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Toll! Super! Ist das jetzt eine Manipulation oder eine ernst gemeinte Anerkennung? Pädagogen wollen Eltern davon abhalten, ihre Kinder zu „Lob-Junkies“ zu erziehen.

© Monika Skolimowska/dpa

Familie und Erziehung: Kann man Kinder zu viel loben?

Erziehungsratgeber und Studien warnen Eltern davor, ihren Kleinen zu oft auf die Schulter zu klopfen. Manche Eltern lassen sich davon verunsichern. Wie viel Anerkennung ist richtig? Und was meinen Sie dazu?

„Gut gemacht!“ „Toll!“ „Sehr schön!“, möchte man als normal stolze Mutter, normal stolzer Vater seinem Kind regelmäßig zurufen. Wenn es die ersten Schritte macht. Wenn es endlich alleine das Klettergerüst hochkommt. Und besonders, wenn es einem voller Freude die ersten Kunstwerke präsentiert oder eine gute Schulnote nach Hause bringt.

Aber halt! So manches Elternteil hat sich vielleicht in letzter Zeit verunsichert auf die Zunge gebissen und überlegt: Was hat eine Mutter da neulich in der Pekip-Gruppe erzählt? Und hat nicht eine Grundschullehrerin gerade davon gesprochen, dass sie eigens eine Fortbildung zum Thema „Loben“ belegt hat? Und hat sie nicht berichtet, dass sie seitdem lieber „neutral kommentiert“, was die Kinder machen? „Ah, du bist auf das Klettergerüst geklettert.“ „Oh, ich sehe, du hast ein Bild gemalt.“ Aber was soll das eigentlich? Ist Loben etwa schädlich?

Tatsächlich gibt es seit einiger Zeit eine Art neues Mantra in der Ratgeberliteratur über Kindererziehung und Pädagogik: Lob sei manipulativ. Es mache abhängig und hemme den Erfolg. Von "Lob-Junkies" ist die Rede. Das seien Kinder, die bis ans Ende ihrer Tage auf einen „Schulterklopfer“ angewiesen sind, wie es in einem Artikel einer Elternzeitschrift heißt.

Negativbeispiel sind amerikanische Eltern

Afrikanische und asiatische Kulturen, in denen weit weniger – teilweise gar nicht – gelobt wird, dienen als Beleg dafür, dass das Leben auch ohne Loben funktioniert. Negativbeispiel sind in allen Ratgebern die USA. Dort werde „inflationär“ gelobt. Amerikanische Eltern finden angeblich alles toll, was ihre Kinder machen, und klappt einmal etwas nicht, dann gaukelten sie den Kindern durch ein Beim-nächsten-Mal-wird‘s-bestimmt-besser vermeintliche Fähigkeiten vor, die sie nicht besitzen.

Interessant ist, dass es hauptsächlich Wissenschaftler US-amerikanischer Universitäten sind, die mit Studien in regelmäßigen Abständen belegen, dass Loben auch schädlich sein kann. So fanden Forscher der Universität Florida heraus, dass Schüler, die ausgiebig für die Beantwortung einer Fragestellung gelobt wurden, in späteren Tests schlechter abschnitten, als ihre Mitschüler, denen recht neutral ihre Ergebnisse präsentiert wurden. Eine weitere Studie geht davon aus, dass überschwängliches Lob schüchterne Kinder zu stark unter Druck setzt und demotiviert.

In Deutschland loben wir zu wenig, zeigen Studien

Der Erziehungswissenschaftler Hansjörg Neubert hält dagegen: Das Problem, dass Eltern ihre Kinder zu viel lobten und ihnen dadurch einen Schaden fürs Leben mitgeben könnten, sieht er nicht. Das Gegenteil sei eher der Fall: „Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass in Deutschland im menschlichen Umgang nach wie vor viel zu wenig gelobt und zu viel kritisiert wird.“ Das gelte sowohl für die Kindererziehung als auch für den Umgang unter Erwachsenen, sagt Neubert, der den Arbeitsbereich Theorie von Erziehung, Bildung und Unterricht an der FU-Berlin leitet. Dabei sei Lob für das Selbstwertgefühl existenziell.

