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Tom Sello ist der neue Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

© Gregor Fischer/dpa

Erinnerungskultur: Mehr Geschichten aus der DDR

Seit 28 Jahren ist Berlin nicht mehr geteilt. Doch die Wunden sind noch lange nicht verheilt. Unser Autor wünscht sich mehr Erinnerung und Geschichten aus der DDR.

Reicht’s nicht langsam? Stasi und Stacheldraht sind seit 28 Jahren Geschichte in der Stadt, in der zuvor 28 Jahre lang die Bürgersteige geteilt waren, viele Familien getrennt, Schicksale zersplittert. Die meisten Spuren der selbst so genannten Deutschen Demokratischen Republik sind in Berlin längst vom Mauermarketing an der East Side Gallery übermalt worden. Die Disneyisierung des Tourismus lässt sich wohl am besten am Checkpoint Charlie beobachten, die aus der einst zerreißenden inneren Stadtgrenze eine unübersichtliche Eventkreuzung gemacht hat. Geschichtslos und gesichtslos.

Dabei sind die Wunden der Teilung längst nicht verheilt, sondern oft im Inneren der Menschen verborgen. Manchmal brechen sie auf, wenn die AfD insbesondere in Ost-Berliner Plattenbauvierteln ihre Proteststimmen einsammelt. Oder wenn die staatlich geförderte Abwicklung von Air Berlin nicht nur emotional an die kalte Zerschlagung von DDR-Betrieben wie der Fluglinie Interflug erinnert. Auch wenn man plötzlich inmitten der neuen glatt asphaltierten Stadtmitte ein paar Reste eines früheren Landes entdeckt, das es hier einmal gab. Wer aber kann sich an dieses Land bald noch erinnern? Und wie sollte Berlin das tun?

Tom Sello wird Beauftragter für DDR-Aufarbeitung

Darüber muss Berlin weiter nachdenken, 28 Jahre später. Am Donnerstag hat das Parlament einen neuen klugen Kopf für diese Aufgabe bestimmt. Der einstige Bürgerrechtler Tom Sello wird neuer Beauftragter für die DDR-Aufarbeitung. Er soll sich nicht nur darum kümmern, neue Stasi-Fälle aufzudecken (die gibt es ja faktisch auch nicht mehr), sondern im besten Sinne des Wortes aufklären. Über den Wert von Geschichte, um Gegenwart besser zu verstehen. Über Spuren im Stadtbild, die äußerlich verblassen, aber innerlich nicht vergehen. Und, am wichtigsten: Er soll Erinnerung mit modernen Mitteln veranschaulichen. Sello, der das Robert-Havemann-Archiv der DDR-Opposition aufgebaut hat und vor einigen Jahren die spektakuläre Freiluftausstellung zur friedlichen Revolution auf dem Alexanderplatz verantwortete, ist dies zuzutrauen. Zumal der 60-Jährige mit seiner ruhigen, ausgeglichenen Art an Zutrauen gewinnen kann.

Wie wichtig das Nachdenken über das Gestern für das Heute ist, hat der rot-rot-grüne Senat vor einem Jahr selbst erfahren, als Bau-Staatssekretär Andrej Holm nach einer harten öffentlichen Debatte zurücktreten musste. Nicht weil er als Jugendlicher bei der Stasi angeheuert hatte. Sondern weil er als Erwachsener nicht glaubwürdig damit umgegangen ist. Die Berufung Sellos ist auch eine Reaktion auf die eigene geschichtsvergessene Personalie. Sie zeigt: Berlin kann immer aus der Vergangenheit lernen.

Stasi und Stacheldraht – ja, vielleicht reicht das langsam. Aber die DDR und die Spuren der einst geteilten Stadt in unserem neuen Berlin sind damit längst nicht auserzählt. Woran erinnern Sie sich?

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