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Alte Schule. Heinz Jacob „Coco“ Schumann, setzte nach dem Krieg eine selbst gebastelte E-Gitarre ein, um Ami-Sounds zu produzieren. 2008 erhielt er den Verdienstorden des Landes Berlin, 1989 bereits das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

© Mike Wolff

Der Jazz-Musiker Coco Schumann wird 90 Jahre alt: Eine Gala für den Ghetto-Swinger

Er hat sich in den Jazz verliebt, als die „Negermusik“ verboten war. Er überlebte drei Konzentrationslager. Fünf Jahrzehnte lang konnte er darüber nicht sprechen. Heute kommen zur Geburtstagsfeier für den Berliner Gitarristen Coco Schumann prominente Gratulanten ins Schöneberger Rathaus.

Eigentlich ist die Musik sein Leben. Seine jüdische Mutter war Friseurin, sein Vater Tapezierer. Dass Heinz Jakob Schumann an die Musik geraten sollte, lag wohl eher an Onkel Arthur und an Ella Fitzgerald.

Im Jahr 1937, da ist er gerade 13, führt ein Freund ihm Ellas neue Platte „A tisk-it a task-it“ vor: Jetzt ist er angefixt für den Swing, den man in diesen Jahren nur bei heimlichen Grammofon-Sessions mit Freunden hören kann oder während mancher Shows im Delphi-Palast. Offiziell gilt die „Negermusik“ als entartet, verboten. Onkel Arthur ist zwar ebenfalls Friseur wie Mama, er trägt aber manchmal Smoking und besitzt ein Schlagzeug mit roten Lampen in der Basstrommel; das erbt sein Neffe, als Arthur 1938 nach Bolivien emigriert. Außerdem gibt es da noch einen Cousin, der zur Wehrmacht eingezogen wird und dem Jazz-Fan Heinz Jakob seine Klampfe überlässt. Coco, wie eine französische Freundin ihn nennt, übt und übt also: Drums und vor allem Gitarre.

Er hat das Gefühl für den Rhythmus. Springt bei einer Zigeuner-Swing-Band ein, spielt in Ku’damm-Bars: obwohl er minderjährig ist, als Halbjude gilt, keine Spielerlaubnis der Reichsmusikkammer hat, obwohl der geächtete Musikstil weiteres Risiko bedeutet. Die Gefahr, den Verfolgungsalltag verdrängt er. Sein „arischer“ Vater war vor der Hochzeit zum Judentum konvertiert, das verschlechtert den Mischlings-Status des Sohnes. Trotzdem trägt Coco den ihm anbefohlenen Judenstern nur mit Druckknöpfen bei sich, zum schnellen Anlegen für alle Fälle. Er poussiert, wie er noch als alter Herr im Interview berichten wird, gern „mit deutschen Frauen“; wird möglicherweise von einem Nebenbuhler denunziert, in der Rosita Bar. Sein Vater kann nur erwirken, dass Cocos geplante Deportation in ein Vernichtungslager abgemildert wird: zum Transport nach Theresienstadt.

Über das, was er ab März 1943 in den folgenden 26 Monaten erlebt hat, wird Coco Schumann 50 Jahre lang kaum sprechen. Er wolle sich den aufwühlenden Erinnerungen nicht aussetzen, sagte er, nicht auf diese Rolle reduziert werden: „Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZler, der Musik macht.“ Nach dem Krieg setzt er als erster deutscher Gitarrero die selbst gebastelte E-Klampfe ein für coolen Ami-Sound, produziert mit dem Bandleader Helmut Zarachias gute Laune für die Wiederaufbau-Bundesrepublik – die er dann doch 1950 mit seiner Frau verlässt. Der Entertainer sieht sich als Dienstleister des Publikums, kommt aber in der australischen Emigration nicht wirklich an; kehrt 1954 in die schwierige Heimat zurück. Tingelt mit Tanz- und Radiobands, musiziert mal für einen Heinz-Erhardt-Streifen, komponiert Unterhaltungsmelodien. Gastiert auf Kreuzfahrten, bei Galaabenden. Das nostalgische Comeback des Swing in den 1990er Jahren ermutigt ihn zur Gründung seines Coco Schumann Quartetts. 1997 erscheint seine Biografie „Der Ghetto-Swinger“.

Als seine Frau, die zu den Überlebenden des Arbeitslagers Wulkow südöstlich von Berlin gehörte, im Gespräch mit einem Reporter über diesen Teil der Vergangenheit zu reden begann, hatte sich schließlich auch Coco Schumann entschlossen, seine eigenen dramatischen Erlebnisse weiterzugeben. Er war in Theresienstadt bei den „Ghetto Swingers“ als Schlagzeuger eingesetzt worden, um an dem NS-Propagandawerk „Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ mitzuwirken. Im September 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert und für eine Band abkommandiert, die beim Tätowieren der Ankömmlinge und beim Gang der Selektierten in die Gaskammer Begleitmusik liefern musste. Im Januar 1945 wurde er in ein Nebenlager des KZ Dachau verlegt, auf einem Todesmarsch durch die Alpen im April von US-Soldaten befreit. Coco Schumann hat vieles nicht erzählt. Zu dem, was er berichtete, gehört seine Erinnerung an jene Kinder, die ihm auf dem Weg zum „Brausebad“ oft in die Augen schauten. Er habe ihre Blicke erwidert.

Heute wird Coco Schumann, der Musiker, 90 Jahre alt.

Feier zum Geburtstag am heutigen Mittwoch, ab 19.30 Uhr im Willy- Brandt-Saal des Rathauses Schöneberg mit Musik aus dem Theaterstück „Der Ghetto-Swinger“, Szenen aus dem Dokumentarfilm „Refuge in Music - Terezin I Thersienstadt“ und privaten Aufnahmen sowie einem Gespräch des Jubilars mit Gregor Gysi. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellung im Rathaussaal „Wir waren Nachbarn“ ist bis 19.15 Uhr geöffnet. Eben erschienen ist die Graphic Novel von Caroline Gille und Niels Schröder: „I got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann.“ 160 Seiten, Bebra Verlag, 19,95 Euro.

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