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Happy mit Bambi: Ismail Öner bei der Verleihung im Stage Theater. Foto: dpa

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Die Mitternachts-Kicker: Bambi für Berlin Spandau

Jede Freitagnacht spielt Ismail Öner mit Jugendlichen Fußball. Nun hat er dafür einen Integrationspreis bekommen – den er nicht behalten will. Er reicht ihn lieber an seine Jungs weiter.

Als es schon dunkel war, am gestrigen Freitagabend in Spandau, strömten die Jungs in die Turnhalle. Es waren mehr als sonst, denn ein besonderer Abend stand bevor: Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden sollte der Bambi für Integration verliehen werden – diesmal an sie.

Am Donnerstagabend erst hat ihn eigentlich Ismail Öner im Stage Theater am Potsdamer Platz bekommen: „Ich habe meinen Fuß aus dem Auto auf den roten Teppich gestellt. Da waren Robbie Williams, Til Schweiger, Bill Gates, Pep Guardiola.“ Und mittendrin der 35-jährige Diplom-Sozialarbeiter aus Spandau. Da sei ihm bewusst geworden, dass auch er wohl etwas Großes für die Gesellschaft geleistet habe. Öner leitet den Mitternachtssport e.V. in Spandau. Doch er will den Preis nicht behalten, sondern ihn an seine Jugendlichen weiterreichen, den Bambi mit ihnen teilen.

Gerade noch auf der Bühne und den TV-Schirmen der Nation, kommt Öner jetzt am Nachmittag aus der Moschee, vom Freitagsgebet, wie jede Woche. Was sich jetzt für ihn ändere, werde er den ganzen Tag schon gefragt, erzählt er. „Was soll sich ändern? Scheinwerfer? Cheerleader für die Jungs? Nein, heute Abend werde ich wieder die Sporthalle aufschließen, den Ball herausholen, wie ich es seit sechs Jahren mache.“ Mitternachtssport e.V. soll Jugendlichen die Chance bieten, sportlich die Nacht zu erleben, statt im Dunkeln auf der Straße rumzuhängen und Mist zu bauen. Fußballer wie Jérôme Boateng vom FC Bayern München, Änis Ben-Hatira von Hertha BSC und Patrick Ebert von Real Valladolid sind „große Brüder“ des Projekts und kommen am Freitagabend vorbei.

Manche der kickenden Jugendlichen hatten schon mal Probleme mit der Polizei. Die meisten haben einen Migrationshintergrund. Häufig kommen die Jungs zu Öner, weil sie das Gefühl haben, nicht dazuzugehören. „Niemand verlangt, dass ihr mit einer Deutschlandfahne aufs Brandenburger Tor klettert und wedelt“, sage er ihnen dann. Und dass Heimat dort sei, wo das Herz schlägt: in Spandau, Berlin.

Zugehörigkeit und Identität sind neben Fußball die großen Themen des Mitternachtssports. Für Öner heißt das: „Biografie-Arbeit in höchster Intensität.“ Erzieher und Sozialarbeiter wollen viele seiner Schützlinge werden – das ist Öners Lohn. „Meine Stars sind meine Jungs“; „Ich bin deren Sprachrohr“ – Integration und Chancen für die Jugendlichen sind Öners tagtägliches Lebensziel. Er spricht ohne Punkt und Komma, will die Bambi-Aufmerksamkeit nutzen.

Und er teilt aus. „Provinzberlusconis“ würden seiner Arbeit im „verkrusteten Spandau“ Steine in den Weg legen. Ob Henryk Broder, Heinz Buschkowsky: Die Integrationsdebatte würde in Deutschland von den Falschen geführt; ob Integrationsgipfel oder Islamkonferenz: „Keiner meiner Jungs fühlt sich von denen vertreten.“ Öner weiß, wovon er spricht – er ist einer von ihnen. Für zwei Jahre kam sein Vater in den 60er Jahren zum Arbeiten nach Deutschland. Vier Jahrzehnte sind daraus geworden, 2006 wurde der Vater in Berlin begraben. Öner und seine sieben Geschwister sind auf gepackten Koffern aufgewachsen, „Nächstes Jahr gehen wir zurück“, hieß es oft. Abitur wurde ihm als Schüler nicht zugetraut, immer wieder der Versuch, ihn auf die Sonderschule zu schicken.

Heute hat Ismail Öner selbst eine Tochter. Und seine Frau guckte die Bambi-Verleihung mit Popcorn zu Hause, denn: Das zweite Kind ist unterwegs. Seine Kinder sollen eines Tages sagen: „Ich bin Spandauer und habe kurdische Wurzeln.“

Seit 2010 wird der Bambi-Integrationspreis verliehen. „Aber wie lange werden wir noch einen Integrationspreis brauchen?“, fragt Öner. „Hat darüber schon mal einer nachgedacht?“ 2013 nahm Öner an einer Live-Videokonferenz mit Angela Merkel zum Thema Integration teil. Nun hat er noch eine Botschaft für die Koalitionsverhandlungen: „Willkommenskultur ist schon mal gut. Aber wir brauchen eine Aufstiegskultur – deswegen muss dringend in Bildung investiert werden.“ Persönliches Können, nicht das Geld der Eltern solle zählen.

Für die SPD sitzt Öner in der Bezirksverordnetenversammlung Spandau. Er wolle nicht Außenminister werden, es gehe ihm darum, über Sportplätze und Bibliotheken mitzuentscheiden, sagt er. Und welche Zukunft sieht er für sein Mitternachtsprojekt? „Ein Gewaltpräventionszentrum ist meine Vision“, antwortet Öner. Haben da dann auch Mädchen Platz? Öner druckst. Er ist sich bewusst, dass sein Projekt hauptsächlich auf Jungs abzielt, Mädchen könnten nur für einzelne Events hinzukommen. Immer Mädchen dabei? – „Das Testosteron würde ins Unermessliche steigen.“ Er lacht. Dann wird seine Stimme ernst: „Ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Die Probleme von 14- bis 16-jährigen Mädchen: Da müssen gute weibliche Pädagogen ran.“ Falls seine Vision von einem Gewaltpräventionszentrum wahr wird, will er sie einstellen. Dann gibt es neben den großen Fußballer-Brüdern auch große Schwestern.

Karoline Kuhla

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