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Wie hypnotisiert. Wenn Kinder so beschäftigt sind, stört sie kein Stau. Aber wenn dann am Strand weiter gestarrt, gewischt und getippt wird, verbringt die Familie den Urlaub plötzlich nebeneinander statt miteinander. Auch Eltern haben ihr Smartphone häufig in der Hand. Sie sollten mit gutem Beispiel voran gehen und es öfter weglegen.

© Getty Images/iStockphoto

Familie: Das Smartphone fährt mit

Telefone und Tablets gehören zum Familienleben. Bald geht’s in die Ferien – und Eltern freuen sich über Ruhe auf dem Rücksitz. Oder ist es zu ruhig? Das Starren auf Bildschirme kann im Urlaub leicht überhandnehmen. Es hilft, vorher klare Regeln festzulegen.

Bald ist es wieder so weit – die Fahrt zum Urlaubsort: In vielen Autos wird es mucksmäuschenstill sein, obwohl Kinder an Bord sind! Mehrere Stunden wird keins auch nur ein Wort sagen, weil alle mit ihrem Gameboy, dem Handy oder Tablet beschäftigt sind. Verglichen mit gerätefreien Urlaubsreisen, bei denen es – zumindest in meiner Familie – meistens zuging, als hätte man eine Horde Schimpansen geladen, fährt es sich so natürlich viel entspannter. Aber gleich so ruhig? Dabei sind sie doch wach! Als sie kleiner waren und keine Geräte besaßen, stritten sie, spielten „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Wir bildeten Wortketten, rieten Autokennzeichen, wetteten auf Autofarben. Notfalls rettete ein großes Eis für jeden die Stimmung. Oder Süßigkeiten, die ich in meiner Verzweiflung mit vollen Händen nach hinten warf. Zu jener Zeit fuhr ich lieber nachts mit schlafenden Kindern als tagsüber bei Hitze im Stau. Wenn Kinder mit Smartphone und Co. beschäftigt sind, können Eltern jederzeit losfahren – und der Weg kann sich ziehen, wie er will, die Kinder sind ruhig. Zu ruhig. Als wären sie gar nicht da. Gameboy, Handy und Tablet sind zur elektronischen Fußfessel geworden und haben die Kinder in ihren Bann gezogen – und den Erwachsenen Ruhe verschafft, sich auf Verkehr und Route zu konzentrieren. Vorne flimmert das Navi, hinten wird gesurft, gechattet, gespielt. Wie sonst den langen Weg bis nach Kroatien, Südfrankreich oder an die Ostsee überstehen? Oder von dort wieder zurück? Und was ist, wenn die Familie angekommen ist?

In der Zeit, bevor die Geräte in ihr Leben traten, sahen die Ferien meiner Kinder so aus: vor dem Ferienhaus Fußball spielen, mit Schwemmholz basteln, am Strand ein Feuer machen, Muscheln sammeln, Brettspiele spielen: Memory, Monopoly oder eine Runde Kniffeln. Damals hatten sie dabei – und ich mit – enormen Spaß. Seit Smartphone, Tablet und Gameboy mit von der Partie sind, hat sich das komplett verändert – vor allem, wenn im dänischen Ferienhaus das W-Lan-Netz bis an den Öresund reicht. Im Geiste sehe ich die Kinder still, wie hypnotisiert, dasitzen und auf die winzigen Bildschirme starren, diese Dinger, die Kinder davon abhalten, die Welt ringsum zu entdecken. Angeblich ist Kindern in den Ferien die Zeit, die sie mit den Eltern verbringen, am wichtigsten. So steht es in vielen Elternratgebern. Aber wie wichtig genau? Miteinander oder nur nebeneinander? Wenn das Wischen, Tippen und Klicken am Strand so weitergeht wie im Auto, wird nichts aus den gemeinsamen Unternehmungen. Die Kinder sind online und signalisieren klar Abwesenheit, den Blick auf das Handy geheftet, die Ohren verstöpselt. Die Familie ist zwar endlich mal gemeinsam unterwegs, doch jeder bleibt für sich.

