film? Für Produzent Koerner sind große Namen keine sichere Bank. „Wer versucht, in erster Linie etwas Kommerzielles zu drehen, der floppt“, sagt Produzent Koerner. „Es gibt keinen guten Film ohne einen guten Stoff.“ Zuletzt schmunzelte die Berliner Filmszene über „Cloud Atlas“, eine deutsch-amerikanische Koproduktion. Tom Hanks und Halle Berry spielten mit, Tom Tykwer führte mit den Wachowski-Geschwistern Regie. Mit 100 Millionen Dollar Produktionskosten ist „Cloud Atlas“ der bislang teuerste deutsche Film. Zehn Millionen Euro hat der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) beigesteuert, 4,3 Millionen kommen aus den Ländern hinzu. Das Medienboard Berlin-Brandenburg ist mit 1,6 Millionen Euro Fördergeldern der größte lokale Unterstützer, noch nie wurde im Haus eine größere Summe für einen Film bewilligt. Doch ein Erfolg des Films blieb aus: Erst nach mehreren Monaten Laufzeit hat "Cloud Atlas" die Produktionskosten eingespielt. Tatsächlichen Umsatz muss nun der DVD-Verkauf liefern.

Filme machen und fördern bleibt also immer ein Stück weit Glücksspiel, das weiß auch Kirsten Niehuus. Wenn dann ein Film Erfolg hat, „dann fühlst du dich wie in ,Django Unchained’“, sagt sie: entfesselt, erregt, ein bisschen unbesiegbar. Eben wie im neuen Western von Quentin Tarantino, der den Aufstieg des Titelhelden vom unsicheren befreiten Sklaven zum stolzen Cowboy im Sattel zelebriert. Die Liebe zu Westernmetaphern, bei Niehuus wie bei Produzent Florian Koerner scheint sie nicht von ungefähr zu kommen. Es sind Filme über jene, die vom großen Glück träumen. Und Filme über jene, die sich ihr Glück holen. Aber oft auch Filme, die zeigen, was passiert, wenn zu viele am gleichen Ort nach Gold schürfen. Der Western beschreibt ziemlich gut, was es heißt, im Berliner Filmbusiness mitzumischen.

Vielleicht liegt es auch an dieser anhaltenden Goldgräberstimmung, dass Koerner mit Schramm Film ausgerechnet einen Western in die 63. Berlinale schickt. „Gold“ unter der Regie von Thomas Arslan spielt 1898 zur Zeit des Klondike-Goldrausches und erzählt die Abenteuer deutscher Auswanderer in Kanada. Es ist der einzige deutsche Film im Rennen um den Goldenen Bären.

Schramm Film hatte das ganze 30-köpfige Team nach Kanada geflogen, erst die Postproduktion fand in Berlin statt. In der Wildnis zu drehen war für Produzent Koerner großartig. Es mache auch nichts, wenn das nicht mehr die Berliner Schule der Neunziger ist. „Hauptsache, man bleibt der Grundidee seines Films treu.“ Und auch MBB-Frau Niehuus lobt das Projekt: „Übersee statt Brandenburg, Berliner Schule geht doch überall!“ Allein Independent-Produzent Seiler kann nur den Kopf schütteln. Zur Berlinale, auf den ganzen Partys rund um die Filme, werde sich die „Bussi-Gesellschaft“ gegenseitig immer wieder sagen, dass alles blendend ist. Der Saloon zelebriert seine Helden. Bösewichter gibt es nicht.

Zur Startseite