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Bester Laune in Berlin. Besucher des Kirchentags. 

© Stefan Arend/epd

Evangelischer Kirchentag in Berlin: Jesu Geist in den Messehallen

Wo sonst die Grüne Woche und andere Ausstellungen laufen, stellen sich jetzt Gott und die Welt vor. Und was hat es mit den orangenen Schals auf sich?

Die Sängerin trägt Rasta-Locken und schwarzglänzende Jeans, ihre rechte Hand umklammert das Mikrofon, sie ist jetzt bereit für die große gemeinsame Aktion. „Wollen wir tanzen?“, schreit sie.

Tja, gute Frage. Eher nicht. Das Publikum bleibt ruhig.

Also brüllt sie noch mal, offenbar haben einige den Ernst der Lage nicht begriffen. „Kommt“, ruft sie fast flehentlich, „wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Kommen ja noch andere Bands auf die Bühne in dieser Halle des Messezentrums, so ein Kirchentag ist ja vollgestopft mit Programm.

Na bitte, geht doch. Das Publikum beginnt zu tanzen. Na ja, eher bewegen sich zaghaft ein paar Hüften, sind ja viele ältere Männer und Frauen hier, mit orangenfarbenen Schals oder in orangefarbenen Kirchentags-T-Shirts. Oder in Ordenskleidung, wie die Schwester in Reihe drei, die leicht wippt, ein Gesangbuch in der Hand. Die Stimmung ist gut, das ist entscheidend, die Musik ist fröhlich, die Menschen sind offen und freundlich. Hier, in den Messehallen unterm Funkturm, hier ist einer der Orte, an denen der Puls des Kirchentags schlägt. Draußen, auf dem Vorplatz, hängen orangefarbene Flaggen, drinnen, in den Hallen, genießen tausende Christen diese Atmosphäre, die alle Nuancen von Stimmungen auffängt.

Die eher ruhig-besinnlichen Momente nimmt zum Beispiel der Chor mit den jungen Männern und Frauen auf, der im Foyer der Haupthalle steht und weiche Lieder singt, während ein paar Meter weiter Ordner Eintrittskarten kontrollieren.

Die Messe verwandelt sich wieder in eine andere Welt

In Halle fünf dagegen sitzt eine junge Frau auf der Bühne ganz allein, und erzählt aus ihrem Leben, von ihrem Schicksal, ihren Erwartungen, ihren Hoffnungen. Daneben übersetzt eine Gebärdendolmetscherin jedes Wort.

Die Messe verwandelt sich ja immer ein paar Tage lang in eine eigene Welt, mit eigenem Flair, eigener Atmosphäre. Bei der Internationalen Funkausstellung etwa weht ein Hauch von Silicon Valley durch die nüchternen Hallen. Der Duft bodenständigen, erdverbundenen Lebens steigt dagegen auf, wenn die Internationale Grüne Woche hier gastiert.

Aber jetzt erfüllt der Geist von Jesus Christus diese Hallen. An Ständen gibt es christliche Literatur, christliche Symbole, ein vielfältiger Markt der christlichen Kultur. Leute wie Dirk Ritze aus dem Landkreis Celle lassen sich von dieser Stimmung inspirieren. Der hochgewachsene Mann in seinem orangefarbenen T-Shirt trägt einen Instrumentenkoffer. Seine Posaune liegt drin, Ritze ist mit seinem 15-köpfigen Chor nach Berlin gekommen. Kirchentag, das bedeutet für ihn Auftritte. Vor allem aber „erwarte ich viel Gemeinschaft und Erfahrungen. Die Tage sind Pausen zum Abschalten. Davon zehrt man dann wieder zwei Jahre“. Leider hat er den Eröffnungsgottesdienst verpasst. Stau auf der Straße.

Stau auf den Gehwegen wegen vieler Kirchentagsbesucher spürt er dagegen noch nicht. Er zupft an seinem T-Shirt und sagt: „Hier in Berlin sind die Kirchentagsbesucher nicht ganz so präsent wie 2013 in Hamburg.“ Das ist bestimmt für viele Punkte in der Stadt richtig. In und um die Messehallen gilt es nicht.

"Wir wollen rausgehen, das geht besonders in der Gemeinschaft"

Da sind zum Beispiel Andreas und Elisabeth Heindl, die sich von dieser Stimmung einfangen lassen. Heindl ist evangelischer Pfarrer im bayerischen Kronach, er ist in Berlin, weil in seiner Gemeinde eine Kollegin seine Aufgaben übernommen hat. Aber er kann nicht immer delegieren, deshalb verpasst er auch mal Kirchentage. Mit seiner Frau ist er am Donnerstagabend an der britischen Botschaft vorbeigegangen, er hat die Blumen gesehen, diese Symbole der Trauer nach dem Anschlag in Manchester. „Die Attentäter wollen ja, dass wir im Bett bleiben“, sagt er, „aber genau das machen wir nicht. Wir wollen rausgehen, das geht besonders in der Gemeinschaft.“

Wobei: Auch rund um das Messegelände ist von dieser Gemeinschaft nicht immer etwas zu spüren. Gut hundert Meter entfernt liegt der Zentrale Omnibusbahnhof. Dort trägt niemand orange T-Shirts, nicht mal orange Schals. Dort trägt Jens-Uwe Ernicke vielmehr ein Trikot der Berliner Eisbären und wartet mit seinem Koffer auf den Bus nach Hannover. Kirchentag? Da verzieht der Berliner den Mund. „Nein danke, vor den Besuchern des Kirchentags flüchte ich eher.“

170 000 Schals: Orange ist diesmal die Farbe des Glaubens

Wiedererkennungseffekt. Der orangefarbene Schal bringt die Gleichgesinnten leichter zusammen.
Wiedererkennungseffekt. Der orangefarbene Schal bringt die Gleichgesinnten leichter zusammen.

© dpa

DER KIRCHENTAG UND SEIN SCHAL

Die Kosten

Erkennt euch am Schal! Der Kirchentagsschal ist das meistverbreitete Mode-Accessoire der Veranstaltung. 170 000 Schals wurden produziert, so steht es in der offiziellen Ausschreibung. Abgegeben werden sie gegen eine Spende von mindestens vier Euro. Fliegende Händler sind unterwegs, außerdem gibt es verschiedene Shops, die während des Kirchentags geöffnet sind: Brandenburger Tor, Messe, Tempodrom und Gendarmenmarkt.

Der Nutzen

Es gilt seinen eigenen Stil zu pflegen. Auf dem Kirchentag ist neben der klassischen Halsbindung auch die Rucksackknotung sehr beliebt. Oder das Stirnbandtuch. In einem nicht ganz ernst gemeinten Video erklärt das Kirchentags-Orga-Team weitere Verwendungstipps: Als Geschenk, als Armbinde (bei Verletzungen), als Sonnenschutz oder als mobiles Zaubertrick-Utensil. Auf früheren Kirchentagen war auch die Hosenbindung beliebt.

Die Produktion

Ist natürlich fair. 80 Prozent des Stoffes sind aus Recycling-Biobaumwolle. Bio und nachhaltig sollen alle Produkte der Kirchentags-Shops sein. „Die Farbechtheit muss garantiert sein. Der Stoff ist vorgewaschen und farbecht, der Artikel ist ohne weitere Behandlung direkt nach der Lieferung einsetzbar.“ Also dürfte es nicht zu unangenehmen Hautreaktionen kommen. Das Material soll strapazierfähig sein und lange halten.

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