So richtig hat langfristig noch keine Regel funktioniert

In den Ferien rächt es sich stets, dass ich im Alltag zuvor die Verhandlung der Online-Regeln habe schleifen lassen. Aber was habe ich nicht alles versucht: Ein bisschen! Nur nach den Hausaufgaben! Nur außerhalb des Küchentischs! Flugmodus beim gemeinsamen Abendessen! Totalverbot! Taschenkontrolle! So richtig funktioniert hat keine Regel langfristig. Zu ambivalent ist das Verhältnis zu den Geräten: Smartphone, Tablet und Konsole – sie können stören, aber auch Spaß machen und hilfreich sein. Jeder Gegenstand ist so sinnvoll wie der Gebrauch, den man von ihm macht. Das Ganze braucht Regeln. Aber welche? Darüber kann man richtig schön streiten, ergebnisfern und stundenlang.

Schon klar: Auf den ersten Blick sind Verbote die einfache, unintelligente Lösung. Ein Ausdruck der Hilflosigkeit, weil die Verbieter nicht an die Überzeugungskraft eines gutes Arguments glauben. Sie setzen auf Zwang und haben noch dazu die Macht, ihre Ansagen durchzudrücken. Auf den zweiten Blick ist die Sache komplizierter: Ganz ohne Verbote und Regeln funktioniert gar nichts. Nicht mal Ferien. Darüber muss man reden, und zwar so lange, bis eine einvernehmliche Lösung steht. Weg von dem, was verboten ist, hin zu dem, was nutzt: Kinder und Eltern (und außerhalb der Ferien auch Lehrer) müssen das gemeinsam regeln. Aber wie? Mal ehrlich: Wir wollen uns doch alle ein Leben ohne Handy kaum noch vorstellen. Es ist ungeheuer hilfreich, per SMS kurz Bescheid sagen zu können, wenn es länger dauert. Es ist manchmal ein Segen, auch unterwegs erreichbar zu sein oder in langweiligen Momenten kurz die Mails checken zu können. Es macht Spaß, witzige Fotos und Filmchen auf Whatsapp rumzuschicken. Und es ist so praktisch, Terminkalender und Navi, Stoppuhr, Kamera und Wasserwaage immer dabeizuhaben. Kinder sind mit all dem aufgewachsen, woran wir uns auch längst gewöhnt haben. Und da soll es in den Ferien komplett verboten werden? Das wirkt merkwürdig realitätsfern und aus der Zeit gefallen.

Die Regeln müssen auch für die Eltern gelten

Am besten läuft es mit schlichten Idealen und Regeln als Wegweiser, weder repressiv noch diktatorisch. Das Schwierige: Die Regeln müssen für alle gelten - auch für die Eltern. Dass gemeinsam erstellte Vorgaben funktionieren, merkt man, wenn Kinder ihre simsende Mutter erinnern, dass es doch eine Regel gibt.

Die Situation mit Tablets und Handys ist aber so neu, dass es Familien noch nicht gelungen ist, eine Kultur zu entwickeln. Mit dem Fernsehen hat das ja auch gut fünfzig Jahre gedauert. Wenn es ums Telefon ging, habe ich noch als Kind von meinen Eltern gelernt, das Klingeln als strikten Befehl zu verstehen, was auch immer man gerade tat, sofort zu unterbrechen und ranzugehen. Noch heute kostet es mich Überwindung, nicht abzuheben, wenn es gerade nicht passt. Wie kann ich da von den Kindern verlangen, das Pling beim Eintreffen einer neuen Nachricht zu ignorieren? Nur, weil wir vielleicht gerade gemeinsam essen, zusammen in den Urlaub fahren oder Treibholz für ein Feuer sammeln?