„Wir ziehen aus dem Lob die Anerkennung der eigenen Person. Ein Kind, das gelobt wird, das wird gesehen, das wird wahrgenommen“, sagt er. Durch das Lob merke es, dass es durch sein Handeln etwas bewirken könne. Der 2015 verstorbene Psychoanalytiker Arno Gruen formulierte es so: „Sich selbst angenommen zu fühlen durch die Liebe eines anderen, ist eine Grundbedingung des menschlichen Wachsens.“

Passiert dies nicht – wendet sich der Erwachsene etwa ab und ignoriert das Kind –, trägt es seelische Schäden davon. Es wird im schlimmsten Fall keine eigene Identität entwickeln können und das eigene Selbst aufgeben. „Hat man den Bezug zum eigenen Inneren verloren, dann kann man sich nur auf ein verfälschtes Selbst beziehen“, schreibt Gruen in seiner Theorie der „menschlichen Destruktivität“. Laut Gruen ist es diese „Unfähigkeit, in sich selbst zu wurzeln“, die später „zerstörerisches“ Verhalten hervorruft.

Pädagogikprofessor Neubert sagt: „Jeder Mensch giert nach Anerkennung.“ Dennoch gilt: Je gefestigter eine Persönlichkeit ist, desto weniger ist diese von der Meinung und Zuneigung Außenstehender beeinflussbar. Ein Kind, das sich noch am Anfang seiner Identitätsbildung befindet, benötigt im Alltag noch sehr viel Bestätigung. Anders als ein Erwachsener, der auf positive Erfahrungen seines Lebens zurückgreifen kann. „Nur ein Mensch, der vollständig in sich ruht, vollständig autonom ist und seine eigene Sicherheit aus sich selbst nimmt, der braucht kaum noch Lob“, sagt Hansjörg Neubert. Doch wer könne das schon von sich behaupten?

Die Anerkennung muss echt und ehrlich sein

Auch dass Lob demotivierend wirkt, wie manche Studien nahelegen, würde der Erziehungswissenschaftler nicht bestätigen. „Überprüfen Sie es bei sich selbst!“, rät er. „Also mich motiviert Lob ungemein. Es spornt mich an, es weiter so und sogar noch besser zu machen.“ Gemeint sind damit aber keine „übertriebenen oder theaterhaften Gesten“, sondern eine authentische Anerkennung. „Das Lob muss inhaltlich sein. Es muss ehrlich gemeint sein und darf nicht floskelhaft wirken.“ Kinder spürten schon in sehr jungen Jahren, ob man sich mit ihnen ernsthaft beschäftigt oder ob ein Interesse „nur gespielt“ sei.

Man müsse auch nicht inflationär loben, jede Banalität des Alltags wohlwollend kommentieren – das ist auch die Art Lob, die der bekannte Familientherapeut Jesper Juul in seinen Büchern kritisiert oder was manchmal als „falsches“ Loben in Abgrenzung zum „richtigen“ Loben beschrieben wird.

Über eine genaue Wortwahl, wie sie viele Erziehungsratgeber vorformulieren („Oh, hast Du dieses Bild etwa für mich gemalt“, „Das ist bestimmt ganz schön aufregend da oben auf dem Klettergerüst!“), sollten sich Eltern laut Neubert dennoch nicht zu sehr den Kopf zerbrechen. „Worte sind nur ein Teil unserer Kommunikation. Mimik und Gesten sind gerade bei der Frage nach Lob und Tadel besonders entscheidend“, sagt er. Ein Lächeln, ein Augenzwinkern, eine Umarmung könne einem Kind genauso – manchmal noch besser – signalisieren, dass Eltern es tatsächlich in seinem Wesen und Wirken wahrnehmen.

Nehmen Eltern selten Blickkontakt auf, sind Stimme und Gesichtsausdruck, oft abwehrend, nehmen sie ihrem Kind hingegen das Selbstwertgefühl. Die Mutter oder der Vater sind nicht mehr greifbar. „Sich abzuwenden, das Kind zu ignorieren, sind mit das Schlimmste, was man einer Person, die am Anfang ihrer Entwicklung steht, antun kann“, sagt Neubert. Darüber sind sich Pädagogen, Psychologen und andere Erziehungsexperten einig. Solange die Haltung der Eltern „empathisch“ und „zugewandt“ ist, können Eltern in Fragen der Erziehung gar nicht so viele Fehler machen, wie viele befürchten, sagt Neubert.

Dass Eltern Erziehungsratgeber lesen, findet er dennoch richtig. Es sei immer wichtig, sein eigenes Handeln zu reflektieren und sich Impulse von außen zu holen. Nur wie man es dann tatsächlich macht, entscheidet am Ende der gesunde Menschenverstand.

Und was meinen Sie? Loben wir unsere Kinder zu viel oder zu wenig? Schreiben Sie uns an familie@tagesspiegel.de oder nutzen Sie die Kommentarfunktion.

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