Zum Glück ist noch ein bisschen Zeit bis zu den Ferien, um darüber zu reden und zu vereinbaren, was geht und was nicht. Man könnte mutig ein generelles Abschalten vorschlagen und sich dann langsam runterhandeln lassen. Familien können bestimmte Zeiten vereinbaren, die auf jeden Fall offline, analog und miteinander in Echtzeit verbracht werden müssen, aber auch eine tägliche Medienzeit verabreden, in der es okay ist, Mails zu lesen, zu spielen, im Internet zu surfen, zu chatten. Oder ich verbiete die Geräte einfach ganz und halte einfach das Protestgeschrei aus, hoffe darauf, dass die Kinder in der realen Welt auftauchen, sich wieder an längere Zeiten offline gewöhnen und das auch schätzen lernen.

Ein Ausrutscher - was ist denn schon dabei?

Und was mache ich selbst, wenn mich auf der Fahrt in den Urlaub ein helles Pling aus den Gedanken reißt? Werde ich das Signal tapfer ignorieren können? Mir den schnellen Blick auf mein blinkendes Handy verkneifen und mich auf die Straße konzentrieren? Ich werde meist schwach, wenn der Verkehr zum Stillstand kommt. Und ich weiß genau, was meine Kinder dann von hinten sagen werden: „Nee, ne? Also Mama, ehrlich! Stimmt denn gar nichts mehr von dem, was du uns beigebracht hast?“ „Jaha, schon gut,“ sage ich in solchen Momenten. Ein Ausrutscher, du liebe Güte! Was ist denn schon dabei, wenn man ein einziges Mal nicht so ganz oberkorrekt in Sachen Handynutzung verfährt wie jahrelang gepredigt und perfekt vorgelebt? Ja, gut, ich habe neulich, kaum dass ich am Ende des Staus anhalten musste, in der Tasche nach meinem Handy gefischt, weil ich dringend sofort lesen wollte, was in der SMS steht, die das Pling während der Fahrt angekündigt hatte. Ja, gut, ich habe nicht gewartet, bis wir auf dem Parkplatz angekommen sind. Selbstverständlich würde ich nie im Leben telefonieren, während ich fahre, und fange sofort laut zu schimpfen an, wenn das ein anderer Autofahrer tut. Extralaut, wenn die Kinder dabei sind – in der guten Absicht, dass sie ein schlechtes Vorbild erkennen und als abschreckendes Beispiel verinnerlichen. In der Hoffnung, dass sie selbst später niemals beim Autofahren telefonieren. Aber das hier war wirklich dringend! Eine eilige Herzensangelegenheit. Und der Vordermann blieb lange genug stehen, dass ich in Windeseile noch eine Antwort tippen konnte. „Jetzt seid mal nicht so streng“, habe ich zu meinen Kindern gesagt.

Es ist noch nicht zu spät

Aber eigentlich ist mir klar, dass die Empörung auf dem Rücksitz in so einem Fall verständlich ist: Erst gestern hatten wir wieder so eine leidige Debatte, in der ich den Kindern das eiserne Verbot, mit verstöpselten Ohren auf dem Fahrrad unterwegs zu sein, lang und breit erläutert habe. Jetzt finden sie das Schreiben einer SMS, während man hinter dem Steuer sitzt, natürlich genauso verurteilenswert.

Was man daraus jetzt lernen kann? Autoritätspersonen dürfen schwächere Mitglieder der Gesellschaft nicht zu sozialem Verhalten zwingen, sondern müssen Übereinstimmung innerhalb einer Gemeinschaft erreichen. Und: Regeln müssen für alle gelten, schon weil Kinder routiniert mit dem Hinweis „Und dabei macht sie's selber gar nicht!“ auf erzieherische Zumutungen reagieren und sich entziehen. An dieser Auseinandersetzung kommen wir nicht vorbei. Aber es ist noch nicht zu spät. Auf der Fahrt in den Urlaub werde ich in der ersten Pause noch einmal meine Mails checken. Dann werde ich mein Handy ausschalten und die Landkarte rausholen.

Gerlinde Unverzagt hat vier Kinder und ist Autorin des Buches „Generation ziemlich beste Freunde“ (Beltz-Verlag, 16,95 Euro).

Gerlinde Unverzagt

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